
Die Radhaubitze RCH 155 von KNDS soll bald auch in der Bundeswehr zum Einsatz kommen. (Bild: KNDS)
Wie unterscheidet sich die Radhaubitze RCH 155 von anderen Artilleriesystemen?
Das Artilleriesystem RCH 155 (Remote Controlled Howitzer) vereint bewährte Technologie der Panzerhaubitze 2000 mit dem hochgeschützten Radfahrzeug Boxer. Der Clou: Der vollautomatische Turm ist unbemannt. Dadurch sinkt der Personalbedarf auf nur zwei Besatzungsmitglieder – Kommandant und Fahrer. Zudem ermöglicht die Autonomie des Systems eine bislang unerreichte Flexibilität auf dem Gefechtsfeld.
Im Gegensatz zu klassischen Panzerhaubitzen benötigt die RCH 155 keine lange Vorbereitungszeit vor dem Schuss. Sie kann aus der Bewegung feuern und direkt nach einem Angriff die Position wechseln – ein enormer Vorteil in asymmetrischen Konflikten, in denen Artillerieeinheiten besonders gefährdet sind.
Das Boxermodul bietet der Besatzung dabei den besten Schutz vor Minen, IEDs und ballistischen Bedrohungen. Auch ABC-Schutzsysteme gehören zur Standardausstattung.
Welche technischen Merkmale zeichnen die RCH 155 aus?
Das Herzstück der RCH 155 ist die 155-mm-L52-Rohrwaffe, die bereits in der Panzerhaubitze 2000 zum Einsatz kommt. Allerdings erreicht die RCH 155 eine wesentlich höhere Automatisierungsstufe. Sämtliche Feuerleit- und Ladesysteme arbeiten vollautomatisch.
Technische Highlights im Überblick:
- Feuerrate: über 8 Schuss pro Minute
- Reichweite: bis zu 54 Kilometer (je nach Munitionstyp)
- 360°-Schussbereich: Azimut mit vollem Ladepotenzial ohne Abstützung
- Munitionsvorrat: 30 bezünderte Geschosse und 144 modulare Treibladungen
- Zünderprogrammierung: vollautomatisch während des Ladevorgangs
- Gefechtsgewicht: unter 39 Tonnen
- Motorleistung: bis zu 815 PS
- Straßengeschwindigkeit: über 100 km/h
- Einsatzreichweite: über 700 Kilometer
Das autonome Geschossladesystem und die elektronische Zünderprogrammierung während des Ladevorgangs sind zentrale Innovationen. Hinzu kommt eine präzise Navigationseinheit, die auch ohne GPS funktioniert – wichtig für den Einsatz in Gebieten, in denen Satellitenverbindungen gestört werden könnten.
Wie stärkt die RCH 155 die ukrainische Artillerie?
Die Ukraine ist der erste Nutzer der RCH 155 und erhält insgesamt 54 dieser Systeme. Die ersten sechs Einheiten werden noch im Jahr 2025 geliefert. Der Vertrag über die Lieferung von 18 Radhaubitzen wurde bereits 2022 unterzeichnet, 2023 folgte die Bestellung von weiteren 36 Systemen.
Das Besondere: Die RCH 155 wird damit vor der Bundeswehr an die ukrainischen Streitkräfte ausgeliefert. Dies zeigt, wie hoch der Bedarf in der Ukraine eingeschätzt wird.
Die Kombination aus hoher Mobilität und autonomer Feuerkraft verschafft den ukrainischen Artillerieverbänden einen deutlichen taktischen Vorteil. Während herkömmliche Artillerie häufig schnell durch gegnerischen Beschuss ausgeschaltet werden kann, bietet die RCH 155 ein Höchstmaß an Überlebensfähigkeit im Gefecht.
Welche Rolle spielt die RCH 155 für die Bundeswehr?
Auch Deutschland plant, die RCH 155 in seine Streitkräfte einzuführen. Das System soll ein zentraler Baustein der mittleren Kräfte des Heeres werden.
