Eines gleich vorweg. Das Duell zwischen drahtloser und drahtgebundener Industriekommunikation existiert gar nicht. Kabel oder Funk ist einfach nicht die richtige Frage. Denn die beiden Technologien verdrängen sich nicht. Sie wachsen vielmehr beide und haben jeweilis ihre eigenen Stärken.
So berichtet Sven Seibert, Leiter des Produktmanagements bei der Firma TKD Kabel: „Nach uns vorliegenden Studien geht man aktuell für den Zeitraum 2019 bis 2021 von einem weltweiten Wachstum des industriellen Kabelmarkts um gut 10 Prozent aus.“ Größere Wachstumsschübe würden dabei vor allem für den asiatischen Markt – mit China und Indien als Treiber – prognostiziert.
Für Dynamik sorgen dabei laut Seibert globale Trends wie digitale Produktion mit vernetzten Maschinen und Anlagen, Roboter und Cobots sowie die forcierte Elektromobilität, die allesamt nicht ohne drahtgebundene Kommunikation auskommen. „Angesichts des schwierigen Umfelds mit Handels-und Zollkriegen und nationaler Abschottung, die zu einer deutlichen Eintrübung des konjunkturellen Klimas führen, bin ich skeptisch, ob diese Prognosen so Bestand haben werden“, gibt Seibert jedoch zu Bedenken.
Diese Vorteile hat eine kabelgebundene Industriekommunikation
Sven Seibert, Leiter des Produktmanagements bei TKD Kabel, hat zusammengefasst, welche Vorteile eine kabelgebundene Industriekommunikation gegenüber einer drahtlosten Kommunikation bietet:
Sicherheit: Durch die Verkabelung von Anlagenteilen und Komponenten ergibt sich ein geschlossenes System, das in hohem Maße sabotagesicher – sprich von außen nicht manipulierbar – ist.
Stabilität: Kabel und Leitungen stehen für Zuverlässigkeit und eine stabile und gleichmäßige Signalübertragung. Problematisch können etwa elektrische Felder sein, die unter anderem von Maschinen oder auch Smartphones ausgesendet werden. Sie können Funknetzen in die Quere kommen und hier Übertragung und Datenaustausch stören.
Wartung: Einmal richtig verlegt und richtig angeschlossen, bedarf es im Gegensatz zur kabellosen Industriekommunikation keinerlei regelmäßiger Sicherheits- bzw. Software Updates, was den Übertragungsweg – also das Kabel – angeht.
Infrastruktur: Eine anwendungsneutrale Verkabelung gewährleistet, dass bestimmte physikalische Parameter wie zum Beispiel Wellenwiderstand und Mindestabstände zur Vermeidung des gegenseitigen Beeinflussens parallel verlaufender Leitungen für Daten- und Fernmeldeleitungen eingehalten werden.
Gleichzeitig bleibt die Verkabelung unabhängig von den verwendeten elektronischen Komponenten und deren Übertragungsprotokollen.
Der ‚Kabelmarkt‘ als Ganzes ist sehr divers, weil er von vielen unterschiedlichen Anwendungsmärkten bestimmt wird. Das teilt Guido Ege, Leiter Technik und Produktentwicklung für die Regionen LA und EMEA bei der Firma Lapp, mit. Eigentlich spreche man dabei über eine Vielzahl separater Märkte. Für Datenleitungen zum Beispiel sind die Aussichten laut Ege anders als für Steuer- und Anschlussleitungen oder gar für Produkte, die im Infrastrukturbereich genutzt werden.
Diese Drahtlostechnologien legen um 32 Prozent zu
Da Drahtlostechnologien wie Funk vor allem für die Datenübertragung zum Einsatz kommen, und sich Industrial Ethernet in der Industrie als Standard durchgesetzt hat, ist der Vergleich mit Industrial-Ethernet-Leitungen aus Sicht von Ege vermutlich am sinnvollsten: „Hier sehen wir für Leitungen ein jährliches Wachstum von rund 23 Prozent, bei Drahtlostechnologien sogar von 32 Prozent – allerdings bei einem Marktanteil von nur sechs Prozent“, erläutert der Experte für Industriekommunikation.
