Chinas Wirtschaft bewegt sich im Kriechgang. Im laufenden Jahr erwartet die Weltbank lediglich ein Wachstum von 4,4 Prozent. Auch 2025 wird das Plus so verhalten sein. Die Volksrepublik erreicht damit nur die Hälfte der Dynamik, die sie im Durchschnitt der zehn Jahre vor Corona hatte. Das langfristige Wachstumspotenzial beträgt sogar nur noch 2,5 Prozent, warnt Ruchir Sharma, Fondsmanager, Fachmann für Schwellenländer und Kolumnist der 'Financial Times'.
Seine Sorge ist nicht unbegründet. Denn Chinas Wirtschaft leidet an strukturellen Problemen. So ist in der chinesischen Bevölkerung jede/r Siebte älter als 65 Jahre. Bis 2050 wird sich der Seniorenanteil auf 28 Prozent verdoppeln. Die Vereinten Nationen erwarten daher, dass die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter bis 2040 um zehn Prozent sinkt.
Die Altersversorgung der chinesischen Mittelschicht ist allerdings nicht gesichert. Ein Großteil der heute Berufstätigen hat sein Erspartes in Immobilien angelegt. Da große Projektentwickler wie Evergrande und Country Garden pleite sind, bauen sie einen Großteil der von ihnen verkauften Objekte aber nicht zu Ende. Viele Anlegende verlieren daher Geld.
Jeder fünfte junge Chinese findet keine Arbeit
Zugleich finden ihre Kinder oft keine Arbeit mehr. Im Juli 2023 war in der Volksrepublik jede/r fünfte 16- bis 24-Jährige arbeitslos. Seit Mitte August veröffentlicht Chinas Regierung keine Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit mehr.
Auch Konjunkturpakete kann sie keine mehr anbieten. Denn der Kampf gegen die Corona-Pandemie kam sie so teuer, dass die Schuldenquote der Volksrepublik heute 280 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Provinzregierungen und Kommunen, die durch öffentliche Bauprojekte lange die Konjunktur ankurbelten, sind teils noch höher verschuldet. Die Ratingagentur Moody’s stufte den Ausblick für Chinas Kreditwürdigkeit daher im Dezember von „stabil“ auf „negativ“ herab.
Noch schlimmer als eine mögliche Zahlungsunfähigkeit ist jedoch, dass die Wirtschaftslage die chinesische Mittelschicht so verunsichert, dass diese nicht mehr Geld ausgibt als nötig. Daher schwächelt die Binnennachfrage und mit ihr die Konjunktur.
Trumpf CEO Werkzeugmaschinen über China und Blechbearbeitung
Deutsche Investitionen in China brechen alle Rekorde
Deutsche Unternehmen stört das nicht. Sie investierten 2023 knapp zwölf Milliarden Euro und damit vier Prozent mehr in der Volksrepublik als im Vorjahr, zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). „Das lässt sich vor allem damit erklären, dass die Unternehmen in China nach wie vor sehr gut verdienen und darauf nicht verzichten wollen“, erklärt Jürgen Matthes. Er leitet das Cluster internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte am IW.
Wie er und seine Kollegen berechnet haben, erzielt Deutschland rund 15 Prozent der Einnahmen aus seinem weltweit investierten Beteiligungskapital in China. Die Direktinvestitionsbestände dort machen mit 126 Milliarden Euro aber nur sieben Prozent aller Auslandsinvestitionen aus. Sie sind also sehr lukrativ.
Selbstverständlich wollen Unternehmen daran nichts ändern. „Schließlich finanzieren viele Firmen mit ihren in China erwirtschafteten Gewinnen ihren Strukturwandel und ihre Innovationstätigkeit in Deutschland“, berichtet der Geschäftsführer der Auslandshandelskammer (AHK) in Peking, Jens Hildebrandt. In einer aktuellen Umfrage der AHK in China gab jedes zweite Mitgliedsunternehmen an, in den kommenden beiden Jahren weiter in China investieren zu wollen. Lediglich 2,2 Prozent wollen sich ganz oder teilweise aus der Volksrepublik zurückziehen.
Eine Umfrage der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PWC) aus dem November 2023 kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis. Danach will nur ein Prozent der Befragten China verlassen. Lediglich in der Automobilindustrie planen elf Prozent der Unternehmen einen vollständigen oder partiellen Ausstieg. „Die Unternehmen glauben nach wie vor an die Wachstumschancen auf dem chinesischen Markt“, erklärt Hildebrandt diese Ergebnisse.
Der Optimismus wird langsam gefährlich
„Dieser nicht enden wollende Optimismus wird allerdings langsam gefährlich“, warnt der Chefvolkswirt des Mercator Institutes für China Studien (Merics), Dr. Max Zenglein. Investoren aus anderen Ländern nehmen laut ihm schon seit geraumer Zeit viel besorgter wahr, dass sich das Geschäftsrisiko in China erhöhe.
