Zombies, Vampire, Untote und Gespenster: Sie alle treiben ihr Unwesen in zig Büchern und Filmen. Doch manchmal erwachen solche Gestalten auch in der Wirtschaft zum Leben und werden zum Problem. „Die Nacht der lebenden Toten“ heißt der Horrorfilm vom Schöpfer des modernen Zombiefilms. „Das Jahr der lebenden Toten“ könnte 2021 werden, denn Zombieunternehmen treiben ihr Unwesen.
Experten sind sich einig: Die Zahl der Zombieunternehmen, also Firmen die eigentlich schon insolvent sind, aber mit Krediten künstlich am Leben gehalten werden, wird im ersten Halbjahr steigen. Das geht aus dem Finanzmarkttest des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervor, an dem sich mehr als 170 Experten beteiligt haben.
Demnach befürchten 58 Prozent der Befragten einen geringen und 39 Prozent einen starken Anstieg an Zombieunternehmen. „Die Coronakrise hätte für viele dieser Unternehmen eigentlich wie ein Katalysator zwingend das Aus bedeuten müssen“, sagt Dr. Matthias Hofmann, Partner und Fachanwalt für Insolvenzrecht beim Insolvenzverwalter Pohlmann Hofmann gegenüber PRODUKTION. Die Realität sehe aber anders aus, „weil staatliche Hilfen, allen voran das an niedrigere Hürden geknüpfte und bis Ende 2021 verlängerte Kurzarbeitergeld, gerade auch diesen Zombieunternehmen helfen, doch weiter am Markt zu bleiben.“
Eine zwingende Notwendigkeit, bereits jetzt über Restrukturierung nachzudenken, gleich ob außergerichtlich oder in einem gerichtlichen Restrukturierungs- oder Schutzschirmverfahren, gebe es für die Zombies damit weiter nicht. „Sie werden weiter auch ohne Restrukturierung über Wasser gehalten“, meint Hofmann. Auch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hatte nach Ansicht von Finanzmarktexperten einen großen Einfluss darauf, dass Zombieunternehmen weiter existieren.
Wie entstehen Zombieunternehmen?
„Bereits vor dem Jahr 2020 und vor der Corona-Pandemie waren sogenannte Zombieunternehmen Gegenstand vieler Diskussionen gerade unter Restrukturierungs- und Insolvenzpraktikern“, erklärt Fachanwalt Dr. Matthias Hofmann.
Das Phänomen hänge vor allem mit der absehbar noch andauernden Niedrigzinsphase zusammen: „Unternehmen, die eigentlich schon lange operative Probleme haben, erhielten bereits in den letzten Jahren sehr leicht und vor allem so billig Eigen- und Fremdkapital, dass Unternehmen auf nötige Sanierungsmaßnahmen schlichtweg verzichtet und operative und strategische Neuausrichtungen einfach nicht angepackt haben“, erklärt er. „Mit diesem billigen Geld konnten die eigentlich schon kurz vor dem Tod stehenden Zombies einfach weiterwirtschaften.“
4.500 Zombieunternehmen in Deutschland?
„Während es zu Beginn der Krise richtig und wichtig war, diese Maßnahmen schnell einzuführen, geht es nun darum, die Rückwirkungen auf den Bankensektor und die Entstehung von Zombieunternehmen möglichst einzudämmen. Hierfür sind verschiedene Wege gangbar, die beispielsweise die Ausstattung von Unternehmen mit Eigen- statt Fremdkapital oder das Vorgehen der Bankenaufseher betreffen“, erklärt Karolin Kirschenmann, stellvertretende Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement“, in einer Mitteilung.
Dr. Klaus-Heiner Röhl, Senior Economist für Unternehmen am Institut der deutschen Wirtschaft, erläutert im IW-Kurzbericht, dass es 2020 eine Diskrepanz zwischen erwartbaren und tatsächlichen Insolvenzen gab. Statt des Tiefstands von rund 17.000 Insolvenzen sei aufgrund der Wirtschaftsentwicklung eine Zunahme von 15 Prozent erwartbar gewesen. Die fehlenden 4.500 Insolvenzen könnten laut Röhl Zombieunternehmen sein.
