Was ist ein kollaborierender Roboter?
Ein kollaborierender Roboter, kurz Cobot, unterstützt den Menschen in der industriellen Fertigung. Ohne Schutzzaun in der Produktionsumgebung von einander getrennt, übernehmen Cobots ermüdende oder monotone Arbeiten. Auch das Handling von schweren Lasten gehört zu ihren Aufgaben, um die Gesundheit des menschlichen Kollegen zu fördern.
Was dem Menschen schaden kann, stört den Roboter bei Weitem nicht: repetitive, ermüdende Aufgaben auszuführen oder in ergonomisch ungünstigen Positionen montieren beziehungsweise schwere Lasten handhaben. Kollaborierende Roboter, die ohne Schutzzaun direkt mit Menschen zusammenarbeiten, können daher in vielen Fällen die Ergonomie verbessern. „Eine Entlastung durch die Zusammenarbeit mit Robotern kann in körperliche sowie kognitive Stressreduzierung eingeteilt werden“, berichtet Prof. Klaus Bengler vom Lehrstuhl für Ergonomie an der TU München. In beiden Bereichen würden die Schwächen des einen Partners durch die Stärken des anderen ausgeglichen, um beispielsweise schwere unhandliche Bauteile zu handhaben und um monotonen, ermüdenden Aufgaben und steigender Komplexität in der Produktion entgegenzuwirken.
Leichtbauroboter übernimmt den Klebstoffauftrag
Beim Autobauer BMW hat man sich diese Win-Win-Situation bereits zunutze gemacht. Ein Beispiel findet sich im BMW Group Werk Dingolfing im Bereich Montage beim Scheibeneinbau: Mensch und kollaborierender Roboter arbeiten dort Hand in Hand. Das sorgt für einen effizienten Prozess und mehr Ergonomie. Vor der Umgestaltung des Arbeitsbereichs legte ein Mitarbeiter zunächst die linke und rechte Seitenscheibe bereit. Der anschließende Klebstoffstoffauftrag erfolgte jedoch manuell, mithilfe eines Schlauchs und einer Auftragsdüse (siehe Bild oben ‚Vorher‘). Dazu musste der Mitarbeiter den Schlauch rings um beide Scheiben führen, je nach Körpergröße in leicht gebückter Haltung. Etwa einhundert Scheiben pro Stunde ‚umrundete‘ ein Mitarbeiter auf diese Weise. Damit nicht genug: Anschließend galt es noch, die Klebstoffraupe zu glätten, denn nur ein gleichmäßig aufgetragener Kleber sorgt für eine dichte Außenhaut.
Heute unterstützt ein Leichtbauroboter die Mitarbeiter in der Fahrzeugmontage beim Einbau des Dreieckseitenfensters in die Modelle BMW 3er Gran Turismo, BMW 4er Gran Coupé und BMW 5er Touring. Ein Mitarbeiter legt die Scheibe in eine passgenaue Aufnahmeeinrichtung, der Roboter trägt absolut wiederholgenau Klebstoff auf. Gleichbleibend hohe Qualität ist also durch den stets gleichmäßigen Auftrag des Klebers bezüglich Menge und Lage der Klebstoffraupe gewährleistet. Ist diese aufgetragen, übernimmt wieder ein Mitarbeiter und setzt die Scheibe in die Karosserie ein. Damit entfällt eine anstrengende manuelle Tätigkeit, bei der ein Mitarbeiter um die Scheibe laufen musste, während er rundum den Klebstoff auftrug. Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine erfolgt stärkenorientiert: Ergonomisch ungünstige Aufgaben übernimmt der Leichtbauroboter, das Handling und den Einbau der Scheiben die Mitarbeiter.
