Sind die gesamten CO2-Emissionen einer Lieferkette sichtbar, lassen sich an den Schwachstellen gezielt weitere Verbesserungen erreichen.

Sind die gesamten CO2-Emissionen einer Lieferkette sichtbar, lässt sich an den Schwachstellen mit gezielten Maßnahmen der CO2-Footprint zu möglichst geringen Kosten reduzieren. (Bild: Bartek - stock.adobe.com)

Die indirekten Scope-3-Emissionen entstehen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Deren Reduzierung stellt für Unternehmen oft eine Mammutaufgabe dar, weil sie außerhalb der eigenen Produktionsstätten anfallen, somit schwerer zu messen und nur in indirekter Form zu reduzieren sind. McKinsey hat einen Weg gefunden, die gesamten CO2-Emissionen in der Lieferkette sichtbar zu machen. Auf dieser Grundlage konnte eine Reihe von Branchen ihre Emissionen um zehn bis 60 Prozent reduzieren und gleichzeitig die Kosten um fünf bis 15 Prozent senken, wie die McKinsey-Experten Björn-Uwe Mercker, Eric Hannon und Phillip Wittenberg der Redaktion "Produktion" im Gespräch erläuterten.

Wie entstehen CO2-Emissionen entlang der Lieferkette?

Weltweit fordern Regulatoren immer detailliertere Emissions-Reports von Unternehmen. Sowohl Investoren als auch Konsumenten pochen auf die Umsetzung der festgelegten Dekarbonisierungsziele. Während Scope-1- und 2-Emissionen direkt durch den Verbrauch von Energie vom Unternehmen verursacht werden und damit nachvollziehbar sind, erweisen sich die Scope-3-Emissionen oft als Herausforderung.

„Unternehmen verursachen in aller Regel den Großteil ihrer Scope-3-Emissionen upstream, also entlang der Lieferkette der Materialien“, erläutert Phillip Wittenberg, Senior Asset Leader bei McKinsey. „Scope-3-Emissionen, die durch zugekaufte Güter und Materialien entstehen, sind schwerer zu messen. Sie zu reduzieren, bleibt branchenübergreifend herausfordernd. Spendscape by McKinsey kann als SaaS-Plattform für Einkaufs-Analytik Unternehmen dabei helfen, die benötigte Transparenz zu erzeugen und ihre Dekarbonisierungsziele zu erreichen.“

McKinsey Phillip Wittenberg
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"Unternehmen verursachen in aller Regel den Großteil ihrer Scope-3-Emissionen upstream, also entlang der Lieferkette der Materialien", sagt Phillip Wittenberg, Senior Asset Leader bei McKinsey.

(Bild: McKinsey)

Startpunkt Einkaufs-Transparenz und Anreicherung der Masterdaten

Als Basis dienen Daten aus oftmals diversen ERP-Systemen – von Rechnungen und Bestellungen bis zu Lieferanteninformationen und Katalog-Daten. Bei komplexen Unternehmen mit unterschiedlichen Geschäftsfeldern, multi-regionaler Aufstellung mit inhomogener Systemlandschaft und oftmals unterschiedlichen Taxonomien ist die Harmonisierung der Daten häufig Schlüssel zum Erfolg.

Damit können Fragen beantwortet werden wie: Wie viele Rohmaterialien werden gekauft und sind die Preise dafür angemessen oder könnte man zum selben Preis auf nachhaltigere Alternativen umsteigen? Welche und wie viele Transport-Services nutzt ein Maschinenbauer, von wo fallen Transporte an? „Antworten auf diese Fragen bilden die Basis, um in die Emissionsberechnung einsteigen zu können. Wir ziehen alle relevanten Daten-Punkte eines Unternehmens vollständig zusammen, bereinigen und harmonisieren sie je nach Notwendigkeit und erstellen eine Single-Source-of-Truth, die wiederum zur Emissionsberechnung hergezogen werden kann“, erläutert Wittenberg.

Überblick: CO2-Transparenz in 5 Punkten

  1. Alle Daten von Herstellung bis Transport werden bei der Erstellung der Baseline durch Spendscape by McKinsey herangezogen. Ziel der Analyse mit der SaaS-Software ist es zu veranschaulichen, mit welchen Maßnahmenhebeln wie viel CO2 zu bestmöglichen Kosten reduziert werden kann.
  2. Emissionen werden mit dem Tool in Kategorien mit dem größten Ausstoß, nach Fertigungsstätten oder Ländern heruntergebrochen. Ausgewiesen wird zudem, wie hoch die Emissionen in Summe und nach den drei Scopes ausfallen. Im Maschinenbau macht Scope 3 typischerweise rund 90 Prozent der Gesamtemissionen Der Anteil der Logistik beträgt in Industrieunternehmen in der Regel nur ein bis fünf Prozent.
  3. Feingranulare Analysen machen es möglich, Emissionen bis auf Rechnungsebene zu tracken: Welches Produkt wird in welcher Menge, von welchem Lieferanten, zu welchem Zeitpunkt gekauft? Einzelne Kategorien können auf typischerweise drei bis vier Sub-Level differenziert werden, zum Beispiel für unterschiedliche Arten von Pumpen.
  4. Sind die vorliegenden Masterdaten in unternehmenseigenen Systemen weniger gut gepflegt, können sie beispielsweise mithilfe einer Supplier Knowledge Base nachträglich angereichert werden. Inzwischen helfen GenAI-Tools bei Prognosen.
  5. Die von der Software generierten Ergebnisse sind gut dokumentiert und entsprechen den Industriestandards wie zum Beispiel der ISO 14064 - Quantifizierung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen, sodass sie für Audits geeignet sind. Die Daten werden regelmäßig automatisch aktualisiert, in der Regel durch monatliche Extraktion von Daten aus dem ERP-System.