Er unterstreicht noch einmal: „Es findet hier aber kein Verdrängungswettbewerb statt, im Gegenteil: Entsprechend ihrer jeweiligen Stärken und Schwächen ergänzen sich beide Technologien viel eher, als dass es einen Wettbewerb gäbe.“ So erschließen Funktechnologien laut Ege oft neue Anwendungen, die mit kabelgebundenen Systemen gar nicht möglich oder sinnvoll wären.
Wo sehen Sie drahtlose Kommunikation in Zukunft im Vorteil?
Christian Bauer, Trumpf: „Drahtlose Kommunikation kann insbesondere in Bereichen Vorteile bieten, in denen bestehende Infrastruktur um zusätzliche Fähigkeiten ergänzt werden soll. Ein nachträgliches beziehungsweise zusätzliches Verkabeln würde in diesem Fall mit einem hohen Aufwand und hohen Kosten einhergehen, welche durch drahtlose Kommunikation vermieden wird. Auch durch die immer stärker zunehmende Dynamisierung in der Produktion bietet drahtlose Kommunikation den großen Vorteil der Flexibilität. Beispiele hierfür sind nicht nur Fahrerlose Transportsysteme, sondern auch die Teileverfolgung mittels Ladungsträgerverfolgung.“
Wo sollte man also auf Kabel und wo auf Funk setzen? „Die Vorteile der drahtgebundenen Kommunikation liegen noch in der Robustheit der Übertragung und der hohen erreichbaren Datenrate“, sagt Bernhard Niemann, Abteilungsleiter Breitband und Rundfunk beim Fraunhofer IIS. Damit werden fest verdrahtete Leitungen Niemanns Einschätzung nach in statischen Aufbauten sowie in Anwendungsfällen mit hohen Datenraten auch weiterhin zum Einsatz kommen. Er erwartet jedoch, dass diese Anwendungen zukünftig auch von Funktechnologien im Millimeterwellenbereich adressiert werden, insbesondere für die Kommunikation mit hohen Datenraten über kurze Distanzen.
Auch Christian Bauer, zuständig für die 5G-Entwicklung bei Trumpf, sagt, dass der Anteil von Funk-Verbindungen deutlich zunehmen wird. Insbesondere mit der Einführung von 5G. Denn damit würden insbesondere auch Anforderungen der Industrie erfüllt.
Vom FTF bis zum mobilen Endgerät - hier lohnt sich Wireless
Drahtlose Kommunikation sieht Bauer im Vorteil, wenn bestehende Infrastruktur um zusätzliche Fähigkeiten ergänzt werden soll und wenn flexible Lösungen gefragt sind. „Beispiele hierfür sind nicht nur Fahrerlose Transportsysteme, sondern auch die Teileverfolgung mittels Ladungsträgerverfolgung oder die Möglichkeit, über mobile Endgeräte an jedem Ort der Produktionsanlage in das Geschehen eingreifen zu können“, erläutert der Experte für Industriekommunikation.
Kabelgebundene Kommunikation hat laut Bauer oft noch in puncto Zuverlässigkeit und Robustheit der Systeme die Nase vorn: „Beim Datendurchsatz sind drahtgebundene Lösungen aktuell noch im Vorteil“, lautet sein Statement. Hier könnten geringe Übertragungszeiten bislang besser garantiert werden als bei mobiler Datenkommunikation.
Wo punktet Wireless und wo punkten Kabel?
Guido Ege, Leiter Technik und Produktentwicklung bei Lapp: „Wenn Mobilität wichtig ist oder Komponenten physisch schwer erreichbar sind, ist es oft klug, auf drahtlose Technologien zu setzen. Für die Anbindung mobiler Maschinen etwa sind Drahtlosverbindungen ideal. Kabel dagegen haben Vorteile, wenn geringe Latenzwerte gefordert sind – für Echtzeitkommunikation in der Industrie entscheidend – ebenso wie bei der Abhörsicherheit und der Störsicherheit.Zudem ist immer zu bedenken, dass nicht nur Daten übertragen werden müssen, sondern auch Leistung: Irgendwie müssen elektrische Antriebe, Schweißwerkzeuge und Ähnliches mit Strom versorgt werden. Drahtlos ist dies nach heutigem Stand, und vermutlich auch auf lange Sicht, nur in sehr wenigen Fällen technisch und wirtschaftlich sinnvoll. Und wenn schon eine Kabelverbindung zur Leistungsübertragung besteht, ist es oft zweckmäßig, auch Daten per Kabel zu übertragen, etwa in einer Hybridleitung, die beides vereint.“
Ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl der richtigen Kommunikationstechnik ist Geschwindigkeit. Wie sieht es also in Sachen Echtzeit bei Kabeln beziehungsweise bei Funk aus? In der Industrie wird derzeit vorrangig WLAN als Funknetz genutzt. „Der aktuelle WLAN-Standard 802.11ac erlaubt theoretisch eine Geschwindigkeit von knapp 7 Gbit pro Sekunde“, berichtet Seibert von TKD.