Auch bei Continental wird jeder Arbeitsplatz regelmäßig hinsichtlich der ergonomischen Eignung für die Mitarbeiter untersucht und entsprechend optimiert. Die Mitarbeiter am Standort Regensburg werden seit geraumer Zeit durch mechanische Verbesserungen unterstützt und mit Hebe-, Steh- oder Greifhilfen bei der Arbeit entlastet. Eingesetzt werden auch kollaborierende Roboter, sogenante Cobots, die belastende Tätigkeiten für Mitarbeiter übernehmen und mit dem Mitarbeiter zusammenarbeiten können. Auch werden aAGVs eingesetzt, welche autonom in den Produktionshallen Materialien oder Produkte transportieren.
Grundsätzlich tragen kollaborative Roboter zur Aufwertung der Arbeit bei, indem sie Menschen die geistig anspruchsvolleren und physisch weniger anstrengenden Arbeiten überlassen. Das teilt ABB – Hersteller des zweiarmigen Cobots Yumi – mit. Hinzu komme, dass durch die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter häufig eine höhere Präzision und Geschwindigkeit erreicht werden könne als mit rein menschlicher Arbeit. Das Ergebnis ist laut ABB eine höhere Produktqualität, weniger Ausschuss und aufgewertete Arbeitsplätze.
Entscheidend für die ergonomische Evaluierung der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ist es, die Form der Interaktion zu beachten. Das erklärt Prof. Bengler, TUM. In der Koexistenz sowie Kooperation würden vorwiegend Themen des Wohlempfindens und Akzeptanz des menschlichen Partners bezüglich robotischer (Trajektorien, Geschwindigkeit, Lautstärke, äußere Erscheinung etc.) und interaktionsbedingter (Abstände, Aufgabenallokation etc.) Einflussfaktoren näher untersucht. Dahingegen seien bei einer echten Kollaboration vor allem Themen der direkten Zusammenarbeit und damit einhergehend auf den Körper einwirkende Belastungen (etwa durch Trägheitskräfte, Krafteinleitung in den menschlichen Körper, Anzahl an Handhabungsvorgängen etc.) sowie Gebrauchstauglichkeit und Interaktionsqualität betrachtet. Je nach Interaktionsform könnten Cobots somit physisch als auch psychisch entlasten.
4 Beispiele aus der Praxis: Mehr Ergonomie mit MRK
ABBs Yumi führt ergonomisch ungünstige Arbeiten bei der Steckdosenmontage aus
In der ABB-Fertigung von Elektroprodukten in Jablonec in der Tschechischen Republik assistiert der kollaborierende Zweiarmroboter Yumi dem Werker bei der Montage von Steckdosen. Der Arbeitsplatz besteht aus dem Roboter, dem Werker, Sensoren, Förderbändern, Vibrationszuführung und einem Demontagesystem für Federn. Yumi übernimmt die Handhabung von Feder und Kindersicherungsmechanismus sowie der zugehörigen Abdeckung. Dabei steigert der Roboter nicht nur die Arbeitsproduktivität, sondern verbessert auch die Qualität der Arbeitsumgebung für die Beschäftigten, da er ihnen ergonomisch ungünstige Aufgaben abnimmt: bei der Steckdosenfertigung ist dies die Handhabung von Kleinteilen. Weitere Vorteile sind die hohe Flexibilität, Qualität und Sicherheit, die mit diesem Ansatz erreicht werden. Knifflige Tätigkeiten werden vom Roboter übernommen, dem Menschen kommt eine überwachende und steuernde Rolle zu: Es ist der Roboter, der dem Menschen zuarbeitet und nicht umgekehrt. Dank ausgefeilter Sicherheitstechnik kann Yumi in einem gemeinsamen Arbeitsbereich direkt mit dem Menschen arbeiten.