Wie unterstützt Datenharmonisierung die CO2-Transparenz?

Es sei dabei unterschiedlich, wie gut Daten in den Systemen von Unternehmen gepflegt worden seien. „Wenn die Material-Masterdaten überwiegend in hoher Qualität hinterlegt sind, kann man darauf sehr gut aufbauen. Typischerweise sind die ERP-Systeme überall mit einem guten Mindeststandard gefüllt. Wir haben bis jetzt noch nie den Fall erlebt, mit den vorhandenen Daten nicht arbeiten zu können. Uns stehen immer mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, die Daten zu bereinigen und anzureichern“, so Wittenberg. Inzwischen käme auch generative AI zum Einsatz, die auf den ganzen Daten aufsetzt und eine gute Prognose erstellt, welche Waren oder Dienstleitungen bezogen wurden.

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Reporting – von Spend- zu Consumption-based

McKinsey setzt bei der Analyse der CO2-Emissionen in der Lieferkette insgesamt auf einen zwei-stufigen Ansatz. „Nachdem wir auf Basis der Einkaufsdaten eine Single-Source-of-Truth erstellt haben, starten wir mit einer sogenannten Spend-based-Berechnung. Dabei geht es um ausgabenbasierte Emissionen, will heißen: Ausgaben in beispielsweise Euro oder US-Dollar werden mittels Emissionsfaktoren in ein CO2-Equivalent übersetzt“, sagt Wittenberg. „Wir kuratieren ein Sustainability-Data-Warehouse mit bis zu 300.000 Emissionsfaktoren entlang der gesamten Lieferkette – von Rohmaterial und komplexen Maschinen bis zur Logistik“, so Wittenberg.

Die Methodik basierend auf Ausgaben hat Vorteile, da sie ganzheitlich anwendbar und rasch durchzuführen ist. Allerdings werden Kompromisse bei der Genauigkeit gemacht, da unter anderem Preisfluktuationen und Wechselkurse das Ergebnis beeinflussen. In Summe erlangt ein Unternehmen jedoch eine gute Gesamtübersicht sowie Transparenz bezüglich der Emissions-Hotspots, die genauer betrachtet werden sollten.

Welche Herausforderungen gibt es bei Scope-3-Emissionen?

„Anschließend begutachten wir diese Emissions-Hotspots auf einem Consumption-based-Level im Detail. Wir erstellen Analysen, die die Emissionen auf Produkt-Level darstellen und wir können diese auch auf Material-Level herunterbrechen, um die emissionsintensivsten Materialien je Lieferant zu identifizieren“, so Wittenberg. Das sei vor allen Dingen auch im Maschinenbaubereich sehr interessant, weil nicht nur reine Rohmaterialien eingekauft würden.

„Maschinenbauer kaufen viele komplexe Produkte ein wie Elektromotoren, Pumpen und andere Arten von Maschinerie, zu der ein Emissionsfaktor oft erst ermittelt werden muss.“ Zudem ist es durch den Consumption-based-Ansatz möglich, die genaue Wertschöpfungskette eines Materials zu berücksichtigen. Ein Kilo Aluminium kann je nach Herstellungsprozess mit vier bis zu jenseits von zwölf Kilogramm CO2 zu Buche schlagen. Dementsprechend ergeben sich hohe Einsparungspotenziale durch eine bewusste Lieferantenauswahl.

Björn-Uwe Mercker, McKinsey
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Björn-Uwe Mercker, McKinsey: „Wir bauen für unsere Klienten ein Datenmodell über die gesamte Lieferkette auf. Es bildet im Detail ab, was unsere Klienten kaufen, in welcher Menge, zu welchem Preis, zu welchem Zeitpunkt und bei welchen Lieferanten. Auf Basis dieser Ausgaben-Transparenz erstellen wir dann ein CO2-Reporting.“

(Bild: McKinsey)

„Ziel ist es, Transparenz über die Scope-3-Emissionen zu erlangen, herauszufinden, wo die Emissions-Hotspots des Unternehmens in der Lieferkette liegen, und welche Materialien beispielsweise die größten Emissions-Treiber darstellen“, so Wittenberg. Dies stellt dann eine hervorragende Basis dar, um mit Lieferaten in den Dialog zu Dekarbonisierungsmaßnahmen zu gehen.

