Wie geht es in der Industrie weiter? Welche Folgen hat die Transformation? Bei einem sind sich viele Führungskräfte und Experten einig: Ohne entsprechende Aus- und vor allem Weiterbildung der Mitarbeitenden wird es nicht gehen. Das zeigt auch eine Studie zum Thema Industrie 4.0 der Unternehmensberatung Deloitte. Demnach ist für 82 Prozent der befragten Entscheider aus Deutschland die gezielte Förderung und Weiterbildung ihrer Beschäftigten enorm wichtig.
Und die Unternehmen handeln bereits. Kürzlich hat zum Beispiel ZF-Chef Wolf-Henning Scheider angekündigt, eine eigene „E-Cademy“ zu starten, um die die Mitarbeitenden für das Thema E-Mobilität zu schulen (hier geht es zum Artikel). Doch nicht jede Firma kann oder will ein eigenes Fortbildungszentrum aus dem Boden stampfen. Die Lösung sind dann oftmals externe Anbieter – die immer mehr auf digitale Lösungen setzen.
Unternehmen stellen Lerninhalte zur Verfügung
Eines davon ist Ind.Academy. Geschäftsführer Aaron Overmeyer erklärt: „In ein paar Jahren wird Lernen und Arbeiten viel enger miteinander verschmolzen sein. Am Arbeitsplatz zu Lernen wird viel präsenter sein. Es wird also keine Trennung mehr geben, sondern man lernt während der Arbeit.“
Das Start-up will Unternehmen und Institute dabei unterstützen, aus bestehendem Wissen Lerninhalte zu formen. Es sieht sich dabei als Plattform von der Industrie für die Industrie und bündelt digitale Lerninhalte von Industrieunternehmen, Verbänden, Instituten und Dienstleistern zentral.
Impfung gegen Corona: So plant die Industrie
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Präsenzveranstaltungen werden immer teurer und zudem seien die Mitarbeiter oft mehrere Tage nicht verfügbar, wenn sie eine externe Schulung machen, erklärt Overmeyer die Motivation. Deshalb wolle man Lerninhalte von Industrieunternehmen sammeln. „Lernen wird viel kleinteiliger werden: Mitarbeiter haben nicht mehr nur einmal im Jahr eine Fortbildung, sondern bilden sich in eher kleineren Abschnitten fort“, so Overmeyer.
Digitale Weiterbildungsmöglichkeiten stoßen aber nicht immer sofort auf Gegenliebe: „Die Industrie ist natürlich präsenzgeprägt. Deshalb muss man teilweise Überzeugungsarbeit leisten und ein Bewusstsein dafür schaffen.“ Corona habe aber sehr deutlich gezeigt, dass es digitale Alternativen gebe, die sinnvoll seien, so der Geschäftsführer.
Um die Lehrinhalte so industrienah als möglich auszubauen, sucht die E-Learning-Plattform stets nach passenden neuen Partnern. Neben dem TÜV Süd und Sick kooperiert seit kurzem auch der 3D-Druck Innovator EOS mit dem Start-up. Die Trainingsprogramme des Technologieanbieters sollen Grundlagen in verschiedenen Bereichen der additiven Fertigung vermitteln.
Das Konzept der Ind.Academy: Wenn die gesuchten Inhalte bereits auf der Plattform vorhanden sind, können Unternehmen ihre Mitarbeiter „onboarden“ und sofort loslegen. Es können auch eigene Lernpfade, zum Beispiel im Bereich Arbeitssicherheit erstellt werden. Alternativ können Unternehmen auch selbst – auch in Zusammenarbeit mit dem Start-up – Inhalte erstellen und über die Plattform zur Verfügung stellen. Die Kurse sind dabei zeit- und ortsunabhängig und dauern höchstes drei Stunden.
Unternehmen sollen auch zusammenarbeiten
Ein Problem, das das Start-up zu Beginn unterschätzt hat: „In der Produktion hat zum Beispiel noch nicht jeder Mitarbeiter ein eigenes Gerät. Unsere Testkunden haben die Kurse teilweise am Wochenende auf ihrem eigenen Tablet gemacht. Es gibt aber natürlich auch Mitarbeiter, die ihre privaten Geräte nicht für die Arbeit nutzen wollen“, berichtet Overmeyer. In vielen Unternehmen hätten die Mitarbeiter aber zum Glück ein mobiles Endgerät.
Dass Fortbildungen in Zeiten von Transformation immer wichtiger werden, sieht auch Overmeyer: „Zulieferer zum Beispiel haben die Herausforderung, dass es manche Jobs in drei Jahren nicht mehr geben wird, weil die an den Verbrennern hängen. Das sind aber hochqualifizierte Fachkräfte, die die Unternehmen nicht gehen lassen wollen. Deshalb gibt es einen riesen Umschulungsbereich“, erklärt er im Gespräch mit PRODUKTION.
