Armaturen und Rohre einer Bioagasanlage

Biogas soll auch die Lücke für fehlendes russisches Erdgas schließen. Das scheint naheliegend, doch in der Realität sind einige Hürden zu überwinden. (Bild: Guntar Feldmann - stock.adobe.com)

Auch wenn die Biogaslobby anderes verspricht, kurzfristig kann sie kaum dazu beitragen, Deutschland weniger abhängig von russischem Erdgas zu machen. Bei Biomethan wäre mehr drin. Doch dessen Potenzial will die Bundesregierung nicht heben.

Das ist mal eine Ansage: 42 Prozent der Erdgasimporte aus Russland ließen sich durch Biogas ersetzen, stellt der Fachverband Biogas fest. Dazu müssten Anlagenbetreiber Gas mit einem Energiegehalt von gut 425 Terrawattstunden (TWh) gewinnen und mit ihm Strom- und Heizwärme erzeugen.  

Im vergangenen Jahr produzierten die rund 9500 Anlagen, die in Deutschland Gülle, Mist, organische Abfälle oder nachwachsende Rohstoffe (NawaRo) wie Mais vergären, mit dem dabei entstehenden Gas allerdings gerade mal 28 TWh Strom. Zusätzlich wurden 13 TWh der dabei entstehenden Abwärme genutzt, um zumeist Wohnhäuser zu beheizen. Das entsprach zwei Prozent der in Deutschland mit Erdgas produzierten Wärme und sechs Prozent des Strombedarfes, hat das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) berechnet.

Gemessen an der vollmundigen Versprechung der Lobbyisten klingt das nicht nach viel. Biogasanlagen erzeugten 2021 allerdings immerhin gut 30 Prozent so viel Strom wie alle deutschen Gaskraftwerke. Ohne ihren Beitrag, müssten Versorger daher 28 Prozent mehr russisches Erdgas einführen.

Biogas kein kurzfristiger Ersatz für russisches Erdgas

Mehr Entlastung scheint durch Biogas allerdings kaum drin zu sein – schon gar nicht im kommenden Winter. „Wir können den Import russischen Gases Stand heute nur zum Teil ersetzen“, erklärt die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) Kerstin Andreae. Biogas stehe dazu kurzfristig nur begrenzt zur Verfügung.

„Die großen Ankündigungen mancher Branchenvertreter, dass Biogas schon jetzt mehr zur Energieversorgung beitragen könne, schlagen sich bislang auch nicht in Zahlen des Bundesumweltministeriums nieder. Ihnen zufolge liegt die Stromerzeugung mit Biomasse mit 22,8 TWh im laufenden Jahr auf exakt dem Niveau von 2021 als in der Ukraine noch kein Krieg herrschte“, stellt auch, Gerd-Dieter Krieger, fest.

Das Potenzial mehr Strom und Wärme mit Biogas zu erzeugen, sei zwar vorhanden, so der der stellvertretende Geschäftsführer des Fachverbandes „Power Systems“ im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Bislang lasse sich dieses wegen technischer und vor allem gesetzlicher Hürden aber nur sehr eingeschränkt erschließen.

Drei Jahre für Inbetriebnahme einer Biogasanlage

Das räumt sogar der Fachverband Biogas ein. Die Auflagen für den Bau und Betrieb einer Anlage seien inzwischen so umfangreich, dass Genehmigungsverfahren und Bau einer Biogasanlage bis zu drei Jahre dauern, so der Verband.

Die Verbände fordern außerdem Erleichterungen bei der baurechtlichen Genehmigung neuer Anlagen und der Erweiterung bestehender. Das Baugesetzbuch gestattet dies im Außenbereich ohne weitere Auflagen bislang nur, wenn eine Biogasanlage maximal 2,3 Millionen Kubikmeter Gas pro Jahr erzeugt. Würden diese Schwierigkeiten beseitigt, „ließen sich kurzfristig etwa 20 Prozent Leistung im aktuellen Biogasanlagenbestand zusätzlich mobilisieren“, verspricht die Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, Sandra Rostek.

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Was hat auf Ackerflächen Vorrang: Lebensmittel oder Energiepflanzen?

Doch selbst wenn die Beamten den Antrag eines Anlagenbetreibers derzeit schnell verabschieden sollten, braucht dieser außerdem auch mehr Biomasse, um die Leistung seines Kraftwerks erhöhen zu können. Hier liegt das eigentliche Hindernis, das es bei der Steigerung der Anlagenleistung zu meistern gilt.

