Als sie am Abend des 18. September 2015 zu Bett gingen, wussten über elf Millionen VW-Fahrer nicht, dass unter der Kühlerhaube ihrer Fahrzeuge eine Bombe schlummerte. Tags drauf gab der Wolfsburger Konzern öffentlich zu, dass er illegale Software in den Autos verbaut hatte.
So unbedarft wie die betrogenen VW-Kunden sind heute die Betreiber der deutschen Mobilfunknetze. Auch die Router und Basisstationen, die sie verbaut haben, könnten illegale Software enthalten. Zumindest, wenn es sich um Geräte von Huawei handelt. Mit Komponenten des chinesischen Konzerns haben die Mobilfunkanbieter jeden zweiten Sendemast in Deutschland bestückt.
Das Bundesamt für Sicherheit (BSI) in der Informationstechnik kam in einem Bericht im Dezember zwar zu dem Ergebnis, dass es keinerlei Hinweise darauf gäbe, dass Huawei in der Software seiner Produkte geheime Schnittstellen für Spionagezwecke eingebaut hat. Doch derartige Berichte sind Momentaufnahmen, warnt Dr. Daniel Voelsen von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einem Aufsatz und ergänzt: „Über den Fernzugriff haben die Unternehmen jederzeit die Möglichkeit den Programmcode zu ändern.“
Warum Huawei zur existentiellen Bedrohung für deutschen Firmen werden kann
Sobald die Mobilfunkanbieter in den kommenden Monaten mit dem Aufbau ihrer 5G-Netze beginnen, nimmt dieses Risiko erheblich zu. Denn um ein reibungsloses Zusammenspiel von Soft- und Hardware in den neuen Mobilfunknetzen gewährleisten zu können, müssen Anbieter von Routern und Basisstationen ihre Geräte häufiger updaten als heute. Kein Testcenter der Welt ist in der Lage, wöchentliche Softwareupdates vor deren Übertragung daraufhin zu überprüfen, ob ihr Quellcode sauber ist.
Sollte China deutsche Unternehmen über 5G-Technik von Huawei ausspionieren, wäre dies für die betroffenen Firmen eine existenzielle Bedrohung. Denn über 5G werden Maschinen und Geräte in Echtzeit mehr Daten austauschen als jemals zuvor.
Aufgrund seiner hohen Datenrate und -geschwindigkeit wird der neue Mobilfunkstandard die Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren, das Internet der Dinge (IoT) und die vernetzte Produktion. Deshalb können Angreifer aus 5G-Netzen Daten in fast beliebiger Detailtiefe über Produktionsanlagen und –prozesse sowie das geistige Eigentum abgreifen, das die mit ihnen gefertigten Erzeugnisse enthalten.
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Warum ein US-Gericht Huawei verurteilte
Im Fall von Huawei ist diese Bedrohung schon lange kein theoretisches Szenario mehr. Vor zwei Jahren verurteilte ein Gericht in den USA den Konzern, weil zwei seiner Mitarbeiter 2014 Technologie der Telekom-Tochter T-Mobile US zum Testen von Handydisplays gestohlen hatten.
In Polen nahm die Polizei im Januar den Huawei-Mitarbeiter und ehemaligen chinesischen Diplomaten Wang Weijing fest. Auch ihm wird Industriespionage vorgeworfen.
In der Volksrepublik ist dies seit Inkrafttreten des Nationalen-Sicherheitsgesetzes 2015 sowie des neuen chinesischen Geheimdienst- und Cybersicherheitsgesetzes 2017 kein Verbrechen mehr. Im Gegenteil! Wenn der Staat es verlangt, verpflichten die neuen Gesetze chinesische Unternehmen und Bürger dazu, mit den Geheimdiensten der Volksrepublik zusammenzuarbeiten.
„Das Sicherheitsgesetz geht dabei von einem extrem breiten Begriff von nationaler Sicherheit aus, der auch die nachhaltige und dynamische wirtschaftliche Entwicklung der Volksrepublik umfasst“, erklärt Dr. Kristin Shi-Kupfer, Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft und Medien am Mercator Institute for China Studies (MERICS).
