Wo Deutschland punktet - wo es teuer wird
Bittersweet: Unternehmen wägen Standortvorteile klarer ab
Deutsche Unternehmen diskutierten auf der Bühne, was sich am Standort Deutschland lohnt – und wo die Kostenfalle zuschlägt. Nachhaltigkeit gilt dabei als echter Standortvorteil. Doch Patriotismus können sich global agierende Unternehmen nicht leisten.
Aus einer Podiumsdiskussion, moderiert von Thilo Brodtmann, ergab sich folgende Erkenntnis: Nachhaltigkeit macht Deutschland stark, doch Patriotismus ist ein Luxus, den sich global agierende Firmen nicht leisten können.
(Bild: Anna McMaster)
Die vertretenen Unternehmen waren gut gemischt: Moderator und VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann hatte den Zerspanungsspezialisten Ceratizit, den Ventil- und Antriebstechnikhersteller Samson sowie GEA, Systemanbieter für die Lebensmittel- und Pharmabranche, mit in die Runde geholt.
Ceratizit will zwei deutsche Werke in Besigheim und Empfingen im kommenden Jahr schließen: Das sei keine Standortflucht, aber „eine strategische Neuausrichtung im globalen Kontext“, erklärte Ceratizit-Vorstandsmitglied Melissa Albeck. Ein wesentlicher Grund seien die Standortkosten mit Personal, Energie und Infrastruktur. „In Luxemburg, wo wir auch einen Standort haben, sind die Lohnkosten pro Mitarbeiter – pro FTE – für uns 20 bis 25 Prozent geringer. Die Sozialabgaben betragen in Luxemburg zwölf und hier 21 Prozent“, sagte Albeck.
Das mache schon einen gravierenden Unterschied im globalen Wettbewerb. Die Vorständin beklagte auch mangelnde Flexibilität bei Arbeitszeiten und Kurzarbeit sowie langsame Genehmigungsprozesse, die Innovation und Investition bremsen. Aber auch Veränderungen mit E-Antrieben in der wichtigen Autoindustrie waren ein Grund. Der EU-Binnenmarkt sei durchaus attraktiv, sagte Albeck auf Nachfrage von Thilo Brodtmann. Die Arbeit aus den geschlossenen Werken soll nach Osteuropa verlagert werden. Dennoch werde man weiter in Deutschland präsent sein. „Es gibt auch noch Produkte für uns, wo Deutschland nach wie vor sehr attraktiv ist, auch zum Produzieren“, so Albeck.
Ingenieurskunst bleibt starker Pluspunkt
Doch es gibt auch Unternehmen, die derzeit massiv in Deutschland investieren. Samson gibt 450 Millionen für eine neue Firmenzentrale in Offenbach am Main aus und zieht um vom alten Standort in Frankfurt am Main. Um ein solches Projekt in Deutschland machen zu können, sei ein extrem effizientes Werk gefragt, das angesichts hoher Personalkosten stark auf Automatisierung setzt, berichtete Dr. Dominic Deller, Mitglied des Vorstands und CFO der Samson AG.
„Energie wollen wir zu 60 Prozent selbst generieren und an anderen Stellen den Materialfluss so optimieren, dass wir tatsächlich auch mit weniger Personal das erreichen können, was wir erreichen wollen“, konstatierte Deller. Man investiere jedoch auch 100 Millionen außerhalb von Deutschland, in China, Indien, den USA, Spanien und Italien. „Wir haben die letzten Jahre versucht, unsere Basis zu verbreiten, denn wir wollen nah am Kunden sein“, berichtete Deller. Dafür müsse man die lokalen Märkte bedienen. „Wir gehen schon in die Welt, aber wir sehen die Sinnhaftigkeit, einen Standort in Deutschland zu haben. Hier haben wir tatsächlich sehr viel Kompetenz und sehr viel Ingenieurkunst“, stellte Deller heraus.
