Umwelt und Energiegewinnung - Grüner Wasserstoff- Tank auf dem Planeten Erde

Ein zügiger Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist für die Versorgungssicherheit in Deutschland essenziell. (Bild: Mediaparts - stock.adobe.com)

Die Invasion Russlands in die Ukraine hat die Gaspreise für Industriekunden nochmals dramatisch steigen lassen. Schon seit Sommer 2021 haben die Energiepreise im Großhandel stark zugelegt. Diese sind laut dem Bundesverband der Energieabnehmer (VEA) in den vergangenen sechs Monaten um mehr als 115 Prozent gestiegen. Im Vergleich zu Oktober 2020 hätten sich diese sogar vervierfacht, teilte der Verband Ende März mit. Erste Unternehmen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits aufgrund des Preisniveaus ihre Produktion gedrosselt beziehungsweise sogar Werke stillgelegt.

Aufgrund des russischen Angriffskriegs sind die Bestrebungen groß, die Lieferbeziehungen zu diversifizieren. Hier sind jedoch die Potenziale eingeschränkt. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lassen sich rund 50 Prozent des russischen Erdgases kurzfristig ersetzen oder substituieren. Dies entspricht etwa 20 Prozent des Jahresgasbedarfs in Deutschland. Dabei sind die Möglichkeiten in den Einsatzgebieten unterschiedlich. Bezogen auf den gesamten jeweiligen Gasbedarf liegen diese Potenziale im Bereich der Haushalte bei 15 Prozent, im Bereich Handel und Dienstleistungen (GHD) bei zehn Prozent und in der Industrie bei acht Prozent. Mittel- bis langfristig sind laut BDEW durch Umrüstungen, Energieträgerwechsel oder Effizienzmaßnahmen weitere Optionen erschließbar.

Ukraine-Krieg: Alle wichtigen Informationen für die Industrie

Flaggen von der Ukraine und Russland
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Der Ukraine-Krieg hat die Welt verändert und hat auch Auswirkungen auf die deutsche Industrie und Wirtschaft. Hier finden Sie weitere Informationen:

 

Wasserstoff: Europa könnte seine Nachfrage weitgehend selbst decken

Ein Energieträger mit großem Potenzial ist Wasserstoff. Kein Wunder, dass Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) reiste mit dem Ziel, die Wasserstoffkooperation zu verstärken und zu beschleunigen. Die VAE verfügen über gute Voraussetzungen hinsichtlich einer kostengünstigen Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien und wollen bereits in diesem Jahr erste Wasserstofflieferungen nach Deutschland ermöglichen. „Der beschleunigte Ausbau von Wasserstoffversorgungsketten ist ein ganz zentraler Schlüssel für den Übergang zu nachhaltiger Energie“, betonte der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz während seines Besuchs.

Um die zu erwartende erheblich steigende Wasserstoffnachfrage zu decken, muss man jedoch nicht unbedingt auf andere Kontinente blicken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute ISI, IEG und ISE sowie der Ruhr-Universität Bochum, des IASS Potsdam, des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik sowie der ESA² GmbH haben im Rahmen eines Impulspapiers ermittelt, dass Europa seine Wasserstoffnachfrage weitgehend selbst decken könnte.

Für 2030 rechnet die EU mit einer Gesamtwasserstoffnachfrage in Höhe von 670 Terrawattstunden (TWh) beziehungsweise 2.250 TWh für 2050. Dem stehe ein erschließbares Potenzial zur grünen Wasserstofferzeugung von 5.000 bis 6.000 TWh gegenüber. Der Strom für die Elektrolyse würde insbesondere durch Photovoltaik und solarthermische Anlagen im Süden und Windkraftanlagen im Norden gedeckt werden. Und auch die Ukraine selbst besitzt laut Impulspapier langfristig viel Potenzial zur regenerativen Herstellung von grünem Wasserstoff – potenziell bis 1.400 TWh bis 2050. Voraussetzung sei jedoch, dass die Ukraine ein freies, unbesetztes Land bleibt.

Das steckt hinter "H2ercules"

Und auch hierzulande wurden die Aktivitäten rund um das häufigste und leichteste chemische Element im Universum in den vergangenen Wochen nochmals intensiviert. Um den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland deutlich zu beschleunigen, haben der Gasnetzbetreiber OGE und der Energiekonzern RWE Ende März das nationale Infrastrukturkonzept „H2ercules“ präsentiert.