Warum sich Huawei vor Geheimdienstarbeit nicht entziehen kann
Würde also das Wirtschaftswachstum nachlassen und dadurch die politische Stabilität sowie die Legitimität der Kommunistischen Partei (KP) gefährdet, könnte sich ein Unternehmen wie Huawei nicht entziehen, wenn der Staat es für seine Geheimdienstarbeit in Anspruch nimmt.
„Zumal die KP seit der Amtsübernahme von Staatspräsident Xi Jinping erheblich an Einfluss in der chinesischen Gesellschaft und Wirtschaft zurückgewinnt und daher auch mehr Kontrolle über Privatunternehmen beansprucht“, ergänzt die stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Asien bei der SWP, Dr. Nadine Godehardt.
„Die Gefahr, die von 5G-Netzwerktechnik von Huawei ausgeht, ist also vor allem eine politische“, fasst MERICS-Expertin Shi-Kupfer zusammen.
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Warum der KP jedes Mittel recht ist
„Natürlich wird die KP chinesische Unternehmen nicht leichtfertig für ihre Ziele einspannen“, schränkt Godehardt ein. Schließlich müsse sie befürchten, dass die Firmen Absatzmärkte verlieren, wenn bekannt wird, dass der Staat sich ihrer für seine Zwecke bedient.
„Sollte sich die chinesische Wirtschaft jedoch so schwach entwickeln, dass soziale Unruhen die Macht der Partei in Frage stellen, ist der KP jedes Mittel Recht“, befürchtet Kristin Shi-Kupfer von MERICS. „Das gleiche gilt, wenn sich Chinas Beziehungen zu Deutschland im Zuge einer weltpolitischen Krise verschlechtern würden“, ergänzt Godehardt. Das könne beispielsweise passieren, wenn Xi sein Versprechen wahr machen würde, Taiwan wieder an die Volksrepublik anzuschließen.
Australien, Neuseeland und Indien sind dies zu viele Unwägbarkeiten. Sie haben Netzwerkbetreibern daher verboten, in ihren 5G-Netzen Technik von Huawei zu verbauen.
In den USA fordern Politiker und die Vorstände von Telekomfirmen, die Chinesen vom Aufbau der neuen Netze auszuschließen. In Großbritannien baut British Telecom Huawei-Komponenten derzeit sogar in ihrem 3- und 4G-Netz zurück. Das vom britischen Geheimdienst koordinierte Huawei Cyber Security Evaluation Centre hatte in seinem Jahresbericht 2018 schwere Mängel beim Datensicherheitsmanagement von Huawei festgestellt. Es konnte nicht ausschließen, dass Technik des Konzerns eine Gefahr für die nationale Sicherheit des Vereinigten Königreichs darstellt.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier konnte sich hingegen nicht dazu durchringen, Huawei vom Aufbau des deutschen 5G-Netzes auszuschließen. Dabei warnte der Bundesnachrichtendienst die Bundesregierung der Süddeutschen Zeitung (SZ) zufolge schon 2011 davor, dass durch den Einsatz von Huawei-Komponenten in deutschen Netzen „die Risiken einer nachrichtendienstlichen Ausspähung steigen.“
Der seinerzeitige Innenminister, Thomas de Maizière, schloss die Chinesen deswegen von der Mitarbeit beim „Nationalen IT-Gipfel“ aus. Der Konzern sei „ein industriepolitisches Instrument der chinesischen Regierung“, ist dazu in den Akten vermerkt, so die SZ.
USA wollten Deutschland umstimmen in Sachen Huawei
Zuletzt versuchte US-Botschafter Richard Grenell Altmeier in einem Erpressungsschreiben umzustimmen. Er drohte der Bundesregierung damit, ihr Erkenntnisse des US-Geheimdienstes über terroristische Bedrohungen vorzuenthalten, wenn Deutschland Huawei nicht aus seinem 5G-Netz verbannt.
Doch statt die Chinesen per Gesetz aus den Netzen zu verbannen, will die Bundesregierung das Telekommunikationsgesetz ändern. Künftig sollen Anbieter von Netzwerktechnik jedes Softwareupdate an die BSI melden und ihren Quellcode offenlegen müssen.
Zugleich soll die Bundesnetzagentur Netzbetreibern bei der derzeit laufenden Versteigerung der Lizenzen für den neuen Mobilfunkstandard die Auflage erteilen, nur Komponenten „vertrauenswürdiger Lieferanten" zu verbauen. Das sind Unternehmen, die „nationale Sicherheitsbestimmungen sowie Bestimmungen zum Fernmeldegeheimnis und zum Datenschutz zweifelsfrei einhalten“. Huawei kann diese Kriterien kaum erfüllen.