Der Trend gehe zu immer mehr Softwareschulungen, auch im Automobilbereich. Andere Themen, die besonders gefragt werden, seien zum Beispiel Cybersecurity und Elektromobilität.
Künftig will Overmeyer nicht nur die Angebote der verschiedenen Industrieunternehmen zur Verfügung stellen, sondern: „Langfristig träumen wir davon, dass die Unternehmen sich auf unserer Plattform auch untereinander vernetzen und gemeinsam Probleme lösen. Denn kooperatives und unternehmensübergreifendes Lernen wird die Zukunft sein.“
So soll Ausbildung online gelingen
Viele Fachkräfte müssen in den kommenden fünf Jahren umgeschult oder weitergebildet werden, ist sich auch Melanie Stöcker sicher. Sie ist Sales Managerin bei der eCademy von Cornelsen. Die digitale Lernplattform will Azubis, aber auch Fachkräfte unterstützen. So bietet die Plattform unter anderem digitale Ausbildungen als Industrie- oder Zerspanungsmechaniker an. „Zudem bereiten die Zukunftskompetenzen, wie Agiles Arbeiten oder Digitalisierung der Arbeit, die angehenden Fachkräfte auf die neuen Herausforderungen der Arbeitswelt vor.“
Konkret heißt das, die Lernplattform begleitet laut Stöcker „die Azubis während der gesamten Ausbildung mit relevanten Fachinhalten, Grundlagen sowie bereichsübergreifenden Inhalten, wie Mathe-Basics, Deutsch, Englisch oder Sozialkompetenz und hilft ihnen gezielt bei der Vorbereitung auf die Prüfung.“
Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten: So können Ausbilder die Lerninhalte zum Beispiel auch durch eigene Dateien unterfüttern. „Das ist meistens unternehmensspezifisches Material, zum Beispiel zu einer bestimmten Maschine“, sagt die Expertin. Unternehmen können außerdem zusammen mit der eCademy ein auf sie zugeschnittenes Programm entwickeln. Firmen können aber auch einen QR-Code an einer ihrer Maschinen anbringen, über den die Azubis dann zur passenden E-Learning-Einheit kommen.
In den Unternehmen hat sich einiges getan
Einen weiteren Vorteil sieht Stöcker in den angebotenen Simulationen. Dadurch „können die Auszubildenden erst einmal virtuell üben und ihr Wissen praktisch und ohne Angst etwas falsch zu machen, anwenden, indem sie beispielweise eine Maschine, ein Fahrzeug oder eine Chemieanlage direkt zu sich auf den Bildschirm holen“, erklärt sie. „In der Simulation werden auch Dinge wie Arbeitssicherheit beachtet: Wenn zum Beispiel im Zugversuch die Klaue nicht heruntergeklappt wird, funktioniert sie nicht.“
Beim Aufbau der Lektionen hat sich die Lernplattform an den aktuellen Bedürfnissen orientiert, erzählt Stöcker im Gespräch mit PRODUKTION: „Studien zeigen, dass Menschen die wichtigsten Inhalte kurz und knapp konsumieren wollen. Unsere Lerninhalte sind deshalb so aufgebaut, dass erst ein audiovisueller Wissensinput erfolgt, dann eine Übung und zum Schluss ein Test. Die Lernenden können dann in einer bis eineinhalb Stunden ihr Lernziel erreichen.“
Das sind die Industrietrends 2021
Was sind die Trends für 2021? Wie schätzt die Industrie die wirtschaftliche Lage ein? PRODUKTION hat beim VDMA, VDW, ZVEI und den Unternehmen ZF und Ceratizit nachgehakt. Wir wollten wissen:
Welche Schulnote würden Sie der Konjunktur für das Jahr 2021 geben? Was erwarten Sie von der neuen US-Regierung für die deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen? Die Antworten gibt es hier.
Wie hat Corona die Zusammenarbeit innerhalb der Unternehmen verändert? Hier geht es zum zweiten Teil der Industrietrends.
Werden die Firmen Lieferketten infolge des Corona-bedingten Zusammenbruchs der Supply Chains dauerhaft anpassen? Werden die Lieferketten wieder regionaler? Alles zum Thema Lieferketten lesen Sie hier.
(Bild: littlewolf1989 - stock.adobe.com)
Die Sales Managerin sieht den digitalen Ansatz als großen Pluspunkt: „Die Auszubildenden können zu jeder Zeit an jedem Ort lernen und sich Dinge aneignen.“ Ein Industrieunternehmen, das seit Corona mit der eCademy zusammenarbeitet, ist Schaeffler. (Digitale) Weiterbildungsangebote seien inzwischen auch ein Auswahlkriterium, wenn sich Azubis eine Stelle suchen, so Stöcker.
