Service-Anbieter stehen in der derzeitigen Situation vor großen Herausforderungen. Sie müssen Wartungs- und Reparaturservices für Kunden trotz der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie aufrechterhalten und gleichzeitig die Mitarbeiter schützen. Für zukunftsorientierte Unternehmen gilt es jetzt, über einfache Schutzvorkehrungen wie Handschuhe und Masken hinauszudenken und die Möglichkeiten von kontaktlosem Service zu betrachten. Denn die Krise bietet auch eine Chance, innovative Technologien einzusetzen, um auf neuen Wegen mit Kunden zu interagieren und die digitale Transformation der Service-Branche langfristig voranzutreiben.
Die Geschäftskontinuität zu wahren ist für Service-Unternehmen von zentraler Bedeutung. Das gilt ebenso in der aktuellen Ausnahmesituation, die viele Unternehmen seit einigen Wochen erleben. So auch das globale Unternehmen Munters: Der Hersteller fertigt, verkauft und wartet Spezialgeräte für Industriebereiche, in denen die Kontrolle von Temperatur und Luftfeuchtigkeit geschäftskritisch ist.
Mit fünf Produktionsstätten in den Vereinigten Staaten und über 20 Standorten weltweit, unter anderem in Hamburg, stützt sich das Geschäftsmodell des Unternehmens in hohem Maße auf die Durchführung von Vor-Ort-Support bei den Kunden. Munters überlegte, eine geeigneten Software-Lösung einzuführen, um aus der Ferne mit den Kunden zu kommunizieren und die Effizienz der Ferndiagnose und -wartung zu steigern. Mit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und den damit verbundenen Reisebeschränkungen wurde eine solche Lösung plötzlich dringend benötigt.
Was tun, wenn Vor-Ort-Service nicht möglich ist?
Munters entschied sich für die Implementierung von IFS Remote Assistance. Mithilfe der neuen Lösung können die Experten aus der Ferne mit Technikern oder Kunden in Echtzeit interagieren, um Probleme zu lösen, für die zuvor ein oder mehrere Einsätze vor Ort nötig waren. Dabei kommt eine "Merged-Reality"-Anwendung zum Einsatz: Das Tool verbindet zwei Echtzeit-Videoströme zu einer interaktiven Umgebung auf einem Tablet oder Smartphone. Service-Experten können das, was der Kunde oder Techniker vor Ort vor sich sieht, virtuell berühren, Bilder einfrieren oder teilen, Handgesten verwenden oder sogar reale Objekte wie etwa Spezialwerkzeuge in die Merged-Reality-Umgebung einfügen.
Ein entscheidender Aspekt ist, dass die Lösung intuitiv zu bedienen ist. Bei Munters wurde ein Pilotprojekt in nur sechs Tagen durchgeführt, die Schulung der Mitarbeiter dauerte weniger als zwei Stunden. Innerhalb von zwei Wochen konnte so das Unternehmen die Lösung auf mehr als 200 Nutzer weltweit ausrollen.
Sprungbrett für die digitale Transformation
Unter den derzeit erschwerten Bedingungen den Kunden-Support aufrechtzuerhalten ist jedoch nur der Anfang dessen, was Munters mit der Lösung erreichen möchte: "Die Technologie wird es uns ermöglichen, unseren gesamten Betrieb zu modernisieren und unser Niveau der Servitization weiter anzuheben", sagt Roel Rentmeesters, Director of Global Customer Service bei Munters. "Wir erwarten eine erhebliche Steigerung der Effizienz durch die Möglichkeit, Wartungsinspektionen aus der Ferne durchzuführen, die Fehlerbehebungsquote beim ersten Kundenkontakt (First-Time-Fix-Rate) zu erhöhen und die Zahl der entsandten Techniker zu verringern."
Video: IFS Remote Assistance & Munters
Das große Potenzial der Lösung liegt laut IFS darin, die Digitalisierung der Prozesse bei Munters langfristig voranzutreiben. "Innovative Technologien sind für Unternehmen nicht nur eine Möglichkeit, ihr Dienstleistungsangebot zu differenzieren und neue Einnahmequellen zu schaffen", erklärt Marcus Pannier, Managing Director DACH & EE bei IFS. "Sie werden auch die Art und Weise, wie Unternehmen mit ihren Kunden interagieren, grundlegend verändern. Und intern bieten sie eine Chance, Wissenstransfers zu erleichtern und Betriebsabläufe effizienter zu gestalten. Deshalb sollten Unternehmen Lösungen wie etwa Software für kontaktlosen Support nicht nur als Werkzeug für die Krise ansehen, sondern als Chance, ihre digitale Transformation voranzubringen."
