"Mein Schwiegervater geht nach wie vor nur bewaffnet nach Over-The-Rhine", erklärt Kai Bitter, Anwalt bei der Kanzlei Frost Brown Todd. Er spricht vom ehemaligen Problemviertel Cincinnatis. Noch 2009 galt die Gegend als Amerikas gefährlichstes Stadtviertel. Doch in den letzten Jahren hat sich Over-The-Rhine rasant gewandelt. Deswegen erzählt Bitter die Story über seinen Schwiegervater auch mit einem Augenzwinkern.
Denn mittlerweile gilt die Gegend im Norden Cincinnatis als sicher, ja sogar als hippes, begehrtes Wohngebiet. Vor allem junge, gut ausgebildete Nachwuchskräfte der großen Unternehmen vor Ort ziehen dort hin. Die Wandlung vom Saulus zum Paulus des ehemaligen deutschen Einwandererquartiers steht symbolhaft für den Aufschwung Cincinnatis.
Die rund 300.000 Einwohner zählende Metropole galt neben Detroit als Sinnbild für den Niedergang einstiger Industrie- und Handelsstädte in den USA. Doch es geht wieder aufwärts. Zahlreiche Unternehmen investieren Milliardensummen hier an den Ufern des Ohio-River, wo sich die Bundesstaaten Ohio, Kentucky und Indiana treffen. Neben US-Konzernen wie General Electric, die ihr Global Operations Center hierher verlagert haben, reihen sich auch einige deutsche Unternehmen in den Reigen der Investoren ein.
So hat beispielsweise Festo ein neues Logistik- und Montagewerk in Mason, nur rund 25 Meilen nördlich von Downtown Cincinnati, hochgezogen. 60 Millionen Dollar ließen sich die Schwaben den Bau Kosten. 70 Prozent aller nordamerikanischen Kunden des Unternehmens sind maximal eine 10-Stunden-Fahrt auf dem Highway entfernt. "Die Reindustrialisierung der USA ist im vollen Gange", sagt Rich Huss, Präsident von Festo Corp, dem US-Ableger des schwäbischen Global Players.
Viele Produkte, die vor wenigen Jahren noch billig in Asien produziert wurden, laufen wieder in den Vereinigten Staaten vom Band – oder sollen es zumindest bald tun. Huss: "Es ist besser, es hier zu machen, anstatt die Waren von Asien in die USA zu verschiffen." Insbesondere die Qualität der Produkte könne dadurch gesteigert werden. Eine Studie der Managementberatung Bain & Company nennt weitere Gründe für diesen Trend.
Gründe für den Aufschwung
Vorteil 1: Dank der Öl-Gewinnung durch Fracking bezahlen US-Unternehmen nur einen Bruchteil für Elektrizität wie manch Wettbewerber in Europa.
Vorteil 2: Die Gesamtproduktionskosten gelten dank niedriger Lohnnebenkosten und eines geringen Lohnniveaus als äußerst wettbewerbsfähig. Sie müssen laut Studie selbst den Vergleich mit den mittlerweile weit entwickelten chinesischen Küstenregionen nicht mehr scheuen.
Vorteil 3: Darüber hinaus funktioniert der schienengebundene Frachtverkehr für Grundstoffe und Zwischenprodukte reibungslos – trotz aller Kritik am Zustand der nordamerikanischen Verkehrsinfrastruktur. So sind nach Bain-Schätzung die Investitionen in diesem Bereich mittlerweile höher als in Deutschland oder Frankreich.
Digitalisierung als Treiber der Entwicklung
Die Macher der Studie schlussfolgern: Die einseitige Verlagerung von Produktionskapazitäten in die Schwellenländer hat ihren Höhepunkt überschritten. Dementsprechend nehmen die Direktinvestitionen in den USA rapide zu. Die Bain-Analyse zeigt von 2013 bis 2017 einen Anstieg um gut 50 Prozent, verglichen mit dem Zeitraum von 2008 bis 2012.
Deutsche Unternehmen sind dabei besonders aktiv. Bereits 2011 eröffnete Siemens in North Carolina ein Werk für Gasturbinen. BMW rüstete unlängst seinen Standort in South Carolina auf. Auch Festo ist Teil dieser Renaissance der produzierenden Industrie in den USA, die so geprägt ist von Automatisierung und Digitalisierung.
Hell erleuchtet und blitzblank geputzt empfängt das Festo Logistik- und Montagewerk seine Besucher. Viele Arbeitsschritte laufen hier automatisiert, stets Computer-überwacht aus der Kommandozentrale. Ein Mitarbeiter überwacht von hier aus auf mehreren Monitoren den Materialfluss. Gerät ein Prozess ins Stocken, reicht ein kurzer Funkspruch und ein Werker geht auf Fehlersuche. Doch damit er das Problem rasch lösen kann, benötigt er eine umfassende Ausbildung.