Doch damit wälzt die Bundesregierung das Risiko lediglich auf die Netzbetreiber ab. Ob sie die deutsche Industrie so auch zuverlässig vor Angriffen aus dem Cyberspace schützen kann, bleibt abzuwarten. Derzeit entsteht deutschen Unternehmen durch Wirtschaftsspionage jedes Jahr ein Schaden von gut 50 Milliarden Euro, meldet das Bundesinnenministerium.
Jeder Betrieb wird mindestens ein Mal pro Woche über das Internet angegriffen, ergab zudem eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte. Zwei Drittel dieser Attacken geht von chinesischen IP-Adressen aus, so eine Studie dies IT-Dienstleisters NTT. Ihr zufolge stieg die Zahl der Angriffe aus China seit 2016 um mehr als das Siebenfache.
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Die deutsche Industrie weiß, dass sie im Fadenkreuz des von der Volksrepublik geführten Cyberwars steht. Viele kleine und mittelständische Betriebe setzen schon seit Jahren statt auf ZTE oder Huawei auf IoT-Technik von Bosch und Siemens. Der Hamburger Hafen und Bosch bauen betriebsinterne 5G-Netze mit Technik von Nokia.
Audi installiert in seinem Softwarezentrum in Gaimersheim 5G-Technik von Ericsson. Auch BMW, Daimler und Volkswagen wollen firmeneigene 5G-Infrastruktur aufbauen, da sie nur so ihre Produktionsanlagen in Echtzeit vernetzen und zugleich vor Angriffen aus dem öffentlichen Netz schützen können, stellt Autobauer Daimler fest.
Warum es nicht so leicht ist, ein firmeneigenes 5G-Netz zu bauen
„Unternehmen, die eigene 5G-Netze aufbauen, haben die Möglichkeit, komplett auf Komponenten von Huawei zu verzichten und ihre Infrastruktur mit absolut sicheren und kontrollierbaren Schnittstellen vor Eindringlingen zu schützen“, weiß auch Dr. Christian Rusche, Industrie- und Wettbewerbsökonom am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln.
Allerdings hat der Verzicht auf die Technik der Chinesen seinen Preis. „Huawei gilt als innovativster Anbieter von 5G-Technik - noch dazu zu sehr günstigen Preisen“, erklärt Rusche. „Wer darauf verzichtet, handelt sich unter Umständen Nachteile im Wettbewerb mit Unternehmen ein, die Huawei nicht ausschließen.“
Sinnvoller wäre es, ein Sicherheitskonzept zu entwickeln, das beim Aufbau eines firmeninternen 5G-Netzes die Risiken vorwegnimmt, die von Huawei-Technik ausgehen könnten. Auf dieser Grundlage lassen sich von Anfang an Maßnahmen ergreifen, die diese Gefahren weitestgehend ausschließen – etwa eine sichere end-to-end-Verschlüsselung bei der Übertragung aller Daten.
Da solche technischen Maßnahmen ebenso wie die von der Bundesregierung diskutierte Novelle des Telekommunikationsgesetzes Unternehmen und Bürger jedoch nicht vollständig schützen, schlägt Nadine Godehardt von der SWP vor, der technologischen Herausforderung durch China durch einen intensiveren Dialog mit den Entscheidungsträgern in Peking zu begegnen.
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Was Deutschland akzeptieren muss
„Wir müssen akzeptieren, dass sich Chinas Aufstieg zum Wettbewerber auf den Märkten für Hochtechnologie nicht verhindern lässt und wir die Herausforderungen, die sich daraus ergeben, nur lösen können, wenn wir miteinander sprechen“, findet Godehardt. „Noch stehen wir ganz am Anfang dieser Entwicklung. Deshalb stellen wir durch die Art, wie wir jetzt miteinander umgehen, die Weichen dafür, ob wir auch künftig wirtschaftlich kooperieren und technische Standards gemeinsam entwickeln werden.“
Außerdem entstünde durch mehr Diplomatie auch mehr Transparenz. Die ist Grundlage für politische Entscheidungen. Und das Problem mit Huawei ist schließlich ein politisches.
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