Merz und Macron wollen Einigung
FCAS: Machtkampf in Europas größtem Rüstungsprojekt
Frankreich, Deutschland und Spanien ringen um Macht und Einfluss beim größten Rüstungsprojekt Europas: dem Future Combat Air System (FCAS). Ein Konflikt mit politischen, industriellen und sicherheitspolitischen Sprengkräften.
FCAS, hier eine digitalisierte Darstellung, soll ein Luftkampfsystem werden, dass die Kooperation verschiedener Elemente nutzt.
(Bild: Airbus)
Was ist FCAS?
Das „Future Combat Air System“ (FCAS) ist das ambitionierteste Rüstungsprojekt Europas. Ziel ist die Entwicklung eines hochmodernen Luftkampfsystems, das ab dem Jahr 2040 den Eurofighter (Deutschland und Spanien) und die Rafale (Frankreich) ablösen soll. FCAS umfasst nicht nur ein bemanntes Kampfflugzeug, sondern auch Drohnen (sogenannte „Remote Carriers“) sowie eine vernetzte Gefechtsführung mittels Cloud-Technologien. Es ist somit ein Systemverbund aus fliegenden Plattformen, Künstlicher Intelligenz und Echtzeit-Kommunikation – ein Symbol für die Verteidigungssouveränität Europas im 21. Jahrhundert.
Mit geschätzten Gesamtkosten im dreistelligen Milliardenbereich (aktuell werden rund 100 Milliarden Euro genannt) ist FCAS nicht nur ein militärisches, sondern auch ein industriepolitisches Mega-Vorhaben, das drei führende Nationen der europäischen Luftfahrt – Frankreich, Deutschland und Spanien – gemeinsam stemmen wollen. Doch die politische Einigkeit ist ins Wanken geraten.
Der Kern des Streits: Führungsrolle, Industrieverteilung und nationales Interesse
Im Zentrum des Konflikts steht die Frage, wer das Sagen bei FCAS hat – und wer welchen Anteil an der industriellen Wertschöpfung erhält. Ursprünglich hatten sich Frankreich (vertreten durch Dassault Aviation), Deutschland (Airbus Deutschland) und Spanien (Indra Sistemas) auf eine gleichberechtigte Aufteilung des Projekts geeinigt: ein Drittel pro Land.
Führungsanspruch von Dassault
Das französische Unternehmen Dassault reklamiert jedoch eine dominierende Rolle, sowohl technisch als auch organisatorisch. In der Fachpresse war zeitweise von Forderungen nach bis zu 80 % Projektanteil die Rede – was Dassault inzwischen zurückweist, ohne den Wunsch nach einer zentralen Führung aufzugeben. Der Grund: Man sehe in einem klar geführten Top-Down-Modell bessere Chancen auf Effizienz, Geschwindigkeit und technologische Exzellenz.
Widerstand aus Deutschland
Airbus Deutschland und die Bundesregierung bestehen hingegen auf den bisherigen Vereinbarungen. Sie favorisieren ein kooperatives Vorgehen mit gemeinsam ausgehandelten Entscheidungen. Das französische Modell einer strikten Hierarchie wird in Berlin als Risiko für die industrielle Gleichstellung betrachtet. Zudem wäre ein überproportionaler französischer Einfluss auch ein innenpolitisches Problem – schließlich sind Milliarden an Steuergeldern gebunden, die auch deutsche Arbeitsplätze sichern sollen.
Politische Eskalation und Gipfeldiplomatie
Mittlerweile hat der Streit höchste politische Ebenen erreicht. Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärten das Thema zur Chefsache. Beim Gipfeltreffen in der Villa Borsig am Tegeler See beauftragten sie ihre Verteidigungsminister, bis Ende August 2025 eine „realistische Perspektive“ für die weitere Zusammenarbeit zu erarbeiten. Die finale Klärung wird zur gemeinsamen Kabinettssitzung am 28. und 29. August in Toulon erwartet.
Der deutsche Regierungssprecher betonte nach dem Treffen: Man erwarte von Dassault, dass sich das Unternehmen an die ursprünglichen Vereinbarungen halte. Frankreich hingegen betont die Notwendigkeit von Tempo und Effizienz, um das Projekt nicht im Koordinierungsdschungel zu verlieren.
Zeichen der Entspannung?
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zeigte sich zuletzt demonstrativ zuversichtlich. In einem gemeinsamen Auftritt mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu in Osnabrück betonte er: „Ich bin davon überzeugt, dass eine Stärkung der europäischen Verteidigungsbereitschaft nur im engen deutsch-französischen Schulterschluss überhaupt gelingen kann.“ Der politische Wille zur Einigung sei da, die technischen Differenzen ausräumbar.
Gleichzeitig machte Pistorius klar, dass Klarheit noch in diesem Jahr geschaffen werden müsse – zu wichtig sei das Projekt für die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Europas.
Bedeutung von FCAS für Europas Verteidigungsindustrie
FCAS ist nicht nur ein Projekt der Luftwaffe – es ist ein Lackmustest für die Fähigkeit Europas, große gemeinsame Rüstungsprojekte erfolgreich zu realisieren. Der Streit zwischen Dassault und Airbus offenbart strukturelle Schwächen in der europäischen Verteidigungskooperation: divergierende industrielle Interessen, nationale Empfindlichkeiten, Führungsansprüche und die Schwierigkeit, auf Augenhöhe zu kooperieren.
Ein Scheitern des Projekts wäre ein schwerer Schlag für die europäische Verteidigungsautonomie – und ein geopolitisches Signal an die USA, China und Russland. Eine Einigung hingegen könnte zum Modell für weitere gemeinsame Entwicklungen werden, etwa im Bereich Panzer (MGCS) oder Weltraumüberwachung.
Mit Material der dpa