Wie beeinflussen Logistik und Fertigung die Emissionsbilanz?

Björn-Uwe Mercker, Partner in der Operations Practice von McKinsey, ergänzt, dass die Logistikkosten dabei oftmals als Treiber überschätzt werden. „In vielen Diskussionen um den CO2-Footprint wird auf den Anteil der Logistik hingewiesen, der Transport ist als Emissionsquelle stark in den Köpfen verankert. Doch häufig liegt der Ausstoß im Bereich von gerade einmal ein bis fünf Prozent der gesamten Emissionen.“

„Wenn wir den Bereich der Logistik eines Unternehmens betrachten, das eine gewisse Anzahl an Tonnen über eine gewisse Strecke verschifft, können wir einen entsprechenden CO2-Wert dafür ermitteln“, beschreibt Wittenberg. Bei einer Maschine beispielsweise, die lokal Rohmaterialien benötige wie Stahl, Aluminium und Kunststoffe, „ermitteln wir, wie hoch der Anteil der Rohmaterialien in dieser Maschine ist. Vor allem aber, wie hoch der Anteil der Fertigungsprozesse ist, die dann mehr oder weniger energieintensiv sein können. Hier entscheidet sich, wie hoch der CO2-Wert schließlich ausfällt“, erläutert Wittenberg.

Von der Baseline zu konkreten Maßnahmenhebeln

Eric Hannon, leitend im Bereich Nachhaltigkeit für Advanced Industries von McKinsey, betont, wie wichtig eine zuverlässige Carbon Accounting-Lösung für viele Firmen ist. „Die zwei Ansätze, der ausgabenbasierten Emissionen sowie der verbrauchsabhängigen Emissionen sind nach dem aktuellen Status von Carbon Accounting-Regulierungen auditierbar, aber mit unterschiedlichem Grad der Zuverlässigkeit.“ Hauptaufgabe des Auditors ist es, die einzelnen Annahmen zu überprüfen und abzusegnen. Der wesentliche Vorteil der Consumption-based-Berechnung liegt – neben der höheren Genauigkeit – vor allem darin, zu verstehen, welche Materialien in welchen Mengen bezogen wurden und welche Treiber im Herstellungsprozess zu deren Carbon-Footprint beitragen.

McKinsey Eric Hannon
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"Die zwei Ansätze, der ausgabenbasierten Emissionen sowie der verbrauchsabhängigen Emissionen sind nach dem aktuellen Status von Carbon Accounting-Regulierungen auditierbar, aber mit unterschiedlichem Grad der Zuverlässigkeit", sagt Eric Hannon, leitend im Bereich Nachhaltigkeit für Advanced Industries von McKinsey.

(Bild: McKinsey)

Wenn die Baseline mit allen Daten vorliege, folgt eine Planungsphase, um systematische Initiativen zur Erreichung des langfristigen Dekarbonisierungsziels zu entwickeln. Es gehe darum, Emissionstreiber von Materialien zu reduzieren und dabei konsequent die kosteneffizientesten Möglichkeiten zu priorisieren, so Mercker. „Wir hinterlegen mit Spendscape by McKinsey auch Hebelsätze und Verbesserungsmaßnahmen für Unternehmen, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.“

Dabei setzt McKinsey auf sogenannte Marginal Abatement Cost Curves, die die Kosten und Effekte für unterschiedliche Reduktionsmaßnahmen in Relation setzen. Beispielsweise können Emissionen reduziert werden, wenn der Recyclinganteil erhöht wird, was sich teils sogar kostenpositiv auswirkt.  In der Stahlproduktion fallen beim Einsatz eines Electric Arc Furnace (EAF) weniger als 50 Prozent der Emissionen im Vergleich zu konventioneller Stahlherstellung an – bei einem relativ geringen Kostenplus. Dies kann sich in Anbetracht von CO2-Steuern und Zertifikatskosten jedoch zukünftig wirtschaftlich lohnen.

Infokasten: Umweltauflagen

Zwischen 2012 und 2022 ist die Zahl der Umweltvorschriften weltweit um 164 Prozent gestiegen. Mehr als 70 Länder haben detailliertere Vorschriften und Besteuerungsmechanismen eingeführt, indem sie beispielsweise von den Unternehmen verlangen, die Emissionen der Wertschöpfungskette auf Produkt- statt auf Organisationsebene zu melden. Der EU-Mechanismus zur Anpassung der CO2-Grenzwerte (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) wird über einen Zeitraum von drei Jahren schrittweise eingeführt und im Jahr 2026 vollständig in Kraft treten. Auch die Berichtspflicht für Unternehmen wurde mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verschärft.

Das Ergebnis: Es gibt erstens Themen, wo sogar Geld gespart werden kann, wenn die Emissionen gesenkt werden. Zweitens birgt die Reduzierung für viele Firmen ein Sales-Potenzial: Denn wer weniger CO2-Emissionen ausstößt, hat Vorteile bei der Kundengewinnung. Immer mehr Endverbraucher legen großen Wert auf die Nachhaltigkeitsdimension.

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