In den Firmen habe sich deshalb einiges getan, berichtet Stöcker: „Wir hören von ganz vielen Unternehmen, dass sie jetzt Hardware anschaffen wollen. Das war früher nicht so.“ Die meisten Auszubildenden bekommen laut Stöcker inzwischen auch ein eigenes Tablet oder einen Laptop. Handys eher nicht. Es gebe auch Unternehmen, die immer noch keine Handys vor Ort erlauben.
Und wie sieht es in der Zukunft aus? Virtual Reality sei zwar derzeit noch recht teuer und vor allem in der Gaming Welt zu finden – der Trend werde sich aber in Richtung Lernen verschieben, ist sich Stöcker sicher.
Vorbehalte gegen digitales Lernen sind kulturelles Problem
„Durch Themen wie die Digitalisierung liegt heute per se ein immenser Up- und Reskilling Bedarf quer über die gesamte Organisation – in allen Branchen. Corona hat dabei als Brennglas zusätzlich für Beschleunigung gesorgt“, sagt auch Christian Friedrich. Er ist Mitglieder der Geschäftsführung bei der Haufe Akademie. Das Unternehmen hat vor Corona Präsenzveranstaltungen und digitale Angebote zur Verfügung gestellt. Durch Corona wurden aus den meisten Präsenzveranstaltungen nun Live-Online-Termine.
Dabei will sich Friedrich nicht auf eine Variante – Live-Event oder Aufzeichnung – festlegen: „Eine Aufzeichnung ist nur dann spannend, wenn sie eine ganz konkrete Frage beantwortet“, sagt er. Das heißt: Wenn der Mitarbeitende Bedarf habe, wolle er auch eine Antwort bekommen. Die Haufe Akademie will das Lernen deshalb möglichst nah an den Arbeitsalltag bringen.
Eines darf dabei allerdings nicht fehlen: Der Unterhaltungswert. „Der Inhalt ist immer noch wichtig, aber das visuelle auch“, sagt Friedrich. „Das kann man natürlich auch überfrachten. Es muss eine gute Mischung sein, die zur Zielgruppe und ins Jahr 2021 passt.“
Auch die Haufe Akademie war – ähnlich wie Ind.Academy – erst mit der Skepsis einiger Beschäftigten konfrontiert. „Durch virtuelle Klassenräume, digitale Whiteboards etc. sind natürlich ungewohnte Einstiegshürden da“, sagt Friedrich. Da sei es auf Anbieterseite die Verantwortung, die Angebote so zu schnüren, dass sie leicht nutzbar seien. Denn: „Der Qualifizierungsbedarf ist unabhängig vom Alter da.“ Durch Corona sei die Akzeptanz aber auch aus der Not heraus gestiegen und Unternehmen entdecken nun die Vorteile digitaler Angebote, so der Geschäftsführer.
Denn die Vorbehalte gegen digitales Lernen seien eher ein kulturelles Problem. „Die technologischen Hürden sind kleiner.“ Dennoch geht Friedrich davon aus, dass es wieder den Trend zu Präsenzveranstaltungen geben wird. „Es wird aber nicht mit einem Mal umswitchen, weil viele gesehen haben, wo der Wert in digitalem Lernen liegt und dass es funktionieren kann“, sagt er.
Industrie 4.0 digital lernen
Ein weiteres Start-up, das sich mit der digitalen Weiterbildung beschäftigt ist Peers. Das Unternehmen bietet eine Softwarelösung für Personalentwicklung in der Industrie an und arbeitet dabei auch mit der Cornelsen eCademy und der Haufe Akademie zusammen.
Zuletzt hat sich Peers unter anderem mit Industrie 4.0 beschäftigt. Zu Erinnerung: Über 80 Prozent der Führungskräfte sehen hier Weiterbildungsbedarf. Auch Andreas Riguzzi, Inhaber und Geschäftsführer des gleichnamigen Familienunternehmens für Metall- und Blechbearbeitung war sich dessen bewusst. Riguzzi spürte laut einer Mitteilung die Digitalisierung am eigenen Leib.
Im Sommer 2019 begann das Unternehmen deshalb zusammen mit Peers seine Mitarbeitenden in den Bereichen Verwaltung aber auch Fertigung für die industriellen Herausforderungen zu schulen. Um das Ziel der „Smart Factory“ zu erreichen, müsse man übergreifende Prozesskenntnisse verstehen, so Peers. Mit mehr als 1.300 Stunden an Lernmaterial konnte das Familienunternehmen eine 13-prozentig höhere Mitarbeiterbindung erzielen.