Bislang nutzen 48 Prozent der bestehenden Biogasanlagen Exkremente, 47 Prozent vergasen NawaRo. Um diese anzubauen, werden 13 Prozent der deutschen Ackerfläche benötigt, so das DBFZ. Mehr Fläche lässt sich kurzfristig kaum erschließen. Denn da die Preise für Lebensmittel aktuell steigen, ist deren Anbau für Landwirte lukrativer, als jener von Energiepflanzen für die Biogaserzeugung, erwartet das DBFZ.

Deshalb müsse die Gasproduktion schnellstmöglich auf landwirtschaftliche Nebenprodukte, biogene Siedlungsabfälle, Grünschnitt aus Gärten sowie Klärschlamm ausgeweitet werden. Bislang nutzen nur 2,4 Prozent der Anlagen solche kommunalen Abfälle, 2,6 Prozent verarbeiten organische Reststoffe aus Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, so das DBFZ.

Mehr Biogas aus Siedlungsabfällen, Grünschnitt und Klärschlamm

Seine Experten fordern daher im Zuge der Novellierung des EEG im kommenden Jahr in diesem einen Vergütungsbonus von zwei Cent pro Kilowattstunde zu verankern, wenn Anlagenbetreiber wenigstens 70 Prozent Reststoffe statt NawaRo verwerten. „Um mehr Biomasse in Form von Grünschnitt und Siedlungsabfällen zu erschließen, müsste zudem die Vergärung Vorrang vor der Kompostierung dieses Materials haben“, fordert auch der Leiter des Fachgebietes „Biogas und Erdgasanwendungen“ beim BDEW, Ingram Täschner.

In der Summe ließen sich durch die Vergärung von biogenen Reststoffen und Abfällen in Biogasanlagen dann mittelfristig bis zu 76 TWh mehr Energie gewinnen, ohne dem Anbau von Lebensmitteln weitere landwirtschaftliche Flächen zu entziehen.

Biotonne – Ungenutzte Energie aus dem Tonnenhäuschen

VDMA-Fachmann Gerd-Dieter Krieger sieht das etwas zurückhaltender. „In vielen Städten und Gemeinden ließe sich zwar noch der komplette Inhalt der Biotonnen verwerten“, räumt Krieger ein. „Die nötige Logistik, um eine Biogasanlage mit diesem Müll zu versorgen, und der Bau der Anlage selbst, sind aber nicht so schnell umzusetzen, dass sich so noch in diesem Winter oder im kommenden Jahr wenigstens ein Teil der Erdgasimporte aus Russland ersetzen ließe.“

Selbst wenn es die braune Tonne flächendeckend gäbe, könnten viele Biogasanlagen ihren Inhalt nicht verarbeiten. „Die Anlagen sind in der Regel auf eine bestimmte Form von Biomasse ausgelegt und können nicht zwangsläufig auch Reststoffe verwerten“, erklärt VDMA-Experte Krieger.

Güllevergasern geht der Brennstoff aus

Auch Anlagen, die Biogas mit Gülle erzeugen, können ihre Leistung nicht ohne weiteres steigern. Das „Osterpaket“ des Bundeswirtschaftsministeriums – ein Bündel von Gesetzesänderungen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien – gestattet Anlagenbetreibern zwar, künftig mehr Gülle zu vergären. Selbst wenn ihre Biogasanlagen mehr Material verarbeiten können, fehlt ihnen aber meist die Gülle.

Denn Russland fällt wegen der Sanktionen der Europäischen Union als Lieferant von Kunstdünger derzeit weitgehend aus. Das Land war bis zu seinem Überfall auf die Ukraine aber Deutschlands zweitwichtigster Lieferant für künstlichen Dünger. Da ihnen dieser nun fehlt, ersetzen ihn Landwirte zunehmend durch Gülle.

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Kaum Wärme für Heizungen durch mit Gülle betriebene Biogasanlagen

Viele Biogasanlagen hierzulande seien bei der Stromerzeugung jedoch nicht so flexibel, wie oft behauptet würde. „Kurzfristig können sie vielleicht fünf Prozent Strom mehr oder weniger produzieren. Mehr Flexibilität bieten sie nicht“, so Krieger.