Das beobachtet auch Thomas Heck. Er leitet die China Business Group von PWC in Deutschland und Europa. „Wir haben in China eine Akkumulation von Risikofaktoren, die Unternehmen in ihrer Abwägung von Chancen und Risiken beachten müssen“, so Heck. Südkoreanische Investoren sähen das und zögen sich teilweise aus der Volksrepublik zurück. „Auch chinesische Unternehmen passen sich den neuen Realitäten an und errichten beispielsweise Werke in Vietnam, Mexiko und Europa.“ E-Autohersteller BYD etwa lasse derzeit eine Machbarkeitsstudie für eine Fabrik in Mexiko erstellen und hat den Bau einer Fabrik in Ungarn beschlossen.
Es gibt Länder, die ganz anders über China denken
Auch in der aktuellen Geschäftsklimaumfrage der Europäischen Handelskammer in China (EUCCC) geben elf Prozent der Teilnehmenden an, sie hätten 2023 Investitionen in der Volksrepublik abgebaut, zwölf Prozent entkoppelten ihre Lieferketten von China. Die State Administration of Foreign Exchange der Volksrepublik bestätigt das.
Laut der staatlichen Behörde für Devisen zogen Unternehmen allein im dritten Quartal 2023 zwölf Milliarden US-Dollar mehr aus der Volksrepublik ab, als sie dort investierten. Das hat es seit Beginn der Öffnungspolitik 1978 nicht mehr gegeben.
Die chinesische Führung greift immer mehr in die Wirtschaft ein
Sechs von zehn Teilnehmenden der EUCCC-Umfrage – und damit neun Prozent mehr als im Vorjahr – erklärten ihren Rückzug damit, dass sich die politische Führung in Peking immer stärker in die Wirtschaft einmische. „Für Unternehmen wird es immer schwieriger, die Politik aus ihrem Geschäft herauszuhalten“, berichtet auch Hildebrandt von der AHK Peking.
So beklagte in der AHK-Umfrage jeder fünfte Teilnehmer, dass Behörden chinesische Unternehmen protegierten. Ebenso viele benannten die erzwungene Preisgabe geistigen Eigentums an chinesische Wettbewerber als größte durch die Politik verursachte Herausforderung für ihre Firma. Jeder dritte Befragte beschwerte sich dagegen über Rechtsunsicherheit. Durch diese Ungleichbehandlung versucht Peking, chinesische Unternehmen so stark zu machen, dass die Wirtschaft der Volksrepublik einem Konflikt mit dem Westen wie er nach einem Überfall Chinas auf Taiwan zu erwarten wäre standhalten könnte.
Im Zuge der konjunkturellen Abkühlung und der geopolitischen Auseinandersetzung mit den USA könnte die chinesische Regierung ausländische Unternehmen künftig sogar noch mehr gängeln oder für ihre politischen Ziele in die Pflicht nehmen als sie es jetzt schon tut. Denn beide Entwicklungen dürften es ihr immer schwerer machen, das Wohlstandsversprechen einzuhalten, das sie der chinesischen Bevölkerung gegeben hat.
Dass die Kommunistische Partei (KP) zur Reform- und Öffnungspolitik der Jahre vor Xi Jinping zurückkehrt, um die Wirtschaft zu fördern, kann Merics-Chefvolkswirt Zenglein dagegen nicht erkennen. „Langfristig setzt die KP geopolitische Prioritäten, keine wirtschaftspolitischen“, sagt er. Deshalb folge ihre Politik einer anderen Logik, als es die chinesische Wirtschaft bräuchte.
Beugen sich deutsche Unternehmen dem Druck Pekings?
Das haben auch deutsche Unternehmen erkannt. In der Umfrage der AHKn ebenso wie der von PWC sehen acht von zehn Befragten in den Folgen der geopolitischen Spannungen zwischen Peking und Washington die größte Herausforderung für ihr Geschäft. Diese bekommen sie neben der Einmischung durch die Politik durch den von Peking ausgeübten Druck zu spüren, möglichst viele Unternehmensbereiche in der Volksrepublik anzusiedeln. Dem beugen sich deutsche Unternehmen anders als Wettbewerber aus anderen Staaten meist.
Das ist grundsätzlich nicht verkehrt – wie das Beispiel von EBM-Papst zeigt. Der Hersteller von Lüftungstechnik und Ventilatoren aus dem fränkischen Mulfingen erwirtschaftet in der Volksrepublik 13 Prozent seiner 2,5 Milliarden Euro Jahresumsatz. „Um in China im Wettbewerb mithalten zu können, kommt es vor allem darauf an, schnell liefern zu können“, berichtet Thomas Nürnberger, der Regionalverantwortliche für Asien, Afrika und den Mittleren Osten bei EBM-Papst. Die nötige Geschwindigkeit erreichen er und seine 1.900 Kollegen in China, indem sie dort von der Entwicklung, über Einkauf und Produktion bis zum Vertrieb alle Funktionen im Unternehmen lokalisieren.
