Industrieunternehmen wie Voith (im Bild eine Kaplan-Turbine im Wasserkraftwerk Wanapum, USA, Voith Hydro) brauchen dringend schnellere Genehmigungsverfahren, beispielsweise beim Ausbau der erneuerbaren Energien, eine bessere digitale Infrastruktur und mehr Anreize für Investitionen, vor allem in grüne Technologien sowie weniger Belastungen.

Industrieunternehmen wie Voith (im Bild eine Kaplan-Turbine im Wasserkraftwerk Wanapum, USA, Voith Hydro) brauchen dringend schnellere Genehmigungsverfahren, beispielsweise beim Ausbau der erneuerbaren Energien, eine bessere digitale Infrastruktur und mehr Anreize für Investitionen, vor allem in grüne Technologien sowie weniger Belastungen. (Bild: Voith)

„Unser Land ist gefesselt. Wir haben uns selbst gefesselt durch sehr viel Bürokratie, durch selbst gegebenes Recht, durch die Umsetzung von europäischem Recht in ganz besonderer deutscher Weise“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner anlässlich der Übernahme der G7-Präsidentschaft durch Deutschland im Januar 2022.

Bürokratische Pflichten sind für den industriellen Mittelstand mittlerweile zu einer erheblichen Belastung geworden, die auch Investitionen auszubremsen droht. Und der Berg der Anforderungen an die Unternehmen wächst stetig weiter. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des IfM Bonn im Auftrag der Impuls-Stiftung des VDMA. Im Rahmen dieser Erhebung nennen die Betroffenen bereits 375 verschiedene Regelungen allein auf Bundesebene, die sie zu erfüllen haben. De facto ist die Belastung jedoch etwa doppelt so hoch, weil in der Praxis noch rechtliche Vorgaben auf Landes- und kommunaler Ebene sowie auf EU-Ebene bestehen. Und aus Brüssel sind mit Regulierungsvorhaben wie der EU-Taxonomie, dem europäischen Lieferkettengesetz oder der CSR-Richtlinie weitere umfangreiche direkte und indirekte Belastungen absehbar.

Der Abbau von Bürokratie und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren werden als die wichtigsten Voraussetzungen für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft gesehen. Das sind einige der Ergebnisse des ‚Industrie 5.0 Reports‘, den das European Center for Digital Competitiveness der ESCP Business School Berlin und Voith in Zusammenarbeit mit dem IfD Allensbach im Jahr 2022 verfasst haben. Aktuell werden laut dieses Reports die Energiewende und eine Transformation der deutschen Wirtschaft hauptsächlich durch Bürokratie ausgebremst.

„Deutschland steht vor einer gewaltigen Transformationsaufgabe“

Im Industrie 5.0 Report kritisieren 91 Prozent der Führungsspitzen die Dauer von Genehmigungsverfahren, drei Viertel sehen ein Haupthindernis in den bestehenden Gesetzen und Vorschriften und den Widerständen von Bürgern und Politik vor Ort. Dagegen halten nur 28 Prozent unzureichende staatliche Investitionen für ein gravierendes Hindernis beim Ausbau regenerativer Energien, ganze 14 Prozent mangelndes Know-how, dazu Dr. Toralf Haag, CEO Voith Group: „Deutschland steht angesichts multipler Krisen, allen voran der Klimakrise, vor einer gewaltigen Transformationsaufgabe. Die Studie Industrie 5.0 hat gezeigt: Nachhaltige Technologien sind unsere Wachstumschance und Zukunft. Grüner Wasserstoff kann in Deutschland genauso viele Arbeitsplätze schaffen wie die gesamte Automobilindustrie. Wir brauchen dazu aber die passenden Rahmenbedingungen der Politik.“

Dr. Toralf Haag, CEO Voith Group
Zitat

„Wir benötigen nicht nur weniger finanzielle Belastungen, sondern weniger neue Gesetze, Abfragen zu denen Unternehmen verpflichtet sind, oder unzählige Auflagen, die zu erfüllen sind. Denn dies bindet gerade in mittelständigen Unternehmen viel zu viele Ressourcen, die wir an anderer Stelle dringend benötigen würden.“

Dr. Toralf Haag, CEO Voith Group
(Bild: Voith)

Um diese Aufgabe zu bewältigen, benötigen Industrieunternehmen wie Voith aber vor allem schnellere Genehmigungsverfahren, beispielsweise beim Ausbau der erneuerbaren Energien, eine bessere digitale Infrastruktur und mehr Anreize für Investitionen, vor allem in grüne Technologien sowie weniger Belastungen. „Dies beinhaltet nicht nur weniger finanzielle Belastungen, sondern weniger neue Gesetze, Abfragen, zu denen Unternehmen verpflichtet sind, oder unzählige Auflagen, die zu erfüllen sind. Denn dies bindet gerade in mittelständischen Unternehmen viel zu viele Ressourcen, die wir an anderer Stelle dringend benötigen würden.“

