Die Batteriefertigung in Deutschland kommt nicht recht voran, Projekte werden auf Eis gelegt oder erst gar nicht realisiert. Christoph Lienemann, Vertreter der PEM Motion GmbH, stellt dazu eine provokante Frage: „Steckt Deutschlands Batterieproduktion auf dem Standstreifen fest, oder schaffen wir es, auf die Überholspur zu wechseln?“ Diese Frage stellt er vor dem Hintergrund zahlreicher Herausforderungen und Rückschläge, die in der letzten Zeit die deutsche Batteriefertigung geprägt haben. „Wir haben nicht damit gerechnet, wie viele negative Nachrichten wir zuletzt hören mussten,“ erklärt er und zeigt sich besorgt über die derzeitige Entwicklung der Branche.
„Es ist fraglich, ob Projekte wie Heide weitergeführt werden können,“ führt er weiter aus. Auch für das Vorhaben von Northvolt sei die Lage ungewiss. Der Hauptgrund für diese Unsicherheit liege im massiven Preisdruck, der von chinesischen Batteriezellen ausgeht. Deutschland sehe sich in einem globalen Wettbewerb, in dem es immer schwieriger werde, wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wie beeinflusst der Inflation Reduction Act aus den USA die Branche?
Ein weiteres Problem, das Lienemann thematisiert, sei die unzureichende Entwicklung der Elektromobilproduktion in Deutschland. „Wir sehen, dass die Verkäufe von Elektrofahrzeugen nicht den Erwartungen entsprechen,“ sagt er. Dies sei besonders besorgniserregend, da Elektromobilität ein entscheidender Faktor für die Zukunft der deutschen Automobilindustrie sei.
„Während wir in Deutschland mit Rückschritten zu kämpfen haben, sehen wir in den USA den Inflation Reduction Act (IRA), der einen großen Einfluss auf die Branche hat,“ erläutert Lienemann. Der IRA habe Investitionen angezogen und dafür gesorgt, dass die USA in der Elektromobilität vorankämen. Gleichzeitig sei in China mittlerweile jedes zweite verkaufte Fahrzeug elektrisch.
Mit Bedauern stellt Lienemann fest, dass in Deutschland stattdessen negative Signale gesendet würden. „Die Entscheidung des BMBF, keine neuen Batterieprojekte mehr zu fördern, war eine Hiobsbotschaft für die Branche,“ sagt er. Diese Entscheidung habe das Vertrauen in den Standort Deutschland erheblich beeinträchtigt.
Ist der Standort Deutschland in Gefahr?
Lienemann betont, dass es in der aktuellen Situation wichtig sei, eine grundlegende Analyse des Standorts Deutschland vorzunehmen. „Dementsprechend denke ich darüber nach, ob der Standort Deutschland generell in Gefahr ist,“ erklärt er. Dabei stellt er eine Reihe drängender Fragen: „Wo stehen wir aktuell? Wie ist unser Standing im globalen Wettbewerb? Verlieren wir vielleicht sogar unser Standing – oder haben wir den Anschluss bereits verloren?“
Er fordert dazu auf, die Batterieproduktion in Deutschland genauer zu untersuchen und mit anderen Regionen zu vergleichen. Dabei solle insbesondere der Blick auf die USA gerichtet werden, um zu verstehen, welche Maßnahmen dort erfolgreich umgesetzt würden. „Wie schaffen wir es, den Standstreifen zu verlassen und endlich Gas zu geben?“ fragt er eindringlich.
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Deutschland und Europa verlieren Marktanteile
Im Rückblick auf die weltweite Fahrzeugproduktion seit 2014 stellt Lienemann fest, dass diese jährlich um etwa ein Prozent zurückgegangen sei. „Dabei sieht man, dass Deutschland und Europa immer mehr Marktanteile verlieren, während Südostasien und China ihre Anteile ausbauen,“ erläutert er. Besonders alarmierend sei, dass China in diesem Zeitraum sechs Prozent Marktanteil hinzugewonnen habe, während Europa vier Prozent verloren habe.
Er führt aus, dass in China mittlerweile mehr als die Hälfte der Fahrzeuge elektrisch seien. „Reflektiert man diese Zahlen, dann malt das ein noch düstereres Bild für Deutschland und Europa,“ bemerkt er.
