Die bisherige Weltordnung gerät ins Wanken.

Die bisherige Weltordnung gerät über den verschärften Systemkonflikt ins Wanken. (Bild: C A/Wirestock Creators - stock.adobe.com)

Welche geopolitischen Herausforderungen gibt es aktuell für deutsche Maschinenbauer? Die Antwort geben Wolfgang Krenz, Partner bei Oliver Wyman und Dr. Joachim Lang, Senior Advisor bei Oliver Wyman und ehemaliger Hauptgeschäftsführer des BDI hier:

Über Jahrzehnte war die Globalisierung für die europäische Industrie ein Erfolgsgarant. Gerade deutsche Maschinen- und Anlagenbauer stützten ihren Erfolg auf eine hohe außereuropäische Exportquote von 38 Prozent, wobei China die Schlüsselrolle spielt: Ein Fünftel des Absatzes außerhalb der EU resultiert aus dem China-Geschäft. Das Reich der Mitte ist mehr als Absatzmarkt: 14 Prozent der Direktinvestitionen werden in China getätigt, Hunderte Maschinen- und Anlagenbauer haben dort ihr Asien-Hub errichtet – und über Sourcing, Logistik und Produktion tiefe Wurzeln geschlagen.

Was wäre, wenn China über Nacht wegbräche? Diese Frage konnte von Produktionsverantwortlichen lange Zeit als allzu hypothetisch verdrängt werden. Heute wird sie zu einem realistischen Schreckensszenario. Unternehmen brauchen Antworten und Alternativstrategien, denn die bisherige Weltordnung gerät über den verschärften Systemkonflikt ins Wanken. Die USA, der andere große Nicht-EU-Absatzmarkt der deutschen Industrie, liefern sich mit China einen Wirtschaftskrieg – und stellen viele deutsche Industrie-Unternehmen faktisch vor die Entscheidung: Ost oder West?

Die geopolitischen Entwicklungen erodieren die jahrzehntelang gültige Geschäftsgrundlage des deutschen Maschinenbaus, konkret: Freihandel und internationale Arbeitsteilung. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine wird offenbar, wie kaltblütig jahrzehntelang gültige Regeln gebrochen werden können. Das Leiden der Menschen ist groß.

Für die Wirtschaft zeigt sich zudem, wie abrupt Absatzmärkte und der Zugang zu Rohstoffen und Energie verschlossen sein können. Waren hohe Abhängigkeiten von einzelnen Ländern in einer statischen geopolitischen Situation scheinbar unproblematisch, so sind sie es in einer dynamischen Lage nicht mehr. Sorge bereitet dieses Thema insbesondere, wenn man es vor dem Hintergrund des Taiwan-Konfliktes auf China überträgt, einem ungleich bedeutsameren Absatz- und Beschaffungsmarkt für die meisten Maschinenbau-Unternehmen.

Systemwettbewerb zwischen USA und China: Es droht "Decoupling"

Die für die deutsche Industrie wesentliche Bedrohung besteht im verschärften Systemwettbewerb zwischen den USA und China. Dieser äußert sich in protektionistischen Maßnahmen beider Seiten, darunter Beschränkungen ausländischer Direktinvestitionen sowie Ex- und Importkontrollen, die auch deutsche Unternehmen betreffen. Nicht nur China schottet sich zunehmend ab gegenüber westlichen Unternehmen, sondern auch die USA sorgen für eine Verschärfung der Lage. Gesetze wie der Inflation Reduction Act (IRA) zielen auf eine industriepolitische Bevorzugung und wirken als gigantisches Subventionsprogramm für Teile der US-Industrie. Parallel versuchen die USA, über Gesetze wie den Chips Act die Wettbewerbsposition Chinas zu verschlechtern.

Weil beide gegnerischen Blöcke rasant die Barrieren auftürmen, droht ein sogenanntes „Decoupling“. Zwei Sphären politischen und wirtschaftlichen Einflusses mit geringer Durchlässigkeit könnten Deutschland politisch vor die Wahl stellen – und eine Einbindung ins westliche System erscheint naheliegend. Doch müssen sich auch Unternehmen einer der beiden Sphären zuordnen? Das Thema alarmiert: Über 90 Prozent der Führungskräfte europäischer Industriegüterhersteller halten Decoupling für das prägende Szenario des anstehenden Jahrzehnts – und für das drängendste Problemfeld neben der Inflation. Das geht aus einer Befragung hervor, die wir bei Oliver Wyman jüngst abgeschlossen haben.