Das Vorhaben mit einem geschätzten Investitionsvolumen von rund 3,5 Milliarden Euro soll Elektrolyseure sowie Speicher- und Importmöglichkeiten für grünen Wasserstoff im Norden mit industriellen Endverbrauchern im Westen und Süden Deutschlands verbinden. Weitere in Entwicklung befindliche Importrouten aus dem Süden und Osten sollen bis 2030 angeschlossen werden. Laut der beiden Initiatoren kann H2ercules das Rückgrat einer Wasserstoffinfrastruktur von der Nordseeküste bis nach Süddeutschland werden. Erste Großunternehmen wie Thyssenkrupp haben bereits ihr Interesse signalisiert, an ein solches Netz angeschlossen zu werden.

Wasserstoff: Sunfire baut seine Fertigungskapazitäten aus

„Wegen seines Potenzials zur Dekarbonisierung energieintensiver Industrien hat sich grüner Wasserstoff innerhalb kürzester Zeit von einem strittigen Hoffnungsträger zum festen Baustein der Energiewende entwickelt“, heißt es beim Elektrolyseur-Produzenten Sunfire. Entsprechend rasant steigt die Nachfrage nach dem Gas, das beim Aufspalten von Wasser in Elektrolyseuren erzeugt wird. Deren installierte Leistung soll in der EU bis zum Jahr 2030 von derzeit knapp 0,2 Gigawatt (GW) auf 40 GW wachsen. Vor diesem Hintergrund baut Sunfire mit Hochdruck seine Fertigungskapazitäten aus. Gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie bereitet das Dresdener Unternehmen seine Technologien auf die industrielle Produktion im Gigawatt-Maßstab vor. Dafür stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über das Leitprojekt H2Giga umfangreiche Mittel zur Verfügung.

Unter der Leitung von Sunfire erhalten 15 Verbundpartner 33 Millionen Euro, um Fertigungsprozesse aufzubauen und den Markthochlauf der innovativen Hochtemperatur-Elektrolyseure (SOEC) zu optimieren. Durch die Nutzung von Abwärme aus industriellen Prozessen benötigen die Elektrolyseure der Dresdner nach eigenen Angaben im Vergleich zu anderen Technologien bis zu 30 Prozent weniger Strom, um ein Kilogramm Wasserstoff zu erzeugen.

Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie

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Um die klimaneutrale Industrie auch  real werden zu lassen, benötigt es regenerative Energien. Welche Erneuerbaren Energien es gibt und wie deren Nutzen in der Industrie am höchsten ist, lesen Sie hier.

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MAN investiert ebenfalls in Wasserstoff

Und auch das Technologieunternehmen MAN Energy Solutions hat reagiert. Der Maschinen- und Anlagenbauer hat Anfang März angekündigt, in den kommenden Jahren bis zu 500 Millionen Euro in sein Tochterunternehmen H-Tec Systems zu investieren, um den Wasserstoffspezialisten so schnell wie möglich zu einem Großserienhersteller für PEM(Protonen-Austausch-Membran)-Elektrolyseure zu entwickeln. „Auf dem Weg zur Klimaneutralität spielt Wasserstoff für Sektoren wie die internationale Schifffahrt oder industrielle Prozesse, bei denen eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist, eine Schlüsselrolle“, betont der Aufsichtsratsvorsitzende von MAN Energy Solutions und Mitglied des Volkswagen-Konzernvorstandes, Gunnar Kilian. In den nächsten Jahren geht man bei MAN von einer Hochskalierung der Technologie aus. „Wir rechnen zunehmend mit Projekten in der Größenordnung von mehr als 100 MW und mittelfristig über einen auch strukturell veränderten Markt für Multi-Gigawatt-Großanlagen“, heißt es aus der Unternehmenszentrale in Augsburg.

Unternehmen wollen wettbewerbsfähiges Elektrolysesystem in Serie entwickeln

Wesentlich kleinere Brötchen werden im Projekt „EcoLyzer BW“ gebacken. Bei dem im Januar gestarteten Vorhaben planen das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und das Unternehmen Ecoclean, ein international wettbewerbsfähiges Elektrolysesystem in Serie zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Laut Tonja Marquard-Möllenstedt, vom Fachgebiet Regenerative Energieträger und Verfahren beim ZSW ist ein alkalisches Elektrolysesystem mit einer Einzelmodulgröße von etwa einem Megawatt (MW) geplant, das sich modular bis zu Leistungsklassen von zehn MW skalieren lässt. Laut ihrer Einschätzung besteht derzeit F&E-Bedarf vor allem bei den Skalierungskonzepten, der Integration von Elektrolyseanlagen in Produktionsstandorte, Kostensenkung sowie Effizienzverbesserung.