Wirtschaftlicher Rückgang und fehlgeleitete Investitionen
Ein weiterer Aspekt, den Lienemann beleuchtet, war die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Er verweist auf den 'Country Economic Health Index', der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verschiedener Länder vergleicht. „Deutschland rutscht in diesem Index seit Jahren ab“, stellt er fest. Allein im letzten Jahr sei das Land um vier Plätze gefallen und befinde sich aktuell auf Platz 18. „Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte Deutschland nächstes Jahr aus den Top 20 herausfallen,“ warnt er.
Ein entscheidender Faktor für diesen Rückgang sei der Fachkräftemangel. „Deutschland hat nicht nur ein Problem mit der Verfügbarkeit von Fachkräften, sondern auch mit den hohen Arbeitskosten und der Produktivität der Mitarbeiter“, argumentiert Lienemann. Besonders schlecht stehe das Land zudem bei der Verteilung der Staatsausgaben da. „Deutschland investiert viel in soziale Projekte, aber relativ wenig in Zukunftsprojekte,“ kritisiert er.
Investitionen in Batterieprojekte werden gestrichen
Als Beispiel nennt er die Entscheidung des BMBF, die Investitionen in Batterieprojekte komplett zu streichen. „Das ist ein fatales Zeichen für die gesamte Branche,“ betont er. Auch internationale Investoren hätten dies registriert. Laut Lienemann sei das Foreign Direct Investment (FDI) in Deutschland in den letzten Jahren stark zurückgegangen. „Die Anzahl der Investitionen hat sich zwischen 2017 und 2023 um über 35 Prozent verringert,“ stellt er dar.
Abwanderung der Zulieferindustrie
Noch deutlicher werde die Problematik in der Zulieferindustrie. Lienemann vermerkt, dass Europa insgesamt eine Abwanderung von Fabriken verzeichne. „Zwischen 2022 und März 2024 wurden in Deutschland 19 Werksschließungen angekündigt, während nur fünf neue Werke eröffnet werden,“ unterstreicht er. Diese Zahlen seien alarmierend, insbesondere im Vergleich zu den USA, wo trotz Schließungen deutlich mehr neue Fabriken entstünden.
Auch die Verteilung der Investitionen sei problematisch. „27 Prozent der Investitionen in neue Werke stammen aus Deutschland, aber nur drei Prozent werden in Deutschland selbst getätigt,“ erläutert Lienemann.
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Energiekosten als Wettbewerbsnachteil
Ein weiterer zentraler Punkt seien die Energiekosten. „Im europäischen Vergleich steht Deutschland gar nicht so schlecht da,“ sagt er. Doch im Vergleich zu den USA sei Strom in Deutschland mehr als doppelt so teuer. Er nennt ein Beispiel aus der Schweiz, wo einem Unternehmen ein Strompreis von nur 0,04 Euro pro Kilowattstunde angeboten worden sei. „Das ist für uns in Deutschland unvorstellbar,“ kommentiert er.
Hoffnungsschimmer und positive Entwicklungen
Trotz der düsteren Gesamtlage hebt Lienemann auch positive Entwicklungen hervor. „Ich freue mich, dass es noch kleine Player wie Cell Force oder UniverCell gibt, die weiterhin an ihre Projekte glauben und neue Werke aufbauen,“ sagt er. Diese Unternehmen seien ein Lichtblick und ein Beweis dafür, dass es in Deutschland noch Kämpfer für die Batterieproduktion gebe. Er zeigt sich zudem überzeugt, dass Deutschland in der Batteriefertigung wieder Fuß fassen könne, wenn es gelinge, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
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Innovationspotenziale und Kernkompetenzen: Deutschlands Weg aus der Krise
Neben den bereits genannten Herausforderungen und Rückschlägen lenkt Lienemann den Blick auf die Potenziale, die Deutschland trotz der schwierigen Lage noch hat. „Wir müssen zurück zu unseren Kernkompetenzen in Deutschland,“ fordert er und betont die Bedeutung des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus. Dieser sei weltweit führend und könne eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Batteriezellproduktion wieder auf Kurs zu bringen.