Drei Phasen von "Zero-Touch-Service"
Im Laufe der letzten Jahre haben sich Unternehmen in einer Vielzahl von Branchen auf unterschiedliche Weise immer weiter in Richtung "Zero-Touch" bewegt: von Selbstbedienungskassen und Abholstationen bis hin zu IoT-indizierten Reparaturen von Geräten. Angesichts der gegenwärtigen Umstände wird sich dieser Trend auch in der Fertigungsindustrie zunehmend fortsetzen und über die Krise hinaus Bestand haben. Fernsupport ist dabei nur der erste Schritt. Die Entwicklung von kontaktlosem Service lässt sich in drei Phasen einteilen:
- Remote Assistance wird, wie unter anderem das Beispiel von Munters zeigt, vielerorts bereits von Unternehmen umgesetzt. Der Vorteil von Augmented- oder Merged-Reality liegt auf der Hand: Kunden können von Service-Mitarbeitern per Fernzugriff durch Wartungsvorgänge oder Reparaturen geführt werden. Oder sie sehen Reparaturanweisungen in der Anwendung, sobald das mobile Endgerät auf eine Anlage gerichtet wird. So wird nicht nur der Kontakt von Mensch zu Mensch verringert, sondern es werden beispielsweise auch unnötige Autofahrten eingespart – ein kleiner, aber wichtiger Schritt für Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit.
- Kontaktloses Teilemanagement: Die erste Diagnose ist derzeit noch der häufigste Einsatz für Remote Assistance. Im nächsten Schritt auf dem Weg zum Zero-Touch-Service werden notwendige Ersatzteile nicht vom Techniker mitgebracht, sondern direkt an den Einsatzort geliefert. Anschließend trifft der Techniker dort ein und schließt die Reparatur oder den Austausch ab. Oder aber der Kunde führt den Austausch mithilfe einer Merged-Reality-Anwendung selbst durch – mit der Remote-Unterstützung eines Service-Mitarbeiters oder durch aufgezeichnete Schritt-für-Schritt-Anweisungen, die anhand des Augmented-Reality-Bildschirms validiert werden.
Die Infrastruktur für ein solches kontaktloses Teilemanagement ist häufig bereits vorhanden. Der wichtigste Faktor für den Erfolg ist ein konsistentes und umfassendes System für Teilemanagement und Rücknahmelogistik. Service-Unternehmen müssen exakt nachvollziehen können, wo sich jedes Teil während der Reparatur in der eigenen Werkstatt befindet, und wo beziehungsweise wie Versand und Bereitstellung, Herausgabe der reparierten Geräte oder eine Verschrottung erfolgte.
- Assisted Repair: Bislang ist die dritte Phase von kontaktlosem Service noch nicht flächendeckend umsetzbar. In den kommenden Jahren wird Assisted Repair aber für viele Unternehmen bereits im Bereich des Möglichen liegen. Dabei wird ein Roboter entsandt, sobald eine Reparatur nötig ist oder erwartet wird. Dieser ist über eine Drohnen-ähnliche Schnittstelle in der Lage, das Problem zu lösen – ohne einen Menschen involvieren zu müssen. Viele Fertigungsunternehmen setzen heute bereits Roboterflotten ein, die speziell entwickelt wurden, um bei einfachen Reparaturen zu unterstützen; vom Heben schwerer Teile bis hin zur Durchführung routinemäßiger Sicherheitskontrollen.
Um Reparaturen automatisiert von Robotern durchführen zu lassen, ist natürlich eine noch weitaus umfassendere Infrastruktur nötig, die zunächst implementiert werden muss. Und in einer Reihe von Branchen wird dies gar nicht möglich sein. Dennoch bietet Assisted Repair großes Potenzial, um den Menschen weiter durch Maschinen zu unterstützen und effizienten, kostengünstigen Service anzubieten – insbesondere dann, wenn der Einsatz von Robotern mit weiteren Funktionen wie Remote Assistance kombiniert wird.
Bearbeitet von Stefan Weinzierl