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Zugleich gebe es ein Problem, dem man sich stellen müsse: Man habe sich hierzulande sehr stark auf das Thema Qualität, Präzision, Ingenieurkunst konzentriert und dabei Geschwindigkeit und Kosten etwas vernachlässigt. Gerade die Zeit sei eine große Komponente, bei der man sich neu justieren müsse. Ebenso wichtig sei es, sich heute näher an den Kundenerwartungen zu bewegen: „Weg vom – ich nenne es jetzt mal ‚Happy Engineering‘ – bei dem wir Deutschen wissen, was der Kunde will. Wir müssen eher mal nachfragen: Für was ist er denn bereit zu bezahlen?“, so der Samson-CFO.
Das alte Exportweltmeistermodell ist gestorben
„Wenn man heute für ein globales Unternehmen verantwortlich ist, kann man sich eigentlich Patriotismus nicht mehr leisten“, konstatiert Stefan Klebert, Vorstandsvorsitzender und CEO der GEA Group AG. „Auch wenn wir Deutsche sind und uns wünschen, dass Deutschland wächst und hier Investitionen stattfinden, muss man die Entscheidungen aus einer nüchternen Perspektive treffen“, so Klebert. Das alte Exportweltmeistermodell, bei dem alles von Deutschland aus erfunden und gebaut werde, sei einfach vorbei – und das stelle vor neue Herausforderungen. Lokalisierung sei eine wichtige Antwort darauf. Deshalb wolle man kontinuierlich Ressourcen und Kapazitäten in Länder verlagern, die deutlich stärker wachsen als Deutschland oder Europa.
Trotzdem investiere man weiter in Deutschland, etwa in eine Fabrik nahe Köln für 80 Millionen: Dabei gehe es um das spezielle Segment der Pharmamaschinen, die starker Regulierung unterliegen und sehr viel Know-how am Standort sei, das sich nicht einfach verlagern lasse. Die zentrale Steuerung aus Deutschland ist für Klebert passé. „Auch große, wichtige Länder wie Indien oder China lassen wir zunehmend vom Haken“, berichtete Klebert. Sie müssten „ihr eigenes Ding machen, wenn sie die Märkte behalten und erschließen wollen“.
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft als Standort-Chance
Mit Blick auf Resilienz sieht Albeck vor allem Nachholbedarf der Politik, Unternehmen bei der Versorgungssicherheit zu unterstützen. Als einer der größten Wolframhersteller werde die Kritikalität bei Wolfram besonders deutlich, das von China, wo bis zu 80 Prozent produziert worden sei, derzeit nicht exportiert werde. Es sei insbesondere für die Rüstungsindustrie kritisch, in die zehn Prozent des gesamten Wolframs gingen.
„Wir spüren da große Verantwortung und setzen ganz bewusst auf Recycling“, erklärte Melissa Albeck. Werkstoffe wie Wolfram eigneten sich perfekt für eine Kreislaufwirtschaft. Bereits 2019 habe man eine Recycling-Firma in Bayern gekauft und investiere in Sortierungstechnologien, um so an den benötigten Rohstoff zu kommen. „Wir sehen das wirklich als strategische Aufgabe für die westliche Industrie. Ich glaube, das ist vielen nicht bewusst – aber dafür haben wir Ressourcen hier in Deutschland. Das ist auch ein Bereich, wo die Politik ruhig mehr unterstützen kann“, so Albeck.
Für Klebert liegt eine Chance darin, dass nicht mehr „schneller, höher, weiter“ entwickelt wird. Gerade für Kunden mit Energie- oder Wasser-intensiven Prozessen wie in der Lebensmittelindustrie komme es darauf an, Verbräuche zu senken und dafür Digitalisierung zu nutzen. „Da kann man bis zu 50 Prozent Energie einsparen über neue Technologien. Ich glaube, das ist etwas, wo wir in Deutschland uns schon an die Spitze setzen können“, resümierte Klebert.
überarbeitet von: Dietmar Poll