Jährliche, staatlich verursachte Bürokratiekosten von Unternehmen nach Bundesministerien (in Mio. Euro)

Jährliche, staatlich verursachte Bürokratiekosten von Unternehmen nach Bundesministerien (in Mio. Euro)
(Bild: Statista - Quelle: IW Köln)

Bürokratie bei Planungs- und Genehmigungsverfahren als Mega-Bremse

Zu den größten bürokratischen Hürden zählen für Dr. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems, vor allem die langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie der Mangel an verfügbaren Flächen: „Zwar hat der Koalitionsausschuss sich dafür ausgesprochen, dass Flächen schneller genutzt werden können. Auch die Wind-an-Land-Strategie der Bundesregierung soll den notwendigen Zubau endlich entfesseln. Bis die Bun­desländer diese Regelungen schlussendlich umsetzen, darf nicht weiter wertvolle Zeit verstreichen.“

Laut Rendschmidt stehen gerade Maschinen- und Anlagenbauer aufgrund nationaler Sonderregelungen vor großen Herausforderungen. So stellen etwa spezielle Anforderungen für den Netzanschluss und der Nachweis über eine Zertifizierung einen großen technischen, fachlichen und finanziellen Aufwand dar. „Aber auch im Bereich des Anlagentransports sorgen hohe bürokratische Anforderungen für einen großen finanziellen Mehraufwand nicht nur bei Herstellern und Transportunternehmen, sondern auch bei den Behörden selbst. So stellt sich die Frage, warum in vielen europäischen Ländern eine Transportgenehmigung nach wenigen Tagen, in Deutschland aber erst nach mehreren Monaten vorliegt“, wirft Dennis Rendschmidt ein. Für Offshore-Anlagen verlangt wiederum das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) eigene Standards – wie beim Korrosionsschutz. „All diese Regelungen bewirken, dass international agierende Hersteller ihre Produkte für den deutschen Markt aufwendig anpassen müssen.“

Dr. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems
Zitat

„Es stellt sich die Frage, warum in vielen europäischen Ländern eine Transportgenehmigung nach wenigen Tagen, in Deutschland aber erst nach mehreren Monaten vorliegt.“

Dr. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems
(Bild: VDMA)

Bürokratiekosten so hoch wie Forschungsausgaben

In der oben erwähnten Studie ‚Bürokratiekosten von Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau‘ des IfM Bonn werden erstmals in drei Unternehmen unterschiedlicher Größe von 125 bis 3.500 Beschäftigten die Belastungen im Detail analysiert. Dieser wissenschaftliche Tiefenschnitt hat für das beispielgebende kleine Unternehmen das Ergebnis gebracht, dass rund drei Prozent des Umsatzes jährlich durch die Erfüllung der direkten bürokratischen Pflichten gebunden werden. Dies sind bei einem Umsatz von 23,5 Millionen rund 705.000 Euro – und umgerechnet auf die Beschäftigungskosten zehn in Vollzeit arbeitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit sind die allein vom Bund ausgelösten Bürokratiekosten ähnlich hoch wie die jährlichen Forschungsausgaben eines Mittelständlers im Maschinen- und Anlagenbau und annähernd so hoch wie der durchschnittliche Bruttogewinn in der Branche. Kommen noch mehr Bürokratiebelastungen hinzu, droht eine weitere Verringerung der Marge und damit auch eine Schwächung der Investitionen.

Bei dem größeren Unternehmen mit einem Umsatz von 239,5 Millionen Euro in zwei untersuchten Betriebstätten liegen die Kosten für den direkten bürokratischen Aufwand der Regelungen auf Bundesebene bei einem Prozent. Dies entspricht 2,48 Millionen Euro und damit zugleich den Kosten für die Beschäftigung von 40 vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

„Innovationen verzögert oder überhaupt nicht realisiert“

„Die Kostenbelastung ist für die kleineren Unternehmen höher, da sich ihre Fixkosten auf geringere Produktionsmengen verteilen“, sagt Professor Dr. Friederike Welter, Präsidentin des IfM Bonn und Professorin an der Universität Siegen. Ein besonderer Fokus der Politik solle daher auf dem Bürokratieabbau in den KMU liegen. Dabei müssten auch die indirekten Kosten mitbedacht werden. „So sind zwar kleine und mittlere Unternehmen formal nicht vom kürzlich in Kraft getretenen Lieferkettengesetz betroffen. Viele von ihnen müssen ihren Großkunden aber Daten und Informationen zur Verfügung stellen, damit diese ihren neuen Pflichten nachkommen können. Die dafür nötige Datenerhebung, -aufbereitung, und -kommunikation erzeugt also schon jetzt zusätzliche Bürokratielasten bei den KMU“, so Welter.

