Papierkrieg

325.000 Jobs: Bürokratie zwingt Industrie zur Aufrüstung

325.000 neue Stellen – nicht für Innovation, sondern zur Bewältigung des Papierkriegs: Eine aktuelle IAB-Erhebung zeigt, wie tief Bürokratie in der deutschen Wirtschaft verankert ist.

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Unternehmen in Deutschland haben in den vergangenen drei Jahren 325.000 Menschen eingestellt, um der wachsenden Bürokratie Herr zu werden.
Unternehmen in Deutschland haben in den vergangenen drei Jahren 325.000 Menschen eingestellt, um der wachsenden Bürokratie Herr zu werden.

Wie groß ist die Bürokratiebelastung in deutschen Unternehmen?

Die Zahl ist ebenso eindrucksvoll wie ernüchternd: Seit 2022 haben Unternehmen in Deutschland rund 325.000 neue Beschäftigte eingestellt – nicht für Wachstum oder Digitalisierung, sondern zur Bewältigung wachsender bürokratischer Anforderungen. Grundlage dieser Erkenntnisse ist eine aktuelle Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Demnach bewerteten 14 Prozent der Betriebe im Jahr 2025 die Belastung durch Bürokratie als sehr hoch. Noch 2022 lag dieser Wert bei lediglich 4 Prozent.

Auffällig ist vor allem die Dynamik, mit der die Belastung in nur drei Jahren angestiegen ist. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erweist sich dabei als besonders problematisch. Sie stellt für viele Betriebe das größte bürokratische Hindernis dar.

Die IAB-Stellenerhebung, auf der die Zahlen beruhen, basiert auf der Befragung von rund 10.000 Unternehmen unterschiedlichster Größe und Branche.

Welche Unternehmen trifft es besonders?

Besonders betroffen von dem Trend sind mittelgroße und große Betriebe. 30 Prozent der Großbetriebe mit mindestens 250 Beschäftigten sowie 30 Prozent der mittelständischen Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten haben laut der Erhebung seit 2022 zusätzliches Personal für Verwaltungsaufgaben eingestellt.

Zum Vergleich: Bei den kleineren Betrieben mit 10 bis 49 Beschäftigten gaben 16 Prozent an, personell aufgestockt zu haben. Noch geringer fällt der Wert bei Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden aus: Hier lag die Quote bei nur 7 Prozent. Das zeigt: Je größer der Betrieb, desto größer offenbar auch der bürokratische Druck.

In welchen Branchen wurde besonders aufgestockt?

Im Bereich der Energieversorgung meldete jeder fünfte Betrieb einen bürokratiebedingten Personalaufbau. Damit liegt diese Branche an der Spitze der Erhebung. Auf Platz zwei folgt die öffentliche Verwaltung einschließlich Verteidigung und Sozialversicherung mit 19 Prozent, dicht gefolgt vom Sektor Erziehung und Unterricht mit 17 Prozent.

Diese Zahlen belegen, dass nicht nur klassische Industrieunternehmen betroffen sind, sondern auch staatlich geprägte und gesellschaftlich essenzielle Bereiche. Die Bürokratie hat sich in nahezu alle Wirtschaftsbereiche ausgebreitet – mit messbaren Konsequenzen.

Welche Folgen entstehen durch den Personalanstieg?

Die wirtschaftlichen Auswirkungen gehen über den reinen Personalaufbau hinaus. IAB-Forscher André Diegmann bringt es auf den Punkt: „Der Beschäftigungszuwachs zur Bewältigung der gestiegenen Bürokratie umfasst nur einen Teil der zusätzlichen Kosten, die von den Unternehmen getragen werden müssen.“

Insgesamt berichten 80 Prozent der befragten Betriebe, dass ihnen höhere Kosten infolge der gestiegenen Bürokratie entstehen. Die Belastung äußert sich dabei nicht nur finanziell, sondern betrifft auch:

  • Produktivitätseinbußen

  • Wettbewerbsnachteile

  • Innovationshemmnisse

Damit wird deutlich: Die Kosten betreffen nicht nur die Gegenwart, sondern gefährden auch die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen.

Was fordern Experten?

Angesichts der dramatischen Entwicklung mehren sich die Stimmen, die nach neuen Wegen im Gesetzgebungsprozess rufen. IAB-Forscher Alexander Kubis bringt einen ungewöhnlichen Vorschlag ins Spiel: Gesetze sollen künftig auf Probe eingeführt werden.

Eine sinnvolle Möglichkeit wäre es, zukünftige Gesetze und Verordnungen zunächst befristet einzusetzen und mit einem ergebnisoffenen Prüfauftrag zu verbinden“, so Kubis.

Ein solcher Ansatz könnte helfen, die tatsächliche Belastung in der Praxis zu analysieren und unnötige Regelungen frühzeitig zu revidieren. Der Vorschlag signalisiert: Bürokratieabbau braucht neue Denkansätze – und den Mut zur Flexibilität.

Was bleibt vom Bürokratieabbau?

Während politisch seit Jahren über Bürokratieabbau diskutiert wird, zeichnet die IAB-Erhebung ein gegenteiliges Bild. Der Wunsch nach Entlastung steht im starken Kontrast zur Realität in deutschen Unternehmen: Wachsender Aufwand, neues Personal, steigende Kosten.

Die Zahlen werfen die Frage auf, ob bestehende politische Maßnahmen den gewünschten Effekt erzielen – oder ob ein grundlegend neues Konzept zur Regulierung und Gesetzgebung notwendig ist. Klar ist: 325.000 neue Stellen nur für Verwaltung sind ein Signal, das weder Wirtschaft noch Politik ignorieren können.

Mit Material der dpa

FAQ – Bürokratie in deutschen Unternehmen

Was zeigt die aktuelle IAB-Erhebung zur Bürokratie?
Die Erhebung zeigt, dass in den letzten drei Jahren 325.000 neue Stellen geschaffen wurden, um bürokratische Anforderungen zu bewältigen.

Welche Unternehmen sind besonders betroffen?
Groß- und mittelständische Unternehmen haben besonders häufig zusätzliches Verwaltungspersonal eingestellt.

Welche Branchen sind besonders belastet?
Energieversorgung, öffentliche Verwaltung sowie Erziehung und Unterricht melden besonders häufig Personalzuwachs durch Bürokratie.

Welche Hauptursache wird genannt?
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird am häufigsten als Ursache für hohe bürokratische Belastung genannt.

Welche Folgen hat die Bürokratie für Unternehmen?
Neben den Personalkosten führen erhöhte bürokratische Anforderungen zu geringerer Produktivität, Innovationshemmnissen und Wettbewerbsnachteilen.

Gibt es Lösungsvorschläge?
Ein Vorschlag sieht vor, Gesetze künftig nur befristet und mit Evaluation einzuführen, um unnötige Belastungen frühzeitig zu erkennen.