Diese Entkopplung und das Entstehen zweier getrennter Sphären auch in wirtschaftlich-technischer Hinsicht trifft viele international ausgerichtete Unternehmen reichlich unvorbereitet: Nur 40 Prozent halten laut Umfrage ihre Betriebe für strategisch gerüstet, mit den neuen geo- und handelspolitischen Erschwernissen umzugehen.

Neubewertung und Ausrichtung des eigenen China-Setups

Die China-Strategie muss in Zeiten eines aufziehenden Decouplings neu justiert werden – und dies mit maximalem Risikobewusstsein: Jedes Unternehmen muss eine Aufstellung finden, bei der eine Abspaltung des China-Geschäfts ohne Gefährdung des Kernunternehmens möglich wäre. Laut Umfrage schätzen fast zwei Drittel ihre Abhängigkeit von China als Beschaffungsmarkt als kritisch oder sehr kritisch ein. Doch es wäre falsch, die geopolitische Diskussion auf das Thema stabile Lieferketten zu verengen. Es geht stattdessen um eine umfassende Neubewertung und Ausrichtung des Geschäftsmodells und des eigenen China-Setups.

Mehrere Pfade zu einem neuen China-Setup stehen zur Wahl: Wer nur einen geringen Geschäftsanteil in China hat oder über eine so starke Differenzierung der Produkte verfügt, dass China auf sie praktisch angewiesen ist, kann möglicherweise im reinen Exportmodell bleiben. Kehrseite: Bei einer Lageverschärfung, ausgelöst etwa durch den Taiwan-Konflikt, müsste ein Verzicht auf dieses Geschäft verkraftbar sein. Ein aktiver Rückzug aus China ergibt für derart aufgestellte Unternehmen aktuell keinen Sinn. Er kann jedoch notwendig werden, wenn man durch US-Gesetzgebung wie den Chips Act praktisch dazu gezwungen wird.

Prominentestes Beispiel sind die niederländische Firma ASML und die japanische Tokyo Electron, deren Regierungen dem Druck der USA nachgegeben haben und Halbleiter-Exportrestriktionen nach amerikanischem Vorbild verabschieden werden.  

Mindestens ein zweites Standbein in Asien aufbauen

Das häufigste Modell für den deutsche Maschinen- und Anlagenbau wird wohl eines sein, in dem man in einem China-spezifischen Setup lokal Produkte für den lokalen Markt produziert („local for local“). Sollten die technischen Standards und Datenstandards zwischen den Rivalen USA und China weiter auseinanderdriften, könnte es nötig werden, sphärenspezifische Produktausführungen zu entwickeln oder gar völlig separate Produktprogramme. Insbesondere kleinere Unternehmen könnten sich damit schwertun. Denn mit der nötigen Duplikation von Strukturen und Know-how entstehen Kostennachteile, Synergien fallen weg.

Auch müssen sich Unternehmen überlegen, wie sie ihr Kern-Know-how in einer solchen Situation schützen können. Sollte im Rahmen des Decoupling auch der Kapitalverkehr weitgehend eingeschränkt werden, könnte man unter Umständen Gewinne aus China nicht mehr herausholen. Es bräuchte langen Atem des Eigentümers, der ein solches Engagement als Diversifikationsstrategie mit der Hoffnung auf sich wieder ändernde Rahmenbedingungen betrachten müsste. Auf jeden Fall muss sichergestellt werden, dass eine Verstaatlichung oder auch ein Zwang zum Verkauf des chinesischen Unternehmensteils das deutsche Unternehmen im Ganzen nicht gefährdet.

Unternehmen, die China bisher als Niedriglohnstandort genutzt haben, sollten ebenfalls umdenken. Diese Option erscheint schon aufgrund gestiegener Kosten in China nicht mehr als zukunftsträchtig, bestenfalls kommt der Standort weiterhin als Hub für die „chinesische Sphäre“ in Betracht. Viele Unternehmen müssen sich überlegen, mindestens ein zweites Standbein für Produktion in Asien aufzubauen. Überlegungen für neue Standorte sollten sich Unternehmen auch für Länder machen, die der US-Sphäre zugerechnet werden können und über Freihandelsabkommen auch von Gesetzgebungen wie IRA profitieren. Mexiko könnte eine solche Option sein.

