Europa plant die digitale Unabhängigkeit

Cloud, KI & Co: Europa will raus aus der Abhängigkeit

US-Konzerne dominieren Cloud und KI, doch Europa plant den Gegenschlag: Beim Gipfel in Berlin rücken Souveränität und Schlüsseltechnologien in den Fokus.

Wichtige Daten liegen in der Cloud bei Google, auf den Rechnern läuft Microsoft Office und auch die KI wird von US-Firmen dominiert - wie kann sich Europa unabhängiger machen von den mächtigen Unternehmen?
Wichtige Daten liegen in der Cloud bei Google, auf den Rechnern läuft Microsoft Office und auch die KI wird von US-Firmen dominiert - wie kann sich Europa unabhängiger machen von den mächtigen Unternehmen?

Wie abhängig ist Europa wirklich von US-Techgiganten?

Ob Behörden, Unternehmen oder Forschungseinrichtungen – die Speicherung sensibler Daten erfolgt meist auf Servern von Amazon AWS, Google Cloud oder Microsoft Azure. Damit liegt ein Großteil europäischer Digitalinfrastruktur in den Händen US-amerikanischer Anbieter. Auch Anwendungen wie Microsoft Office sind allgegenwärtig. Bei Künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit oder Mikroelektronik gilt Europa ebenfalls als technologisch abhängig von Übersee.

Eine Studie des Branchenverbands Bitkom bestätigt diese Einschätzung: Neun von zehn deutschen Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern nutzen Cloud-Dienste. 89 Prozent von ihnen sehen sich in technischer Hinsicht abhängig vom Ausland.

Warum rückt digitale Souveränität jetzt in den Mittelpunkt?

Der Druck, digital souverän zu werden, steigt. „Das Thema hat wegen der äußeren Umstände eine ganz neue Priorität“, hieß es im Vorfeld des Gipfels aus Regierungskreisen. Es gehe nicht mehr nur um militärische Unabhängigkeit, sondern auch um die Kontrolle über digitale Ressourcen und Werte.

Diese Dringlichkeit spiegelte sich auch auf höchster politischer Ebene wider. Beim Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität trafen sich unter anderem Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie die EU-Digitalminister in Berlin.

Auch Vertreter bedeutender europäischer Unternehmen wie SAP, Siemens und Telekom nahmen an den Gesprächen teil. Insgesamt wurden über 1.000 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft erwartet.

Wie sehr ist Deutschland digital von anderen Nationen abhängig?

Was sind die Ziele des Gipfels?

Ziel des Treffens war es, konkrete Schritte in Richtung europäischer Unabhängigkeit bei Schlüsseltechnologien einzuleiten. So sollen Investitionen und Kooperationen in Bereichen wie Recheninfrastruktur, Quantentechnologie, Gesundheitswesen, Verteidigung und Drohnen angeschoben werden.

„Von diesem Gipfel geht ein klares Signal aus: Wir Europäer können und wollen bei Schlüsseltechnologien zu den Spitzenreitern gehören“, sagte Digitalminister Karsten Wildberger. Deutschland und Frankreich wollen laut Wildberger gemeinsam zum Motor für mehr digitale Souveränität in Europa werden.

Wo liegen die aktuellen Schwachstellen in Europas Infrastruktur?

Ein zentraler Knackpunkt ist der Aufbau einer eigenen europäischen Cloud-Infrastruktur. Bisher landen sensible Daten fast ausschließlich bei US-Anbietern – trotz europäischer Alternativen wie der Schwarz-Gruppe oder Ionos.

Doch digitale Souveränität bedeutet mehr als nur Server-Standorte. Entscheidend ist auch, welche Werte und Interessen in den digitalen Systemen verankert sind. Ob bei der Dokumentensuche, automatischen Zusammenfassungen oder Priorisierungen: KI-Werkzeuge bringen immer auch ihre Programmierlogik mit – oft basierend auf anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prämissen als in Europa.

Welche politischen Schritte sind geplant?

Deutschland und Frankreich wollen die EU-Kommission dazu bewegen, klare Regeln zu setzen: Kritische Daten sollen innerhalb der EU gespeichert und verarbeitet werden. Gleichzeitig sollen Datenflüsse innerhalb Europas erleichtert werden, um Innovationen nicht auszubremsen.

Ein weiterer Baustein: Open-Source-Tools. Besonders Schleswig-Holstein wird als Vorbild genannt. Dort ersetzt die Verwaltung zunehmend Microsoft-Programme durch quelloffene Alternativen. Diese Strategie soll nun auch auf europäischer Ebene forciert werden.

Was bringt die EUDI-Wallet?

Mit der EUDI-Wallet plant die EU eine digitale Brieftasche, die europaweit genutzt werden kann. Der Start ist für Ende 2026 bzw. Anfang 2027 vorgesehen. Sie soll Bürgern und Unternehmen ermöglichen, sich digital auszuweisen und Verwaltungsleistungen grenzübergreifend zu nutzen. Deutschland und Frankreich wollen diesen Prozess beschleunigen und eine gemeinsame Taskforce etablieren, um die Umsetzung zu koordinieren.

Lösungen in der Praxis: Was Unternehmen konkret tun

SAP: Der Softwarekonzern ist bereits seit Jahren daran interessiert, europäische Standards in seinen Cloud-Angeboten zu verankern. Beim Gipfel zeigte sich das Unternehmen offen für neue Kooperationen mit staatlichen und privaten Partnern.

Ionos: Als deutscher Cloud-Anbieter stellt Ionos seine Infrastruktur vollständig in der EU zur Verfügung. Damit erfüllt das Unternehmen zentrale Kriterien digitaler Souveränität. Es wird als potenzieller Eckpfeiler einer unabhängigen Cloud-Strategie gehandelt.

Schwarz-Gruppe: Mit ihrer IT-Tochter StackIT und einer eigenen Cloud-Plattform positioniert sich die Schwarz-Gruppe (u.a. bekannt durch Lidl) zunehmend als datensouveräne Alternative im europäischen Markt.

Schleswig-Holstein: Das Bundesland geht als Vorreiter voran und ersetzt Microsoft-Programme in der Verwaltung durch Open-Source-Anwendungen. Diese Praxis dient beim Gipfel als Fallbeispiel dafür, wie staatliche Strukturen unabhängig von US-Konzernen gestaltet werden können.

Mit Material der dpa

FAQ – Fragen zur digitalen Souveränität

Was bedeutet digitale Souveränität? Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit, digitale Infrastruktur, Technologien und Daten eigenständig und unabhängig zu betreiben und zu kontrollieren.

Welche Unternehmen dominieren aktuell den europäischen Cloud-Markt? Amazon AWS, Google Cloud und Microsoft Azure sind die führenden Anbieter, auch in Europa.

Warum ist Open Source für Europa wichtig? Quelloffene Software ermöglicht mehr Transparenz, Kontrolle und Unabhängigkeit von einzelnen Anbietern – ein Schlüssel zur digitalen Souveränität.

Was ist die EUDI-Wallet? Die EUDI-Wallet ist eine geplante EU-weite digitale Brieftasche für Identitätsnachweise und Verwaltungsprozesse.

Welche Rolle spielen Deutschland und Frankreich? Beide Länder treiben die europäische Digitalpolitik aktiv voran und setzen auf gemeinsame Projekte sowie eine koordinierende Taskforce.