Warum die Kommunikation über Kabel bisher schneller ist
Bei handelsüblichen Geräten liege das Maximum aber immer noch zwischen 867 und 1 299 Mbit/s. Formal betrachtet entspricht das laut Seibert etwa dem, was auch heute übliche Kabelnetzwerke mit Gigabit-Ethernet (rund 1 000 Mbit/s) maximal erreichen.
„Trotzdem ist das Netzwerkkabel in der Praxis deutlich schneller“, erläutert der Experte für Industriekommunikation. Es erreicht seine Maximalgeschwindigkeit nämlich auf einer Strecke von bis zu 100 Metern. Bei WLAN ist das Seibert zufolge nur unter optimalen Empfangsbedingungen möglich, was – vereinfacht ausgedrückt – einer Sichtverbindung zwischen Access Point und Computer entspricht. „Schon die erste Wand reduziert die Geschwindigkeit je nach Bauart rasch um die Hälfte“, sagt Seibert.
Wo sehen Sie drahtlose Kommunikation in Zukunft im Vorteil?
Bernhard Niemann, Fraunhofer IIS: „Durch die Entwicklung robuster drahtloser Übertragungssysteme mit geringen Reaktionszeiten, rückt der Einsatz der Funktechnologien für Steuerung und Regelung von Maschinen – sogenannte Closed-Loop-Control – in einer voll automatisierten Produktion in greifbare Nähe. Auch das Versenden von Alarmmeldungen bei Notfällen oder die Überwachung kritischer Industrieanwendungen werden somit drahtlos praktikabel. Anwendungen, die eine flexible Interaktion zwischen Mensch, Werkstück, Produktionslinie und Entnahmeeinrichtungen erfordern, sind überhaupt erst durch eine zuverlässige drahtlose Datenübertragung realisierbar.“
In Sachen Echtzeitfähigkeit sind Kabel gegenüber Drahtlostechnologien prinzipbedingt im Vorteil. Das bestätigt auch Ege von Lapp: „Die Laufzeit der Information lässt sich bei Kabeln einfach aus der Naturkonstante Lichtgeschwindigkeit und der Entfernung berechnen, die Latenzzeit ist somit kein Thema.“
Funktechnologien holen hier aber auf. „Durch die Entwicklung robuster drahtloser Übertragungssysteme mit geringen Reaktionszeiten rückt der Einsatz der Funktechnologien für Steuerung und Regelung von Maschinen in einer voll automatisierten Produktion in greifbare Nähe“, ist sich Niemann vom Fraunhofer IIS sicher.
Und was ändert sich im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung? „Kabel ermöglichen die sichere und zuverlässige Übertragung von Daten und Leistung – sie sind sozusagen die Nerven- und Blutbahnen der smarten Fabrik“, bringt es Ege von Lapp auf den Punkt. Das bestätigt auch Seibert von TKD: „Kabel sorgen, oft etwas verborgen, für die Strukturen aller Netzwerke – auch in der digitalen beziehungsweise smarten Produktion.“
Es geht somit laut Seibert nicht ohne Kabel – auch in Zukunft. Vielmehr ermöglichten Kabel erst große Zukunftstrends wie Industrie 4.0, Gigabit-Infrastruktur, Energiewende und Elektromobilität. „Selbst die Kommunikation in Mobilfunknetzen ist ohne sie nicht denkbar – Kabel verbinden zum Beispiel die Basisstationen miteinander“, verdeutlicht Seibert.
Voraussetzung für smarte Lösungen sei in der Regel eine Infrastruktur mit Kabeln und Leitungen. Und damit schließt sich der Kreis. Es bleibt dabei. Kabel- und Funktechnologien wachsen miteinander, anstatt sich zu verdrängen. Auch wenn die Digitalisierung voranschreitet und 5G Einzug in die Fabriken hält.
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