„Ein Trend, der hier besonders wichtig ist, zeigt sich in den USA: Dort gibt es keinen vergleichbaren Maschinenbau wie in Deutschland,“ erklärt er. Daher werde der Bedarf an hochwertigem Equipment, das nicht aus China stammt, in den USA immer größer. „Genau hier können deutsche Unternehmen einspringen,“ betont er.
Welche Innovationen der Batterieproduktion helfen können
Lienemann führt einige konkrete Beispiele an, wie deutsche Innovationen die Batterieproduktion effizienter und wettbewerbsfähiger machen könnten. „Im Bereich Lasertrocknung, etwa von Firmen wie Laserline oder Trumpf, sehen wir großes Potenzial. Diese Technologie kann dazu beitragen, Energie einzusparen und die Produktionsprozesse zu verbessern,“ erklärt er. Auch andere deutsche Unternehmen wie Dürr und EAS arbeiteten an innovativen Lösungen, etwa im Bereich der automatisierten Fertigung oder des energieeffizienten Coatings wie dem dry coating.
Die Energiefrage: Ein Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit
Ein zentrales Thema für die Zukunft der Batteriezellproduktion bleibe jedoch die Energie. Lienemann hebt hervor, dass die Zellproduktion nicht nur energieintensiv sei, sondern auch hohe Anforderungen an die CO₂-Bilanz stelle. „Insbesondere beim Coating und Trocknen sowie in der Formation und im Trockenraum gibt es große Hebel, um Energie und Emissionen zu reduzieren,“ erklärt er.
Er fordert, dass Deutschland hier mutiger vorangehen müsse. „Andere Länder sind viel offensiver, wenn es darum geht, günstige und nachhaltige Energie bereitzustellen,“ kritisiert er. Als Beispiel führte er an, dass in den USA staatliche Förderprogramme existieren, die Unternehmen ermöglichen, ihre Energiekosten drastisch zu senken. In Deutschland hingegen seien die Rahmenbedingungen oft ein Hindernis für Investitionen in neue Produktionskapazitäten.
Lienemann plädiert daher für eine umfassende Reform der Energiepolitik, die sowohl auf niedrigere Kosten als auch auf eine nachhaltigere Produktion abzielt. „Die Wettbewerbsfähigkeit der Batterieproduktion hängt maßgeblich davon ab, ob wir in der Lage sind, günstige und saubere Energie bereitzustellen,“ verdeutlicht er.
Gemeinsames Handeln statt Protektionismus
Ein weiterer zentraler Punkt, den Lienemann anspricht, ist die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit. „Wir brauchen mehr Kollaboration statt Protektionismus,“ sagt er und kritisiert dabei insbesondere die Politik der USA, die mit Programmen wie ‚America First‘ auf eine Abschottung des Marktes setze. „Das ist der falsche Weg, insbesondere für westliche Staaten. Nur gemeinsam können wir ein starkes Ökosystem schaffen, das gegen die Dominanz Asiens bestehen kann,“ erklärt er.
Er ruft dazu auf, dass europäische Länder enger zusammenarbeiten und ihre Ressourcen bündeln. „Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind zu groß, als dass ein einzelnes Land sie allein bewältigen könnte,“ sagt Lienemann. Ein Beispiel hierfür sei die Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Entwicklung, bei der Deutschland seine Stärken im Maschinenbau und in der Automatisierung einbringen könnte.
Der deutsche Erfindergeist: Eine Ressource, die es wiederzubeleben gilt
Lienemann schließt mit dem Appell, den deutschen Innovationsgeist wieder stärker zu fördern. „Wir brauchen einen neuen Batch an Erfindergeist,“ fordert er und zeigt sich überzeugt, dass Deutschland trotz der aktuellen Herausforderungen das Potenzial habe, wieder eine führende Rolle in der Batterieproduktion einzunehmen. „Ich habe Lust auf diese Zukunft,“ erklärt er und ruft dazu auf, gemeinsam daran zu arbeiten, die Branche wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
„Auch wenn es gerade düster aussieht, haben wir die Chance, das Blatt zu wenden,“ sagt er abschließend. Dabei setzt er auf Optimismus und Mut als entscheidende Treiber für die notwendigen Veränderungen.