Zombieunternehmen gefährden gesunde Firmen
Das Problem: Diese Firmen sind auch für gesunde Unternehmen gefährlich. Regine Hilgers ist Spezialistin für den Bereich Credit Management beim Softwareunternehmen Collenda und beschäftigt sich mit diesem Phänomen. Sie erklärt im Gespräch mit PRODUKTION: Unternehmen, die weiter am Leben gehalten werden, haben Lieferanten und Kunden, die früher oder später durch eine Insolvenz ebenfalls in Schwierigkeiten kommen. „Wenn man ein Zombieunternehmen als Kunde hat, dann werden Forderungen nicht mehr beglichen und Umsätze brechen weg“, sagt sie. Und wenn ein Zombieunternehmen im Lieferantenportfolio ist, sei das für das produzierende Gewerbe genauso schlimm. Denn durch einen möglichen Produktionsstillstand kommen auch diese Unternehmen in die Bredouille.
Durch die Coronakrise sei die Gefahr, die von solchen Firmen ausgeht, derzeit noch größer, weil zum Beispiel viele Lieferanten durch die Pandemie sowieso schon Probleme haben. „Das wird dann wie eine Welle“, so die Expertin.
Was können Firmen also unternehmen, um Zombies unter ihren Lieferanten oder Kunden auszumachen? „Es ist immer wichtig, die Kunden im Blick zu behalten“, sagt Hilgers. Sie rät den Unternehmen deshalb, eine Wirtschaftsauskunft anzufordern. „Das Problem dabei ist, dass zum Beispiel der Jahresabschluss eines Mittelständlers nur wenig über die aktuelle Situation aussagt“, so die Expertin. Um herauszufinden, wer die Zombies sind, seien deshalb Fingerspitzengefühl und die Erfahrungen der Beschäftigten mit dem entsprechenden Kunden gefragt.
Auf diese Anzeichen sollten die Firmen achten
Konkret heißt das, die Verantwortlichen sollen ihre Mitarbeiter befragen, die direkt mit dem jeweiligen Kunden zu tun haben – zum Beispiel im Vertrieb. Sogenannte weiche Faktoren, die laut Hilgers ein Anzeichen für eine Schieflage sein können, sind dabei Dinge wie der Verkauf von Maschinen oder die Abschaffung von Firmenautos.
Dazu kommen noch ungünstige betriebliche Anzeichen wie der Wegfall des Hauptabsatzmarktes oder wenn – wie während der ersten Welle – die Häfen dicht sind. Auch Rechtsstreitigkeiten mit hohen Ansprüchen oder gesetzliche Änderungen können laut Hilgers dazu führen, dass aus normalen Firmen Zombieunternehmen werden. Noch schwieriger wird die Einschätzung übrigens, wenn die Zombies im Ausland ansässig sind und man so an weniger Informationen kommt.
Zombieunternehmen: Ausblick auf 2021 und 2022
Wie es 2021 mit den Zombieunternehmen weitergeht, bleibt abzuwarten. Viele Experten rechnen jedoch – wie in Horrorfilmen auch – mit dem Schlimmsten: Creditreform geht zum Beispiel für 2020 von 550.000 überschuldeten Unternehmen aus, die zu Zombieunternehmen werden könnten, 2021 sogar mit bis zu 800.000, heißt es im IW-Kurzbericht.
Insolvenzanwalt Hofmann rechnet erst für das Jahr 2022 – also nach Auslaufen der Regelungen zum Kurzarbeitergeld – mit einer Auswirkung von Zombieunternehmen auf die Insolvenzzahlen. „Trotzdem werden wir auch dieses Jahr ein Mehr an Insolvenzen sehen, vor allem in Branchen, die vom Lockdown am härtesten getroffen sind, zum Beispiel stationärer Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie“, erklärt er.
Auch in der Industrie rechnet er dieses Jahr schon mit dem ein oder anderen Restrukturierungs- und Insolvenzfall – „insbesondere in Bereichen, in denen Strukturwandel und Auswirkungen der Corona-Pandemie zusammentreffen, zum Beispiel im Bereich der Automobilzulieferer.“