Ihr Kollege Andreas Püttner sieht große Marktpotenziale in Deutschland, speziell für die Produktion und den Export von Elektrolysesystemen und -komponenten. Das deutsche Industrieprofil passe gut zur Komponentenstruktur der Elektrolysetechnologie und biete deshalb erhebliche wirtschaftliche Chancen für hiesige Unternehmen. „Die Fertigung von Elektrolysesystemen und -komponenten erfordert Kenntnisse und Verfahren wie sie in Deutschland in besonderem Maße vorhanden sind“, ergänzt Peter Bickel, der ebenso wie sein Kollege Püttner im Fachgebiet Systemanalyse beim ZSW arbeitet.

Mann arbeitet an einem Elektrolysesystem
Im Projekt „EcoLyzer BW“ planen das Unternehmen Ecoclean und das Forschungszentrum ZSW, ein wettbewerbsfähiges Elektrolysesystem in Serie zu entwickeln. (Bild: ZSW)

Auf Ebene der Fertigungstechnologien sind Spritzgussverfahren, aber auch Metall- und Kunststofferzeugung und -bearbeitung einschließlich Oberflächenbeschichtungen besonders relevant. Aktuell steht die Umstellung der Produktionsweise von der bisherigen Manufaktur- auf eine Serienfertigung im Fokus.

Pickel adressiert die damit verbundenen Herausforderungen so: „Es ist zugleich wichtig, Anlagengrößen und -fertigungskapazitäten zügig zu skalieren, so dass wirkliche Wasserstofffabriken aufgebaut werden können. Unterstützt werden sollte diese Entwicklung durch eine Automatisierung von Produktionsschritten.“

Elektrolyseurfabrik im Gigawatt-Maßstab

Genau das, eine durchgängig automatisierte Elektrolyseurfabrik, hat sich ein Forschungsteam am Fraunhofer IPA im Projekt "Industrialisierung der PEM-Elektrolyse-Produktion" (PEP.IN) vorgenommen. Ein Elektrolyseur besteht aus zwei Elektroden – der positiv geladenen Anode und der negativ geladenen Kathode – und einem Separator, in diesem Fall einer PEM. Um die Leistung zu erhöhen, werden viele Elektrolysezellen zu einem sogenannten Stack gestapelt. Dieses Stacking geschieht bisher noch größtenteils in Handarbeit, könnte in Zukunft aber von Robotern erledigt werden.

„Ziel ist eine automatisierte Elektrolyseurfabrik im Gigawatt-Maßstab“, sagt Friedrich-Wilhelm Speckmann vom Zentrum für digitalisierte Batteriezellenproduktion (ZDB) am Fraunhofer IPA. Das bedeute, dass die innerhalb eines Jahres produzierten Elektrolyseure eine aufaddierte Nominalleistung von mindestens einem Gigawatt haben sollen.

Nach seiner Einschätzung geht die Tendenz der Gesamtanlagen „ganz klar in den zweistelligen Megawatt Bereich“. Dabei sollen möglichst genormte Stacks zu flexiblen Gesamtsystemen verschaltet werden, die sich in variierenden Anwendungen einsetzen lassen. Experte Speckmann benennt neben technischen auch personelle Herausforderungen: „Es gibt aktuell wenige Fachkräfte mit Kompetenzen im Wasserstoffbereich. Hier muss es mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten geben“, fordert er.

Um die automatisierte Elektrolyseurfabrik verwirklichen zu können, bauen die Projektpartner zunächst eine Fertigungslinie nach dem aktuellen Stand der Technik auf. Die Marktpotenziale für den Standort Deutschland bezeichnet Experte Speckmann „bei diesen komplexen Fertigungsprozessen“ als vielversprechend. Allerdings müssten die aktuellen, manuellen Prozessschritte automatisiert und hochskaliert werden. Nur dann könnten die Kosten gesenkt und die notwendige Stückzahl realisiert werden.

Dabei wollen die WissenschaftlerInnen diverse offener Fragestellungen angehen. Etwa welche Robotertopologie sich für das Stacking am besten eignet oder die Art und Weise und die Geschwindigkeit der Greifprozesse durch die Roboter, um die sensiblen Komponenten nicht zu beschädigen. Bis Ende März 2025 will das Institut gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie Antworten im Projekt PEP.IN auf diese und diverse weitere Fragen finden. Das Vorhaben ist Teil des Leitprojekts „H2Giga“, einem von drei Wasserstoff-Großprojekten des BMBF, die zur Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie aufgesetzt wurden.

Platz sowohl für neue wie auch etablierte Unternehmen scheint reichlich vorhanden. Das ZSW schätzt, dass weltweit derzeit lediglich etwa zehn Unternehmen am Markt agieren, die kommerzielle Elektrolysesysteme im Megawatt-Maßstab entwickeln und anbieten.

Bearbeitet von Anja Ringel

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