Übernimmt das Handling von Lasten bis 35 kg: der CR35i von Fanuc
Mit 35 kg Traglast kann der kollaborierende Roboter CR35i schon ganz schön schwere Arbeiten übernehmen. „In dieser Gewichtsklasse bieten wir mit dem grünen Roboter im wahren Sinn des Wortes eine Erleichterung für menschliche Kollegen“, erläutert Markus Goos, Projektleiter Robotik bei Fanuc. Da werde man in vielen Anwendungsbereichen Einsatzmöglichkeiten finden. Intelligent wäre es aus Sicht des Robotik-Experten, zunächst einmal naheliegende und einfache Applikationen zu realisieren.
Denkbare Applikationen des kollaborativen Roboters betreffen etwa jene Arbeitsplätze, an denen Teile oder Werkstücke mit entsprechend hohen Massen gehandhabt werden müssen und ein Werker beispielsweise zum Abschluss eines Arbeitsschrittes die Qualität überprüft. „Jeder tut also das, was er am besten kann“, sagt Goos: Die Power eines kollaborativen CR35iA wird dabei mit der Erfahrungen und Flexibilität eines Werkers kombiniert. „Jeder hat schon mal Reifen am Auto gewechselt und weiß, was ein Reifen wiegen kann“, erzählt Goos. Insofern sei es gar nicht so weit hergeholt, dass ein CR35iA einen Ersatzreifen in ein Auto legt.
Überkopfarbeit oder Hineinbeugen ins Fahrzeug sind dank LBR iiwa passé
Unergonomische Tätigkeiten wie das Überkopfarbeiten oder das Hineinbeugen in das Innere einer Fahrzeugkarosse können durch den Einsatz eines Kuka Flexfellow, eines Springerkonzepts mit dem LBR iiwa, vermieden werden. So kann beispielsweise das Setzen von Kunststoffstopfen in eine Automobilkarosse automatisiert werden. Aufgrund seiner integrierten Momentensensorik bestimmt der LBR iiwa die exakte Fügeposition durch eine Suchbewegung. Der Leichtbauroboter LBR iiwa kann diesen monotonen Vorgang durch seinen Endeffektor – ein speziell von Kuka Systems entwickeltes Stopfensetz-Werkzeug, das sich für die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) eignet – übernehmen. Der Kuka Flexfellow unterstützt nicht nur bei unergonomischen Tätigkeiten, sondern sorgt zudem für eine verbesserte Prozessqualität, indem er einen permanenten Soll-Ist-Abgleich zwischen dem geforderten Stopfensetzbild und den tatsächlich montierten Stopfen fährt. Durch den Abgleich der aufgewendeten Kraft beim Setzen eines Stopfens kann eine Prüfung der Passgenauigkeit und erbrachten Qualität dokumentiert werden.
UR-Roboter reinigen Gewinde oder zerschneiden Drähte – das schont die Mitarbeiter
Die FME Feinmechanik AG ist ein Schweizer Zulieferbetrieb in der Präzisionsmechanik und Medizintechnik. Mittlerweile gehören dort ein fest installierter UR10 Roboter sowie ein mobiler UR5 Roboter zum Unternehmen und übernehmen alle ergonomisch anstrengenden Arbeiten (siehe Bild). So muss heute kein Mitarbeiter mehr 8 h lang alle 13 s eine Gewindehülse in eine Maschine legen oder 7 000 Gewinde per Hand reinigen. Durch eine Verdreifachung der Produktivität und eine wettbewerbsfähigere Preisgestaltung haben die Roboter bei FME sogar die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter notwendig gemacht. Ein anderes Beispiel ist eine UR-Applikation bei der SFEG, einem Elektronikhersteller in Tennessee, USA. Dort mussten Mitarbeiter früher täglich bis zu 16 000 Drähte per Hand zerschneiden. Eine Tätigkeit, die aufgrund der sehr einseitigen körperlichen Belastung mit einem hohen Risiko für Karpaltunnelbeschwerden verbunden war. Heute schneidet ein UR5-Roboter die Drähte zurecht, die bei der Herstellung von Elektromotoren verbaut werden, während sich die Mitarbeiter wertschöpfenderen Tätigkeiten widmen können.