Die Beschaffung wird über das Sondervermögen der Bundeswehr finanziert. Insgesamt sind 80 Systeme für die Bundeswehr vorgesehen. Deutschland und Großbritannien haben zudem eine enge Kooperation bei der Weiterentwicklung und Beschaffung der Radhaubitze beschlossen. Ziel ist es, das System gemeinsam zu evaluieren, zu optimieren und an die spezifischen Anforderungen beider Länder anzupassen.
Bereits im April 2024 gaben die Regierungschefs beider Länder bekannt, dass das System nicht nur militärische Schlagkraft erhöht, sondern auch hunderte Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie sichern wird.
Welche Munitionstypen kommen zum Einsatz?
Die RCH 155 ist auf NATO-Standardmunition ausgelegt. Zum Einsatz kommen die bewährten JBMoU-kompatiblen Geschosse sowie die hochpräzise V-LAP-Munition (Velocity-Enhanced Long Range Projectile), die Reichweiten von bis zu 54 Kilometern ermöglicht.
Für die Zukunft ist das System bereits auf die Nutzung neuer Munitionsarten vorbereitet, darunter die VULCANO-Munition, mit der Reichweiten von bis zu 70 Kilometern erreicht werden können.
Das vollautomatische Feuerleitsystem berücksichtigt alle Ladungsarten und Munitionstypen in einer digitalen Munitionsmatrix, was einen schnellen und reibungslosen Schusswechsel ermöglicht.
Welche neuen Einsatzszenarien eröffnet die RCH 155?
Durch ihre vollständige Autonomie in Navigation und Feuerleitung eröffnet die RCH 155 neue Einsatzoptionen, die mit traditionellen Artilleriesystemen nicht realisierbar wären.
Einsatzmöglichkeiten der RCH 155:
- Schießen auf bewegliche Ziele: Die Kombination aus autonomer Navigation und präziser Feuerkontrolle ermöglicht das Verfolgen und Bekämpfen von Zielen in Bewegung.
- Lagerschutz: Die RCH 155 kann in kürzester Zeit auf Bedrohungen reagieren und dabei aus der Deckung heraus feuern.
- Netzwerkbasierte Gefechtsführung: Die Radhaubitze ist vollständig in moderne Gefechtsführungssysteme integriert. Dies erlaubt einen datengestützten Einsatz und eine optimale Abstimmung mit anderen Einheiten auf dem Gefechtsfeld.
Warum ist die RCH 155 zukunftsweisend?
Die Radhaubitze RCH 155 kombiniert alle essenziellen Merkmale moderner Artillerie in einem System: hohe Feuerkraft, umfassender Schutz der Besatzung, maximale Mobilität und volle Automatisierung.
Dank der Netzwerkanbindung und der Möglichkeit zur Implementierung von autonomen Fahr- und Feuerfunktionen gilt die RCH 155 als das modernste radbasierte Artilleriesystem weltweit.
Zentrale Vorteile:
- Geringe Personalanforderungen (nur 2 Personen)
- Schnell einsatzbereit und hochmobil
- Große Reichweite und hohe Zielgenauigkeit
- Schutz gegen Minen, IEDs und ABC-Bedrohungen
- Vollständige Integration in moderne Gefechtsführungssysteme
Weitere Artillerie-Unterstützung für die Ukraine
Neben der RCH 155 hat Deutschland bereits 25 Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine geliefert. Insgesamt wurden von den internationalen Partnern 36 dieser Artilleriesysteme an die ukrainischen Streitkräfte übergeben.
Darüber hinaus wird die Ukraine bis 2027 weitere 18 neugefertigte Panzerhaubitzen 2000 erhalten. Dies wird die ukrainische Artillerie auf insgesamt 54 Panzerhaubitzen 2000 erweitern – ebenfalls die Größe von drei Artilleriebataillonen.
Deutschland hat zudem über 420 ukrainische Soldaten in verschiedenen Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr geschult. Diese haben bewiesen, dass sie neue Technologien schnell beherrschen und effektiv einsetzen können.
Mit Material des BMVg und von KNDS