Mercedes Benz erforscht Einsatzszenarien
Humanoide Roboter: Das neue Wunderkind des Maschinenbaus?
Daimler experimentiert bereits mit Humanoiden Robotern. Das Gipfel-Forum zum Thema zeigt: Für den Maschinenbau stellt die Technologie eine echte Chance dar. Wie bei ChatGPT könnte der Durchbruch schon bald kommen.
Der VDMA sieht Humanoide Robotik als neues Maschinenbauprodukt, interessant für Zulieferer und einsetzbar in der eigenen Produktion, in der dann Roboter mit an Robotern und Maschinen bauen.
(Bild: EZPS - stock.adobe.com)
Die „Humanoiden“ sind eindeutig ein Produkt des Maschinenbaus, ist sich Patrick Schwarzkopf sicher, VDMA-Geschäftsführer Robotik + Automation. Der Formfaktor Mensch passe eben besonders gut in Umgebungen wie Fabriken. Außerdem funktioniert damit das sogenannte ‚Imitation Learning‘ besonders gut, also das Trainieren der Roboter, indem Menschen die gewünschten Aufgaben vormachen. Erst KI jedoch verleihe den Humanoiden heute die nötigen Fähigkeiten.
„Physical AI oder physische KI wirft kein Text, Bild oder Video aus wie ChatGPT, sondern eine physische Aktion in der realen Welt: die Master Class der KI. Wer sich da rantraut, ist an vorderster Front dabei“, sagt Schwarzkopf. Die Humanoiden verlassen die bisherige deterministische Welt, in der noch alle Roboter programmiert werden. Sie arbeiten nicht-deterministisch, indem zwar das Resultat definiert wird, sie selbst jedoch „Intent-based“ (absichtsorientiert) zu eigenen Lösungsschritten kommen. Diese neue Welt könnte auch in der Industrieautomation auf Cobots und Robots „überschwappen“.
Wichtige neue Marktchance für den Maschinenbau
Im Januar will der VDMA eine Studie zu möglichen Zukünften von humanoiden Robotern vorlegen. Man sieht die Technologie als neues Maschinenbauprodukt, interessant für Zulieferer und einsetzbar in der eigenen Produktion, in der dann Roboter mit an Robotern und Maschinen bauen. Das Marktpotenzial sei zwar auch für die Industrieautomation spannend, hier werde der Markt bis 2030 etwa auf eine Billion Dollar beziffert, sagte Nikolai Ensslen, Gründer und CEO Synapticon GmbH.
Noch spannender sei es allerdings für den Bereich der physischen Arbeit, in dem es bisher kaum Automatisierung gibt: Stichwort Treppen putzen, Flugzeuge reinigen oder mit schweren oder gefährlichen Materialien umgehen. Der Maschinenbau könne damit in einen neuen, größeren Markt hineinwachsen, der auf rund 30 Billionen Dollar bis 2030 geschätzt werde, glaubt Ensslen. „Das muss der Weckruf für den deutschen Maschinenbau sein: Geht da ran und macht das“, riet der Experte.
Mercedes Benz erforscht mögliche Einsatzszenarien
„Wir müssen einfach ready sein, wenn das Thema kommt, und uns deswegen frühzeitig damit beschäftigen – anstatt zu sagen, wir warten mal, bis jemand anderes das für uns gemacht hat“, glaubt Tabea Drees, Senior Manager Future Systems of Manufacturing und verantwortlich für das Thema Digitalisierung der Produktion mit der MO360-Plattform bei Mercedes Benz. Sie hat eine Partnerschaft mit dem texanischen Roboterhersteller Apptronik aufgebaut und ist der festen Überzeugung, dass die Kombination von intelligenten Robotern uns wirklich Fachkräfte zu der nächsten Stufe von Effizienz führen wird und uns ermöglicht, langfristig wettbewerbsfähig zu sein.
„Wir wollen herausfinden, an welcher Stelle es sinnvoll ist – und wo nicht, deswegen haben wir uns für diese Partnerschaft entschieden. Tatsächlich geht es auch darum, das Thema in ein Ökosystem einzubinden“, berichtet Drees. Das Ziel sei, ein universeller Roboter, eine universelle Maschine. Zu den Use Cases gehören etwa Bauteil-Handling, Qualitätsinspektionen oder das Bewegen schwerer Lasten. Man sehe den Nutzen besonders bei sich wiederholenden und körperlich anstrengenden Tätigkeiten, die mit hohen Lasten, hohem Gewicht, mit Gegenständen oder etwa Schnittkanten verbunden sind.
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Robotik als Gegenmittel für demografischen Wandel
Denn ein starker Treiber, der heute noch massiv unterschätzt werde, ist aus Sicht der Robotikexperten der demografische Wandel. In 2030 seien in Deutschland 28 Prozent der Menschen über 60 Jahre alt. Für Japan und in der EU werde bis 2030 mit einer ‚Workforce Gap‘ von sieben Millionen, in China sogar mit 87 Millionen gerechnet, erklärte David Reger, CEO & Founder der Neura Robotics GmbH: „Hier kann es nur eine Antwort geben, und das ist intelligente Robotik. Sie könnte das Problem lösen“. Doch um in der Breite anzukommen, müssten Roboter Autonomie mitbringen und einfach trainierbar sein. „Robotik war bis heute weitgehend ohne Sinne, unsicher in der Nähe des Menschen und ist bis heute sehr, sehr teuer: Nicht jeder kann sich Robotik leisten. Dafür müssen Lösungen gefunden werden“, so Reger.
