
Sicher ist sicher – aber wie geht das richtig? Das erklärt Expertin Clara Röder im Interview (Bild: CK Studio - stock.adobe.com)
Was gehört eigentlich alles beim Thema Arbeitssicherheit dazu?
Clara Röder: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sind meistens ein Paket. Es fängt für mich dabei an, sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie eingehalten und immer wieder verbessert werden. Natürlich mit dem Ziel, dass sich keiner verletzt, alle jeden Tag gesund nach Hause gehen können und gesund bleiben.
Es geht darum, Risiken zu identifizieren und Abhilfemaßnahmen zu schaffen, um das Risiko zu reduzieren. Ebenfalls wichtig ist es, die Aufmerksamkeit der Leute darauf zu lenken, dass sie Dinge nicht einfach hinnehmen, sondern dass sie Risiken im Arbeitsumfeld erkennen und ansprechen.
Was zeigt denn die Erfahrung: Wird das auch so in den Unternehmen gelebt?
Röder: Dazu gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen. Es gibt Unternehmen, denen es scheinbar egal ist. Wenn ein Unfall passiert, ist der Mitarbeitende selbst schuld. Er oder sie hat halt nicht aufgepasst.
Die andere Seite sind Unternehmen, denen das Thema sehr wichtig ist und die Arbeitssicherheit im täglichen Arbeiten vollständig integriert haben.
Zur Einordnung hilft das sogenannte „Sicherheitskulturmodell“. Es ist ein Stufenmodell, in dem man Worte dafür findet, wie gut Arbeitssicherheit im Unternehmen gelebt wird. Neben der Einordnung kann man daraus ableiten, was man in der Stufe, in der man sich gerade befindet, tun kann, um besser zu werden.

Clara Röder arbeitete viele Jahre als leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit in der Metallindustrie. Heute unterstützt sie als selbstständige Beraterin produzierende Unternehmen aus dem Mittelstand dabei, den Arbeitsschutz zu verbessern. Ihr Fokus liegt dabei auf der Sicherheitskultur der Firmen.
Wenn eine Firma zum Beispiel in der gleichgültigen Stufe ist, muss sie erst einmal Aufmerksamkeit schaffen für das Thema. Eine Firma in der reaktiven Stufe reagiert bereits auf Arbeitsunfälle. Wenn ein Unfall passiert, werden Maßnahmen unternommen und alle finden es wichtig. Dieses Interesse für Arbeitsschutz ebbt aber mit der Zeit wieder ab. Hier braucht es Prozesse und Verfahren, um dauerhaft am Ball zu bleiben und das Thema zu etablieren, auch wenn gerade kein Unfall passiert.
In der höchsten Stufe dagegen haben die Mitarbeitenden das Thema schon so verinnerlicht, dass es selbstständig läuft. In so einer höheren Stufe des Modells hat Arbeitsschutz dann auch wirtschaftliche Vorteile.
Digitaler Thementalk: Maschinenbau in unsicheren Zeiten: Wegweiser für die Branche

In unserem Thementalk zum Thema „Zwischen Krisen und Zöllen: Wegweiser für den Maschinenbau in geopolitisch volatilen Zeiten“ diskutieren drei ausgewiesene Experten, wie Sie auf die aktuellen geopolitischen Entwicklungen reagieren können – praxisnah, vorausschauend und lösungsorientiert.
Seien Sie am 30. Juli um 11 Uhr live mit dabei!
Das sind die Experten:
- Oliver Bendig, Leiter Industrial Products & Construction bei Deloitte
- Dr. Sebastian Göbel, Geschäftsführer Technik bei Boge
Wie kann Arbeitsschutz Unternehmen konkret wirtschaftlich voranbringen?
Röder: Es ist erst einmal ein wichtiges Argument, um Führungskräfte für das Thema zu interessieren. Denn auf den ersten Blick kostet Arbeitsschutz bloß Geld, raubt Zeit und hält vom Arbeiten ab. Aber neben dem menschlichen Leid kosten Arbeitsunfälle kosten auch jede Menge Geld.
Es gab dazu ein EU-Forschungsprojekt. Demnach kostet ein Arbeitsunfall in Deutschland die Arbeitgeber im Schnitt 10.000 Euro an indirekten Kosten. Diese entstehen zum Beispiel durch die Überstunden der anderen Beschäftigten, weil Dinge angepasst oder Projekte verschoben werden müssen.
Neben den Kosten für Unfälle laufen häufig Prozesse einfach besser, nachdem ein Arbeitsschutz-Projekt umgesetzt wurde. Die Qualität wird besser und es gibt weniger Ausschuss. Wenn man zum Beispiel im Lager die Ergonomie verbessert und die manuellen Hebevorgänge durch einen höhenverstellbaren Lift ersetzt, reduziert sich auch die Gefahr, dass Produkte herunterfallen. Außerdem geht es schneller.
Sie schreiben auf Ihrer Webseite: „Arbeitsunfälle vermeiden. Mit einer Sicherheitskultur, bei der alle mitmachen.“ Wie kann das gelingen?