Zu den Konsequenzen bürokratischer Hindernisse für die Fertigungsindustrie sagt VDMA-Mann Rendschmidt: „Die Erträge der Hersteller waren durch den massiven Wettbewerb aufgrund geringer Marktvolumen bei oft unterzeichneten Ausschreibungen ohnehin gering. Steigende Kosten und schlechte Marktdynamik in Europa haben sich so unmittelbar niedergeschlagen. Trotz global steigender Umsätze zeigen sich unternehmensübergreifend sinkende Margen, rückläufige Gewinne und rote Zahlen. Die aktuellen Bilanzen der Hersteller bewegen sich allesamt in der Verlustzone. Diese Situation führt dazu, dass künftige Investitionen in einen Ausbau von Produktionskapazitäten und Investitionen in technologische Innovationen teilweise verzögert oder überhaupt nicht realisiert werden können.“

Auch im Industrie 5.0 Report findet sich der Abbau von Bürokratie an der Spitze der genannten notwendigen Voraussetzungen für die Beschleunigung des Innovationstempos in Deutschland. 75 Prozent der Spitzenkräfte sehen dies als besonders wichtige Voraussetzung, weitere 21 Prozent als ebenfalls noch wichtige Voraussetzung.

„Auswirkungen geplanter Gesetze besser einschätzen“

Henrik Schunk, geschäftsführender Gesellschafter von Schunk und VDMA-Vizepräsident.
Henrik Schunk, geschäftsführender Gesellschafter von Schunk und VDMA-Vizepräsident. (Bild: VDMA)

Für Henrik Schunk, geschäftsführender Gesellschafter von Schunk, VDMA-Vizepräsident und Vorsitzender des Kuratoriums der Impuls-Stiftung, ist die bürokratische Belastung für Unternehmen bereits jetzt immens und sehr personalintensiv: „Aus der EU drohen weitere überbordende Berichtspflichten, bei denen auch Schwellenwerte den kleinen und mittelständischen Unternehmen nichts nützen. Was wir brauchen, ist ein Moratorium sowie Praxischecks, damit die Politik die Auswirkungen der geplanten Gesetze besser einschätzen kann. Außerdem ist eine zügige Digitalisierung der Verwaltung dringend geboten, um den Unternehmen zum Beispiel die Datenübermittlung an die Behörden zu erleichtern.“

An dieser Stelle lohnt abschließend mal ein Blick über die Grenzen, wie VDMA Power Systems-Geschäftsführer Rendschmidt findet: „In den Niederlanden dauert eine Transportgenehmigung etwa fünf Tage, in Deutschland sind es vier bis sechs Wochen. Digitalisierung und einheitliche Prozesse können hier erheblich beschleunigen.“

Bürokratie-Beispiel Schwertransport

Ein Beispiel für Bürokratie, die Unternehmen behindert, sind Schwertransporte. Denn wie der VDMA jetzt in einer Umfrage feststellte, belasten die Kosten und Genehmigungsdauer massiv die Unternehmen. Mit  entsprechend zunehmend großer Sorge blicken Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau auf den zeitlichen und finanziellen Aufwand, der für den Transport ihrer Güter erbracht werden muss. Insbesondere betroffen sind Hersteller von großen und schweren Gütern oder Spezialprodukten, die auf Großraum- und Schwertransporte angewiesen sind.

Eine VDMA-Umfrage unter 150 Mitgliedsunternehmen zeigt: Mehr als 75 Prozent der betroffenen Unternehmen beklagen zu hohe Genehmigungskosten für Großraum- und Schwertransporte, die nicht mehr im Verhältnis zu den Gesamtkosten des Kundenauftrags stehen. „Die Kosten für die Genehmigung inklusive aller zu erbringender Nachweise betragen in jedem fünften Fall mehrere tausend Euro. Im Extremfall reichen sie bis in den mittleren sechsstelligen Bereich. Damit ist die Wirtschaftlichkeit vieler Transportprojekte häufig nicht mehr gegeben“, sagt Valerie Sauermann, Fachreferentin im VDMA.

Kostentreiber in den Genehmigungsverfahren sind laut Umfrage insbesondere hohe Begleitkosten, teure Sondernutzungsgebühren sowie die neue Berechnungssystematik für die statische Fahrwegprüfung (BEM-ING, Teil 3) und damit verbundene Auflagen.

Neben den hohen Kosten beklagen 95 Prozent der befragten Unternehmen die Dauer der Genehmigungsverfahren für Großraum- und Schwertransporte. Bearbeitungszeiten von mehr als fünf Wochen sind keine Seltenheit, häufig sind nicht ausreichenden Kapazitäten der vielen involvierten Behörden sowie ein zu geringer Digitalisierungsgrad des Genehmigungsprozesses die wahrscheinlichsten Gründe. In diesem Zusammenhang erscheint nach VDMA-Sichtweise eine Verfahrens-Flexibilisierung sinnvoll, mit dem Ziel möglichst weniger Einzelanträge, im Sinne von Behörden und Unternehmen.

 

Deutscher Maschinenbau-Gipfel 2022
(Bild: mi-connect)

Deutscher Maschinenbau-Gipfel

Der Maschinenbau-Gipfel 2023 ist vorbei - hier können Sie die Highlights Revue passieren lassen:

 

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