Mit seinem Unternehmen baut er ein Betriebssystem für Robotik. Die Plattform Neuraverse soll ermöglichen, die Robotik in verschiedenen Bereichen des Lebens einzusetzen und der Robotik Aufgaben (Tasks) beizubringen. „Bis ein Task funktioniert, dauert es noch lange. Es wird nicht der Weg sein, den Unternehmen zu sagen: Bringt den Robotern jede einzelne Aufgabe bei – zum Beispiel mit 4000 Stunden Training ein T-Shirt zu falten“, meint der Gründer. Beim Startup werden hunderte Humanoide und andere Bauformen in sogenannten ‚Gyms‘ trainiert. Auf der Plattform werden die Daten dafür vorbereitet und der Datenflow verwaltet. „Humanoide und kognitive Robotik ist der größte Hebel für eine bessere Zukunft und für den Erhalt von Industrie in Deutschland“, ist sich Reger sicher.
Wie der humanoide Roboter in der Praxis ankommt
„Unsere Produktion ist menschenzentriert und soll auch menschenzentriert bleiben“, sagt Drees. Das sei ein wichtiger Aspekt, die humanoide Form zu nutzen. Geschickte Roboterhände ermöglichten zudem den Einsatz von für Menschen gemachten Standardindustriewerkzeugen. Kameras in den Augen und intergierte KI-Modelle meldeten etwa fehlende Schrauben oder Anomalien zur MO360-Plattform.
Gestartet wurde am produktionsnahen Digital Factory Campus in Berlin Mariendorf, in einer kontrollierten Umgebung, alternativ mit Einzäunung oder in einer sicheren Arbeitsumgebung über eine Teleoperation. Dabei wird der Apollo genannte humanoide Roboter über natürliche menschliche Bewegungen trainiert. „Die Idee dahinter ist, dass Mitarbeitende in Zukunft fähig sind, die Roboter einzulernen“, so Drees. Um ihn in die Praxis zu überführen, müsse Apollo in dieser Zukunftsvision sowohl mit den Menschen intelligent interagieren, aber auch mit den anderen kleinen Robotern drum herum, etwa mit AGVs.
Wie schnell ein solcher Roboter angelernt werden kann, könne man nicht pauschal sagen, denn wie beim Einlernen der KI in der Software-Welt könne es einen Sprung geben oder eben nicht. Hier komme noch die Schwierigkeit hinzu, dass man zur Software auch noch Hardware hat und sich beide bei einem Sprung bedingen. Die notwendigen Sicherheitsthemen wie Datenschutz oder die Zwei-Wege-Absicherung sieht sie jedoch nicht als Showstopper.
Neues Zeitalter beginnt 2030
„Bei einer universellen Form ist der Markt größer als bei den bisher zweckgebundenen Robotern, beispielsweise Staubsaugrobotern. Zugleich eignet sich die humanoide Form am besten, um KI-Daten zu sammeln“, sagt Ensslen, dessen Unternehmen bei der Umsetzung von Robotikprojekten berät und unterstützt. Denn in der Physical AI gebe es – anders als bei Sprach-basierter KI wie ChatGPT – das Problem der Datenknappheit.
Die mitgebrachten Videos der Experten und Expertinnen zeigten in beeindruckender Weise, was die Humanoiden heute schon können. Während das in vielen Ländern für Zuversicht und Bewunderung sorgt, und Länder wie China die Menschen an die Roboter gewöhnen, die zum Beispiel bei Sport-Events mitmachen, stößt es in Deutschland oft auf Skepsis. „Gerade die Ingenieure hier bezweifeln das Ganze, weil sie die Komplexität dahinter verstehen“, scherzt Reger. Doch obwohl China bereits weit vorn ist, seien die meisten Show Cases im Entertainment-Bereich angesiedelt. Im echten Praxiseinsatz ist demnach noch viel Luft nach oben.
Zugleich werde dabei oft nicht einbezogen, welche Sprünge die KI macht. Zwar wollte sich Drees auf Nachfrage nicht festlegen, wie lange es noch dauert, bis die Humanoiden in den echten Fabrikeinsatz kommen. „Man muss die Analogie zum Durchbruch von ChatGPT im Kopf ziehen: Wenn die Software kalibriert mit den Aktuatoren zusammen, dann geht es durch die Decke“, sagt die Expertin jedoch. Rund fünf bis zehn Jahre wird es den Schätzungen zufolge dauern, bis die Technologie breiter in der Praxis ankommt. Alle sind sich einig: Bei häufigen Aufgaben wie Knöpfe drücken oder Bauteile einlegen ist die Umsetzung innerhalb der nächsten zwei Jahre realistisch.
überarbeitet von: Dietmar Poll