Die erst kürzlich in Betrieb genommene Lackiererei im Münchner Stammwerk von BMW ist auch dank Automation und Digitalisierung eine der modernsten Anlagen der Automobilindustrie. Denn das Auftragen und Trocknen der sonst üblichen Füllerschicht entfällt – stattdessen gibt es nun zwei Basis-Lackschichten ‚Nass-in-Nass‘.
Dazu erklärt Christoph Schwartz, Produktionsleiter Lackiererei: „Im Prinzip kommen drei große Prozessschritte zusammen, die wir einsparen. Das ist der Füllerauftrag, das Füllertrocknen – also der ganze Aufheiz- und Abkühlungsprozess für das Füllereinbrennen – und der Kontrollschritt hinterher, die Karosse wieder für den Decklack vorzubereiten. Was wir früher als Füllervorbereitung gemacht haben, machen wir jetzt als Decklackvorbereitung und haben dann nur die Decklacklinie. Die Linie hat jetzt mehr Lackauftrag, nämlich ‚Nass in Nass in Nass‘, also zwei Basislack- und eine Klarlackschicht, die dort aufgetragen werden.“
Das funktioniere qualitativ, optisch und funktional genau wie früher mit Füller. Auch in den laufenden Feldrückmeldungen sei die Erkenntnis, dass der Kunde keinen Unterschied feststelle.
Beste Lackiertechnik - auch für mehr Umweltschutz
Eisenmann hat einen Großteil der Lackieranlage geliefert, wie Eduard Hack, Projektleiter der Lackieranlage im Werk München, erläutert.
„Dazu gehören die zwei IPP-Linien, bestehend aus Kabinen, Zwischentrockner und Fördertechnik. Die IPP-Trockner und eine Farbmesszelle sind ebenfalls von uns. Arbeitsplätze, zuführende Fördertechnik, Fehlererkennungsroboter und die Fehlererkennungskabine wurden von verschiedenen anderen Firmen geliefert.“
Bei den zwei IPP-Linien – Integrated Paint Process – handele es sich um die füllerlosen Lackierkabinen. „Bisher war es so, dass man zuerst eine KTL-Schicht auf die Karosse aufbrachte, darauf folgte der Füller und im Anschluss der eigentliche Basislack mit dem Klarlack. BMW lässt nun die Füllerschicht weg, trägt zwei Basislackschichten in einem Prozess auf und spart dadurch den Füllertrockner und somit jede Menge Energie und Fertigungszeit“, weiß Hack zu berichten. In Zahlen ausgedrückt geht es um circa 23 % weniger Energieverbrauch, einen verringerten CO2-Ausstoß von 22 % sowie um sieben Prozent reduzierte VOC-Emissionen.
Ressourcenschonender Karosseriebau
Dazu ergänzt Schwartz: „Der Prozess ist ressourcenschonend und effizienzsteigernd, denn wir verkürzen die Durchlaufzeiten. Wir können auf den im Zuge des bisherigen Füllerauftrags notwendigen Trocknungsprozess verzichten.“ Außerdem könne BMW mit dem Trockenabscheidungsprozess im Gegensatz zu den vorherigen Venturi-Nasswäschern einen sehr hohen Umluftanteil in den Kabinen fahren.
„Damit halten wir den zu konditionierenden Frischluftanteil sehr gering. Durch diese beiden Effekte haben wir den Erdgasverbrauch um etwa 50 Prozent reduziert. Unverändert bleibt die KTL-Beschichtung und die Nassapplikation in der Decklacklinie“, so der Produktionsleiter Lackiererei.
Ein weiterer Vorteil durch die neue Lackieranlage ist die damit einhergehende höhere Prozessqualität. Da steckten laut Schwartz mehrere Aspekte dahinter, denn zum einen habe sich im Vergleich zu der über 20 Jahre alten Lackiererei die Applikationstechnik weiterentwickelt. „Denn wir fahren heute mit moderneren Anlagen, was den Applikationswirkungsgrad erhöht. Auch die Fehlerfreiheit sowie die Genauigkeit in der Programmierung der Roboter ist gestiegen, sodass wir weniger störanfällige Applikationen haben.
Fahrzeuglackierung mit modernster Technologie
Zum anderen haben wir jetzt eine Anlage mit automatischer Oberflächenkontrolle, bei der sich auch die Rechnertechnik und die optische Technik so weit weiterentwickelt haben, dass wir jetzt feinste Fehler auf der Oberfläche vollautomatisch bei 100 Prozent der Fahrzeuge erfassen und markieren können, was durch den Mitarbeiter entfernt wird“, beschreibt Schwartz. Dabei identifiziere die automatische Kontrolle mit Kameras über Interferenzmuster Einschlüsse oder Ähnliches in der lackierten Oberfläche.