Das sind die Industrietrends 2024
- Welche Herausforderungen gibt es 2024 für die Industrie? Und welche Rolle spielt das 60-Milliarden-Euro-Loch im Bundeshaushalt bei möglichen Investitionen? Die Antworten gibt es hier: "Industrie erklärt: Mit diesen Herausforderungen kämpfen wir"
- Welche Rolle spielt China in den Planungen der Unternehmen? Gibt es Änderungen in der China-Strategie? Wir haben bei VDMA, VDW, ZVEI, Trumpf, Schunk und Bürkert nachgefragt: "Industrie erklärt: So hat sich das China-Geschäft verändert"
- Automatisierung spielt in der Industrie eine immer größere Rolle. Wie das Thema beim Fachkräftemangel hilft, welche Ziele die Unternehmen haben und wie sie die Konjunktur 2024 einschätzen, erfahren Sie hier: "Steigende Automatisierung: Das plant die Industrie"
Local-For-Local-Strategie macht Betriebe resilient und wettbewerbsfähig
„Durch diesen Local-For-Local-Ansatz werden wir aber nicht nur wettbewerbsfähiger, sondern auch so flexibel, dass wir auf politische und geopolitische Entwicklungen reagieren können, die wir nicht in der Hand haben“, führt Asien-Chef Nürnberger aus. Zugleich entlaste die Lokalisierung die globalen Transportketten des Unternehmens. „Die Notwendigkeit für viele Transporte entfällt einfach“, sagt Nürnberger. Auch wenn Handelsrouten wie derzeit das Rote Meer im Zuge von Israels Krieg gegen die Palästinenser unsicher werden, raubt ihm das nicht den Schlaf. Außerdem wird EBM-Papst so wohl schon weit vor der angekündigten Zielmarke im Jahr 2030 klimaneutral.
„Nicht zuletzt sparen wir uns Transportkosten und Importzölle“, so Nürnberger. „Dadurch können wir die Kosten für höhere Lagerbestände sowie manch redundante Struktur ein bisschen gegenfinanzieren.“
Insgesamt investiert EBM-Papst im Zuge der Lokalisierung 25 Millionen Euro in China. Weitere 30 Millionen Euro fließen in ein neues Werk in Indien und den Ausbau der Asienzentrale in Singapur, um Kunden in der Region unabhängig von den Fabriken in China beliefern zu können.
Die Franken sind nicht die einzigen, die auf Lokalisierung setzen. „Auch viele unserer Kunden verfolgen in China wie in anderen asiatischen Märkten Local-For-Local-Strategien“, erklärt Nürnberger. Derzeit entstehe weltweit ein Business-Ökosystem, das auf Glokalisierung setze – also darauf, internationales Geschäft mit lokal weitgehend autonomen Strukturen zu betreiben.
Exportgeschäft kleiner und mittelständischer Unternehmen leidet
Das kann sich aber nicht jeder leisten. Das Chinageschäft von Klein- und kleineren mittelständischen Unternehmen läuft traditionell im Export. Diese Betriebe stellen das Gros der Firmen im Maschinenbau. Im Schnitt hat ein Unternehmen in der Branche laut deren Verband VDMA 130 Mitarbeitende
Diese Firmen leiden, wenn größere Kunden ihre Fertigung und den Einkauf dafür zunehmend in China ansiedeln. „Der Trend zur Lokalisierung von Produktion nicht nur in China, sondern auch in anderen Weltregionen, geht mittel- und langfristig zu Lasten des Exports aus Deutschland“, erklärt Merics-Ökonom Max Zenglein. Die gängige These, dass Investitionen in der Volksrepublik automatisch auch dem Standort Deutschland nutzen, sei daher nicht mehr haltbar.
„Im vergangenen Jahr sind die deutschen Ausfuhren nach China um beträchtliche neun Prozent eingebrochen“, bestätigt Jürgen Matthes vom IW. Die Win-Win-Situation, in der sich deutsche Unternehmen einst befanden, als sie die Ausrüstung lieferten, die China für seine wirtschaftliche Entwicklung brauchte, weiche daher zunehmend einer Win-Loose-Situation.
„Denn es gehen nicht nur die Ausfuhren deutscher Exporteure in die Volksrepublik zurück, wenn deren Führung und vor allem die Sorge vor geopolitischen Konflikten deutsche Unternehmen zunehmend zur Lokalisierung in China bringen“, erklärt Matthes. „Chinesische Wettbewerber sind inzwischen auch so stark und innovativ, dass sie deutschen Unternehmen auf dem Weltmarkt Exportanteile wegnehmen. Was nicht nur an einer größeren Innovationskraft, sondern oft auch daran liegt, dass die chinesische Konkurrenz stark subventioniert wird oder wurde.“
Dass die chinesische Wirtschaft derzeit trotzdem kaum wächst, ist da ein schwacher Trost.
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