Röder: Damit alle mitmachen, muss Arbeitsschutz attraktiv sein. Wenn alle mit den Augen rollen, wenn man das Thema auch nur anreißt, wird es nicht gelingen.
Was ich besonders wichtig finde, ist das Bewusstsein der Mitarbeitenden. Um im Stufenmodell in die fortschrittlichen Stufen zu kommen, braucht man aktive, engagierte Mitarbeitende und eine Fehlerkultur, die funktioniert.
Die Mitarbeitenden sind die Profis für ihren Arbeitsplatz. Sie müssen einbezogen werden und sagen, wenn ihnen etwas auffällt, das schief läuft oder riskant ist. Es braucht eine Kultur, in der sie sich das trauen. Anschließend muss natürlich gehandelt werden, direkt, und nicht erst in einem halben Jahr. Engagierte Mitarbeitende sind das A und O für wirtschaftlichen Erfolg. Und die bekommt man auch über guten Arbeitsschutz. Weil sie dadurch merken, dass sie ihrem Arbeitgeber wichtig sind. Auch dafür braucht es ein gutes Miteinander und Vertrauen.
Wie können Führungskräfte sicherstellen, dass Arbeitssicherheit in allen Ebenen des Unternehmens ernst genommen wird?
Röder: Das ist eine sehr gute Frage. Wenn nicht alle mitmachen, hilft es nichts. Es braucht zu allererst die Führungskräfte, die das Thema auf die Tagesordnung bringen und immer wieder aktiv zeigen, dass es ihnen wichtig ist. Sie müssen klar kommunizieren, dass es zum Beispiel in Ordnung ist, wenn Mitarbeitende einen Moment länger brauchen, weil sie noch das richtige Werkzeuge holen müssen, anstatt irgendwie zu improvisieren, inklusive der Gefahr, dass etwas schiefgeht. Diese Botschaft ist enorm wichtig.
Am einfachsten ist es, wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitenden von ihren eigenen Erfahrungen berichten und damit betonen und erklären, warum ihnen der Arbeitsschutz so wichtig ist. Ich erinnere mich an einen Chef, der schon einmal um das Leben eines Mitarbeiters gezittert hat. Mit dieser Geschichte konnte er seine Haltung, dass er alles dafür tun möchte, um so etwas nie wieder zu erleben, seinen Mitarbeitenden sehr glaubhaft vermitteln.
Wichtig ist auch, dass man dann nach dieser Priorität handelt. Denn wenn Mitarbeitende doch dafür Ärger bekommen oder die Kosten für den für notwendig befundenen neuen Hebellift nicht freigegeben werden, ist das natürlich widersprüchlich und für die Glaubwürdigkeit kontraproduktiv. Es braucht also ebenso. Kontinuität und Verlässlichkeit.
Wie kann man Arbeitsschutz attraktiver machen? Zum Beispiel beim Thema Schulungen.
Röder: Unterweisungen sind gesetzlich vorgeschrieben und wichtig. Man muss aber Mitarbeitende nicht mit immergleichen PowerPoint-Folienschlachten langweilen. Das motiviert nicht und bringt auch keinen dazu, sich zu engagieren. Mein Ansatz dazu ist, die Unterweisungen interaktiv und mit Geschichten zu gestalten. Geschichten sind emotional und bleiben besser im Kopf als pure Fakten. Am einfachsten sind Erfahrungsgeschichten von Situationen, die schon einmal schief gegangen sind, oder auch von anderen Firmen. Im Zweifel kann man solche Geschichten auch konstruieren, um eine wichtige Botschaft rüberzubringen.
Geschichten eignen sich zudem sehr gut, um ein Gespräch zu initiieren. Damit meine ich, wenn ich so eine Geschichte in ein Teammeeting bringe, sprechen wir darüber und fragen uns, wo so etwas oder etwas ähnliches bei uns passieren könnte? Es ist leicht für Mitarbeitende, sich in ein solches Gespräch einzubringen und wir haben einen aktiven Austausch über Arbeitsschutz, häufig sogar gute Ideen für Verbesserungen.
Was dabei noch passiert: Wenn man eine Geschichte erzählt, erzählen die anderen eine Geschichte zurück. Die Mitarbeitenden berichten über eigene Erfahrungen und über ihren Arbeitsplatz, nach dem Motto „so etwas ist mir auch schon mal passiert“. Genau darum geht es. Durch das Drüber-Sprechen wird Arbeitssicherheit präsent. Und wenn es präsent ist, können die Mitarbeitenden im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffen. Den sicheren Weg wählen.
Lapp-Vorstand Hubertus Breier über Innovationen und Industrie 5.0
Viele Unternehmen stecken derzeit in einer Transformation und in den Werken ändert sich viel. Wird der Arbeitsschutz dadurch komplexer?
Röder: Fachlich ändern sich schon Dinge, weil sich Gefährdungen ändern und eventuell komplexer werden. Daran, wie wir mit dem Arbeitsschutz umgehen, wie wir ihn leben, ändert sich dadurch erstmal nichts.