„Diese erkannten Fehler werden von Maschine zu Maschine weitergegeben, so dass ein weiterer Roboter die Fehler bereits mit einer Mischung aus Kreide und Schleifpaste direkt auf der Karosse markiert. So können die Werker sich unmittelbar an die Ausbesserung machen“, sagt Schwartz. Früher geschah die Lackkontrolle noch rein visuell durch Mitarbeiter. Das übernehme heute die Anlagentechnik und dadurch sei der potenzielle Schlupf noch einmal deutlich zurückgegangen. Die Robotik sei dabei dem menschlichen Tun überlegen.
Stichprobenartige Kontrolle der Karosserie
Bei circa zehn Prozent der Fahrzeuge würden zudem stichprobenartige Qualitätskontrollen auf Farbe, Struktur und Schichtdicke durchgeführt. Bei der KTL-Phase wird die Oberfläche übrigens nicht automatisch überprüft, sondern noch visuell. Dazu Schwartz: „Das KTL ist ja von der Oberfläche matt und funktioniert von der automatisierten Kontrolle noch nicht – im Gegensatz zu glänzenden Oberflächen. Aber bei den matten Oberflächen sind wir in der Entwicklung, und da wird auch demnächst maschinell kontrolliert. Somit ist die automatische Kontrolle auf alle Prüfschritte erweiterbar. Wann das bei uns im Werk umgesetzt wird, ist noch nicht klar, ich weiß aber, dass eine Pilotanlage bei einem Lieferanten aufgebaut ist.“
Deutlich weniger Overspray
Durch die neue Lackieranlage ist auch die Flexibilität gestiegen, wie Schwartz erklärt: „Das bezieht sich vor allem auf unsere Farbauswahl. Jetzt können wir über unsere IPP-Anlage prinzipiell unbegrenzt Farbtöne fahren, sodass von Kunden auch spezielle Farbwünsche ermöglicht werden können.“
Früher habe BMW solche Sonderwünsche nur auf einer ge-sonderten Linie ermöglichen können. Mit der neuen Anlagentechnik sei dies nun im Serienprozess möglich – und zwar ohne Farbwechselzeiten durch ein Kartuschensystem. Dazu Schwartz: „Diese Kartuschen werden genau mit der Farbmenge für das zu lackierende Fahrzeug befüllt und der Lackierroboter verwendet die entsprechende Kartusche. Während dieser Lackierung wird die zuvor verwendete Kartusche gespült und für das nächste Fahrzeug, das wiederum in einer ganz anderen Farbe lackiert werden kann, befüllt.“
Durch das Kartuschensystem ergebe sich auch ein kleinerer Sprühkegel. Auch der Roboter baue kleiner, was ihn wendiger mache. Das habe wiederum weniger Overspray zur Folge. „Es gibt auch keine Verfahrzeiten mehr zwischen den Stationen: Das ermöglicht auch das ‚Line Tracking‘. Dabei wird im Gegensatz zu ‚Stop and Go‘ im Vorbeifahren lackiert.“
Somit gebe es keine Taktverluste mehr und auch die qualitative Aufbringung entspreche dem sonstigen Serienstandard. Neben den speziellen Individualwünschen habe BMW auch durch die eigenen Sonderderivate eine höhere Farbvielfalt in den letzten Jahren festgestellt. Dies falle nun auch leichter, da es auch dafür einen Gewinn an Flexibilität gebe.
Höhere Transparenz durch Digitalisierung
Einen weiteren Vorteil weiß Schwartz auch noch zu nennen: „Auch durch die Digitalisierung erreichen wir eine deutlich höhere Transparenz und eine viel schnel¬lere Reaktionsfähigkeit durch die Analysemöglichkeiten von großen Datenmengen. Wir verfügen über deutlich mehr Sensorik in der gesamten Anlagentechnik über Drehzahlen, Ausflussmengen, Drücke und Viskositäten, die online erfasst werden und im Störfall sehr schnell eine Analyse zulassen.“
In der Praxis sehe das dann so aus, dass beispielsweise bei einer Pumpe in begrenztem Umfang der Druck seit einer halben Stunde abgefallen sei – da müsse ein Techniker eingreifen. Solche Möglichkeiten habe man bei der alten An¬lage nicht gehabt. „Da sind im Vergleich bei einem Fehler fünf Leute losgelaufen und haben die Fehlerquelle gesucht“, beschreibt Schwartz. Da hätten sich dann viele Fragen gestellt: Der Fehler liegt auf der linken Seite, welche Roboter könnten das dort sein? Ist die Farbversorgung gegeben? Ist es die Steuerung oder der Motor oder ist es die Pumpe?