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US-Gesetzgebung beeinträchtigt die deutsche Industrie

Chinas Rolle als Lieferant wichtiger Rohstoffe stellt einseitig aufgestellte Unternehmen vor große Probleme. Wer heute China als einzige Bezugsquelle für bestimmte Roh- oder Vormaterialien nutzt, muss unbedingt versuchen, eine zweite Quelle oder Wechseloptionen aufzubauen. Mehrkosten sind im Sinne des Risikomanagements in Kauf zu nehmen. Diese Aufgabe ist hochkomplex, da häufig Alternativen fehlen. Bei Rohstoffen wie Aluminium, Eisen, Kobalt oder seltenen Erden stehen teils deutlich mehr als 60 Prozent der weltweiten Raffinadekapazitäten in China. Erschwerend kommt die vergleichsweise schwache Verhandlungsposition des mittelständischen Maschinenbaus hinzu, der bei Engpassrohstoffen in der Konkurrenz zu Großunternehmen steht. Diese nutzen bei der Versorgung aus westlichen Quellen ihre Marktmacht. So beteiligt sich etwa Volkswagen an Minen in Kanada, um als Kunde bevorzugten Zugang zu haben.

Wie sehr die US-Gesetzgebung auch die deutsche Industrie beeinträchtigt, zeigten in der Vergangenheit beispielsweise die Iran-Sanktionen. Sie zu befolgen, war praktisch Voraussetzung, um mit den USA Geschäfte zu machen. Über den Chips Act, der sich gegen China richtet, droht ein ähnliches Szenario. Das Gesetz kann für europäische Unternehmen bedeuten, dass sie bestimmte Produkte nicht mehr nach China exportieren können. Enthalten die Produkte bestimmte chinesische Technologie – man erinnere sich an die Huawei-Diskussion –, sind die Exportwege in die USA unter Umständen verbaut. Ebenso können Unternehmen gegebenenfalls nicht mehr in die USA exportieren, wenn man bei den Erzeugnissen nicht sicher ausschließen kann, dass bestimmte Vorprodukte oder Rohstoffe enthalten sind, die unter das US-Gesetz zum Schutz der uigurischen Minderheit fallen („Uyghur Forced Labor Prevention Act”).

Besondere Strategien sind gefragt

Unternehmen müssen nicht nur die US-Gesetzgebung im Detail verstehen, sondern auch ihr gesamtes Produktprogramm und ihre Lieferketten analysieren. Nur so können sie begreifen, ob und wo für sie Konfliktpotenzial lauert. Anschließend sind Strategien zur Problemlösung zu erarbeiten: Kann ich umkonstruieren, um die Teile zu vermeiden? Kann ich die Teile aus anderen Quellen beziehen? Oder kann ich auf bestimmtes Geschäft in den USA oder in China verzichten?

Die geopolitische Lagerbildung verlangt nicht nur eine Positionierung bezüglich der beiden großen Sphären. Auch auf die zunehmend umkämpften neutralen Märkte hat das neue geopolitische Kräftemessen einen Einfluss. In welche Richtung entwickelt sich ein bestimmtes Land? Es gilt, sich über detaillierte Länderanalysen eine Meinung zu bilden, in welches Lager die Länder wahrscheinlich fallen werden. Da in den umkämpften Märkten die Wettbewerbsintensität steigt, braucht es besondere Strategien, um die dortigen Kunden möglichst auf den Standard der westlichen Sphäre zu ziehen. Sind deutsche Unternehmen mit Setups sowohl in der chinesischen Sphäre als auch in der US-Sphäre unterwegs, verläuft die Konfliktlinie mitten durch das Unternehmen. Daraus ergeben sich interessante Fragen: Aus welchem Setup heraus sollten einzelne Märkte bedient werden? Und wie steuert man den entstehenden Intra-Company-Wettbewerb aus?

Klar ist: Unternehmen müssen schnell lernen, die Risiken der aufziehenden neuen Weltordnung zu analysieren und zu managen. Da sich die zukünftigen Rahmenbedingungen dynamisch entwickeln werden, müssen Unternehmen Pläne für unterschiedliche Szenarien machen. Wer dies unterlässt, gefährdet nicht nur Marktanteile, sondern im Extremfall die Existenz des gesamten Unternehmens.

(Wolfgang Krenz und Dr. Joachim Lang/Oliver Wyman)

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