Das sieht Ingram Täschner vom BDEW ähnlich. „Biogaslager haben kaum Kapazitäten Biogas über zwei bis drei Tage hinaus zu lagern. Deshalb können Biogasanlagen nur sehr beschränkt dazu beitragen, das Stromnetz dann mit mehr Leistung zu versorgen, wenn wenig Wind weht und die Sonne nicht scheint. Auch im Winter bieten sie daher kaum Flexibilität für eine bedarfsgerechte sichere Versorgung“, ergänzt der Biogas-Experte des BDEW.

Nur 2,4 Prozent der Anlagen produzieren Biomethan

Nur 2,4 Prozent der Anlagen veredeln Biogas dagegen zu Biomethan. Dabei wären Fördergelder in den Aufbau der Biomethan-Erzeugung erheblich sinnvoller investiert gewesen. Das zeigt das Beispiel Dänemarks. Dort hat die Regierung gezielt Investitionen in rund 50 Anlagen gefördert, die das dänische Gasnetz inzwischen mit 25 Prozent selbst erzeugtem Biomethan versorgen. Die Dänen haben verstanden, dass dieses die gleichen Eigenschaften hat wie Erdgas und sich wie dieses in vorhandenen Gasleitungen und –speichern transportieren und einlagern lässt.

„Deshalb lässt sich Biomethan auch so flexibel nutzen wie Erdgas“, betont BDEW-Fachmann Ingram Täschner. Es hat zudem den gleichen Brennwert wie niedrigkalorisches Erdgas und lässt sich wie dieses nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff verwenden.

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Anteil der Biomethanproduktion ließe sich verzehnfachen

Trotz dieser Vorteile speisten in Deutschland 2021 nur 233 Anlagen 10,4 TWh Biomethan in das Gasnetz ein, berichtet der BDEW. Das entsprach etwa einem Prozent des gesamten deutschen Erdgasverbrauchs. „Dieser Anteil ließe sich verzehnfachen, wenn alle Biogasanlagen so aufgerüstet würden, dass sie Biomethan produzieren können“, erwartet BDEW-Fachgebietsleiter Ingram Täschner. „Dazu müssten nicht mal zusätzliche nachwachsende Rohstoffe angebaut werden.“

So schnell, wie es nötig wäre, um noch im kommenden Winter weniger abhängig von russischem Erdgas zu sein, lässt sich der Umstieg auf Biomethan aber nicht herbeiführen, warnt Täschner. Denn Maschinen- und Anlagenbauer könnten die erforderliche Technik derzeit nicht schnell genug liefern.

Einspeisung von Biomethan ins Netz als Hürde

Für die Biomethanproduktion müssen Anlagen zudem nicht nur mit einer Gasaufbereitungseinheit versehen werden. Sie müssen das erzeugte Biomethan auch in das Gasnetz einspeisen können. An dieses sind die meisten der über ganz Deutschland verteilten Biogasanlagen aber nicht angeschlossen und werden es wohl auch künftig nicht sein. Denn im vergangenen Herbst kippte die Bundesnetzagentur eine Regelung, nach der Anlagenbetreiber für den Anschluss an das Erdgasnetz bis 2021 nur ein Viertel der Kosten für die Errichtung des ersten Leitungskilometers tragen mussten. Den Rest zahlte der Betreiber des Erdgasnetzes.

Politik will sich bei der Verwertung von Biomasse nicht festlegen

„Die nun in vielen Fällen beträchtlich höheren Kosten für den Anschluss sowie für die Technik einer Biomethananlage nehmen Investoren aber nur auf sich, wenn ihnen die Politik für ihr Biomethan verlässlich eine so hohe Vergütung ermöglicht, dass sie ihre Anlagen langfristig rentabel betreiben können“, ergänzt BDEW-Biogas-Fachmann Ingram Täschner. Diese Planungssicherheit gäbe es derzeit nicht, weil sich die Politik seit Jahren nicht festlegen will, wie sie mit Biogas und -methan umgehen will.

Denn das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat offensichtlich kein Interesse daran, mit Biomasse Biomethan zu erzeugen, um mit diesem russisches Erdgas zu ersetzen.

"Begrenzte nachhaltige Biomassepotenziale machen eine substantielle Steigerung der Biomethanproduktion zum Ersatz von Erdgas mittel- und langfristig kaum möglich und auch nicht zwingend sinnvoll", erklärte das Ministerium den Journalisten der Deutschen Welle. Von einem Ministerium, das versucht, die Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen so weit abzubauen wie irgend möglich, ist das mal eine echte Ansage.

Bearbeitet von: Dietmar Poll

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