Wichtig ist, dass wir die Aufmerksamkeit auf Arbeitssicherheit richten, dass die Führungskräfte hinterher sind, gute Gespräche führen und die Mitarbeitenden die Risiken sehen, melden und wir sie beheben. Das ist das gleiche Vorgehen, egal ob es sich um ein altes oder neues Risiko handelt. Nicht wegschauen bleibt wichtig.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Verbesserung der Arbeitssicherheit?
Röder: Es gibt zum Beispiel viele Ansätze, Unterweisungen digital zu machen. Das hat Vorteile, weil alle die Unterweisungen unabhängig am PC durchklicken können und Führungskräfte keinen Koordinierungsaufwand mit Urlaub oder Krankheiten haben, aber durchaus auch Nachteile. Es fehlt der Austausch untereinander sowie Infos über die Haltung der Führungskraft. Es ist ein Hilfsmittel, ja, und gleichzeitig braucht es eine gute Form, wie man Arbeitsschutz im Team gemeinsam adressiert. Einfach nur wegrationalisieren hilft nicht, wenn man den Arbeitsschutz eigentlich verbessern will.
Eine gute Ergänzung könnte sein, regelmäßig Erfahrungsgeschichten über Unfälle oder Beinaheunfälle in Teammeetings oder Schichtübergaben zu besprechen. Mit Hilfe von KI können diese leicht in Videos umgewandelt werden. Gute Videoclips erleichtern solche Gespräche sehr. Bei Bedarf kann man im Video die Sprache umstellen und damit noch leichter die komplette Belegschaft erreichen.

Kommen Sie zum Maschinenbau-Gipfel!
Lernen Sie von den Besten der Branche, wie Geschäftsmodelle an neue Rahmenbedingungen angepasst werden können. Seien Sie dabei, wenn die führenden Köpfe des europäischen Maschinenbaus Projekte und Best Practices für den Maschinenbau diskutieren!
Die Branche trifft sich am 16. und 17. September 2025 in Berlin.
Wie messen und bewerten Sie den Erfolg von Arbeitsschutzmaßnahmen, und welche Kennzahlen sind dabei besonders wichtig? Die Kennzahl „keine Unfälle“?
Röder: Die Kennzahl "keine Unfälle" ist natürlich Standard und alle nutzen sie. Sie ist aber nicht motivierend. Ich denke, jede Firma wird diese Statistik haben. Ich würde sie nicht weglassen, aber ich würde sie ergänzen durch andere Kennzahlen, an denen man sieht, wie man beim Thema vorankommt. Also zum Beispiel: Wie viele Beinahe-Unfälle werden gemeldet? Wie viele Gefahrstellen werden gemeldet und wie schnell werden sie abgearbeitet? Wie viele Begehungen wurden durchgeführt. Die Kennzahlen sollen sich an den Routinen orientieren, die es in der Firma gibt. Dann hat es einen echten Mehrwert, weil wir überwachen können, ob wir die gesteckten Ziele auch erreichen.
Viele unserer Leser:innen sind Führungskräfte Was wollen Sie ihnen zum Thema Arbeitssicherheit mit auf den Weg geben?
Röder: Wenn Führungskräfte das Thema Arbeitssicherheit nicht adressieren und ernst nehmen, dann können die anderen, also zum Beispiel Fachkräfte für Arbeitssicherheit rödeln, wie sie wollen. Es wird nicht den gewünschten Erfolg bringen. Es braucht nicht viel, aber es braucht Entschlossenheit, konsequentes Handeln, regelmäßige Erinnerungen und Führungskräfte als Vorbild.
Es ist wichtig, dass Sie das Thema nicht komplett delegieren, sondern als Ihre Verantwortung wahrnehmen und entsprechend handeln. Für die oberste Führung heißt das, Führungskräfte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit in die Pflicht nehmen, gute Fragen stellen und sich für die Belange im Arbeitsschutz interessieren. Ohne dieses Signal geht es nicht. Die Mitarbeitenden beobachten sehr genau, was der Chef oder die Chefin sagt und was er oder sie nicht sagt. Sie alle haben eine große Vorbildwirkung.

Die Autorin: Anja Ringel
Dass sie Redakteurin werden will, wusste Anja Ringel schon zu Schulzeiten. Als Chefredakteurin ihrer Schülerzeitung hat sie Lehrkräfte und Schüler interviewt, das Mensaessen getestet und ist Fragen wie "Wieso hat Wasser ein Mindesthaltbarkeitsdatum" nachgegangen.
Nach Stationen bei diversen Tagezeitungen schaut sie bei "Produktion" nun den Unternehmen auf die Finger oder besser gesagt auf die Bilanzen. Als Wirtschaftsredakteurin kümmert sie sich aber auch um Themen wie Fachkräftemangel, Diversity, Digitalisierung oder Unternehmenskultur. Daneben ist sie einer der Podcast-Hosts von Industry Insights.
Privat liebt sie das Reisen und nutzt ihre Urlaube, um die Welt zu entdecken.