Der Krieg in der Ukraine könnte auch die deutsche Autobranche betreffen. Die Unternehmen unterhielten 49 Fertigungsstandorte von Zulieferern und Herstellern in Russland und der Ukraine, teilte der Verband der Automobilindustrie (VDA) am Donnerstag (14.02.2022) mit. "Die Folgen für die Unternehmen und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind derzeit noch nicht konkret absehbar", sagte Verbandspräsidentin Hildegard Müller. "Ein Abbruch der Lieferketten hätte ebenfalls negative Auswirkungen."
Derzeit seien die Auswirkungen des Konflikts begrenzt. Im vergangenen Jahr hätten die deutschen Hersteller knapp 40.000 Fahrzeuge nach Russland und in die Ukraine exportiert, 1,7 Prozent aller aus Deutschland ausgeführten Autos.
Müller hob hervor: "Wir denken an die Menschen in der Ukraine, unsere europäischen Nachbarn." Oberstes Gebot sei ihre Sicherheit und ihr Recht auf eine friedliche Entwicklung ihres Landes. "Ökonomische Fragen treten für uns dahinter heute zurück."
Für diese Autobauer ist der russische Automarkt besonders wichtig
Während die Ukraine laut dem Branchenkenner Stefan Bratzel als Automobilmarkt keine relevante Rolle spielt, galt Russland lange Zeit als wichtiger Zukunftsmarkt, der im Jahr 2012 mit 2,8 Millionen abgesetzten Autos sich sogar dem Niveau des deutschen Marktes annäherte. Allerdings stagniert der russische Automobilmarkt seit dem Jahr 2015 zwischen 1,4 und 1,8 Millionen Fahrzeugen.
Im Jahr 2021 wurden in Russland rund 1,67 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge abgesetzt. Damit kommt Russland laut Bratzel nach Südkorea und vor Frankreich und Großbritannien auf Rang 8 der weltweit größten Automobilmärkte.
Absatzstärkste Herstellergruppen im Jahr 2021 waren Hyundai-Kia mit rund 380.000 Fahrzeugen sowie Avtovaz (Lada) mit 351.000 und die Renault-Nissan-Mitsubishi-Allianz mit 212.000 Fahrzeugen, wobei Renault seit 2017 auch einen Mehrheitsanteil an Avtovaz besitzt.
Unter den deutschen Herstellern hat die Volkswagen-Gruppe mit 204.000 Fahrzeugen einen Marktanteil von 12 Prozent, während BMW und Mercedes mit einem Marktanteil von rund 3 Prozent, was rund 49.000 beziehungsweise 50.000 in Russland verkauften Autos entspricht.
Die zu erwartenden wirtschaftlichen Sanktionen treffen laut Bratzel insofern neben dem Hyundai-Konzern die Renault-Nissan-Mitsubishi-Kooperation sowie auch die Volkswagen Gruppe am stärksten. Da die Marktrelevanz von Russland für Volkswagen jedoch nur bei 2 Prozent liegt (Russlandabsatz im Verhältnis zum Gesamtabsatz), sind die negativen direkten Absatzeffekte ähnlich wie bei BMW und Mercedes-Benz jedoch als moderat einzuschätzen. Renault-Nissan-Mitsubishi ist dagegen aufgrund der hohen Absatzanteile der Gruppe sowie des russischen Tochterunternehmen Avtovaz wirtschaftlich am stärksten betroffen.
Russische Autoindustrie produziert hauptsächlich für den eigenen Markt
Russland besitzt eine Automobilproduktion mit insgesamt 34 Produktionsanlagen für Pkw, Lkw, Vans, Busse und Motoren, die jedoch überwiegend für den eigenen inländischen Markt produzieren. Im Jahr 2020 beziehugsweise 2019 wurden 1,4 Millionen respektive 1,65 Millionen Fahrzeuge hergestellt. Im Vor-Coronajahr 2019 wurden jedoch weniger als 50.000 Pkw exportiert. Der gesamte Exportwert der russischen Automobilindustrie lag im Jahr 2019 bei 3,3 Milliarden US-Dollar. Der Importwert lag dagegen bei 20 Milliarden US-Dollar.
Grundsätzlich müsse aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges und der anstehenden Sanktionen mit erheblichen Störungen der Lieferkette der Produktion in Russland gerechnet werden, so Branchenkenner Bratzel. Besonders betroffen dürfte die Renault-Gruppe mit seinen Autowerken im Land sein. Aber auch Volkswagen und andere Hersteller betreiben Fahrzeugwerke in Russland, wie zum Beispiel Mercedes-Benz. Das Stuttgarter Unternehmen hat seit Mitte 2019 ein Produktionswerk in der Nähe von Moskau in Betrieb. Das Unternehmen investierte in den Standort insgesamt mehr als 250 Millionen Euro. Über 1.000 Mitarbeiter arbeiten in Produktion und Verwaltung des Werks.
Mercedes, wie auch die meisten anderen Werke sind für die Fahrzeugproduktion zu hohen Anteilen von der Teilebelieferung aus dem Ausland angewiesen. Die absehbaren Sanktionen könnten in kurzer Frist zu einem Stopp der Teileversorgung aus Europa und auch aus anderen Ländern führen. Damit droht der Stillstand der Produktionsbänder in Russland.
Russland und die Ukraine spielen wiederum als Zulieferer-Standort der globalen Automobilindustrie nur eine untergeordnete Rolle. Aber auch hier könnten Störungen der Lieferkette eintreten. Aufgrund der komplexen Wertschöpfungsnetzwerke der Automobilindustrie könnten Zulieferer vorgelagerter Produktionsstufen negativ betroffen sein, was in der Folge zu Engpässen in der Teileversorgung der europäischen Werke führen kann.
Autoindustrie-Experte Stefan Bratzel kommentiert: „Russland wird lange Zeit als wichtiger Absatzmarkt und Produktionsstandort für die Automobilindustrie ausfallen. Zwar sind die konkreten Effekte des Krieges und der anstehenden Sanktionen noch nicht genau abzusehen. Allerdings dürfte das Anlagevermögen von Automobilherstellern und Zulieferern in Russland erheblich an Wert verlieren. Die Automobilindustrie wird für viele Jahre keine relevanten Investitionen in Russland tätigen. Allerdings ist auch mit erheblichen indirekten Folgen für die Automobilbranche in Deutschland und Europa zu rechnen. So werden in den nächsten Jahren nicht zuletzt aufgrund der Verteuerung der Energie- und Mineralölpreise die Kosten für die Automobilproduktion und für die Autonutzung steigen.“
Mit Material von dpa und dem Center of Automotive Management
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