Selbstkorrigierende Lackieranlagen
Schwartz zeigt sich nun zufrieden, denn „wir sind jetzt bei der Störbeseitigung deutlich schneller und können qualitative Ergebnisse schneller zuordnen. Da kommt die automatische Qualitätskontrolle wieder ins Spiel. Auch diese Daten sind alle hinterlegt und die wollen wir in naher Zukunft auch mit der Linie so verknüpfen, dass wir auch dort unsere Vision ‚Ein sich selber regelndes System‘ umsetzen.“ Denn am Ende der Linie gebe es ja noch eine Farb- und Strukturmessung. Diese Farbmesszelle hat auch Eisenmann geliefert. Dabei handelt es sich um eine Kabine, in die stichprobenartig Karossen eingefahren werden, in der zwei Roboter den Farbton, die Schichtdicke und die Lackstruktur messen. „Wenn ich da erkenne, dass sich ein Farbton oder eine Lackstruktur verändert, dann will ich das künftig unmittelbar mit den Anlagendaten rückkoppeln können. Im Idealfall korrigiert sich die Anlage dann selbst“, blickt Schwartz bereits in die Zukunft.
Qualitäts- und Effizienzsteigerung durch Digitalisierung
Als Beispiel aus der Lackiererwelt nennt er dazu nachfolgendes Szenario: Die automatische Qualitätskontrolle stellt fest, dass bei einem Modell immer an der hinteren linken Tür ein Tropfen auftritt – ‚da schiebt der Lack über die Kante‘, wie es im Fachjargon heißt. Die Schichtdickenkontrolle erkennt folgerichtig, dass die Schichtdicke angestiegen ist. Daraufhin soll der Roboter, der den Klarlack appliziert, automatisch seine Ausbringungsmenge um zehn Prozent zurückfahren und auch Rückmeldung geben, warum dieser Fehler aufgetreten ist. Beispielsweise mit der Meldung: ,Das ist passiert, weil die Viskosität im Klarlack um zehn Millipascal gestiegen ist‘. „Somit erreichen wir auch hier eine Qualitäts- und Effizienzsteigerung durch die Digitalisierung“, erläutert Schwartz.
Lackabscheideverfahren E-Cube
Neu bei BMW ist das von Eisenmann eingesetzte Lackabscheideverfahren E-Cube. Dazu erklärt Hack: „Das ist ein rein mechanisches Abscheidesystem. Die bisherige Venturi-Auswaschung ist hier passé.“ Bei dem E-Cube-Verfahren handele es sich um ein echtes Trockenabscheidungssystem von Lacknebel aus der Kabinenabluft. „Somit entfallen das Umlaufwasser, die Chemie und die Lackschlammentsorgung komplett. In diesem Filtersystem, das wir entwickelt haben, können 120 bis 130 Kilogramm Lack abgeschieden werden“, verdeutlicht Hack. Das Leergewicht eines solchen Cube liege bei 60 bis 65 Kilogramm. Im beladenen Zustand werden die E-Cubes in der Müllverbrennung thermisch behandelt, weil dort vor allem der lösemittelhaltige Klarlack noch viel Energie enthält.
„Der Filter beziehungsweise E-Cube steht auf einer üblichen Europalette und kann somit leicht abtransportiert werden. Im Gegensatz zum Venturi-Abscheidesystem fahren wir hier 80 Prozent der Prozessluft im Umluftprozess, was zu weiterer hoher Energieeinsparung führt“, beschreibt Hack.
Bester Lackierprozess in der Produktion
Das E-Cube-Abscheidesystem ist aus Sicht von Hack der wichtigste Part mit dem größten Innovationssprung bei der neuen Lackieranlage. „Das sehe ich aktuell als weltweit einzigartig und da sind wir auch marktführend. Da haben wir definitiv einen Wettbewerbsvorteil“, ist sich der Projektleiter der Lackieranlage sicher.
Auch seitens BMW ist das Thema Trockenabscheidung ein gewinnbringender Vorteil, „denn die E-Cubes ermöglichen die zuvor genannte Energieeinsparung“, sagt Schwartz. Auch um die geringen Umluftmengen zu realisieren, sei die Trockenabscheidung notwendig. „Bisher läuft dieser Prozess absolut problemlos und störungsfrei. Es ist auch extrem einfach, diese Filter auszutauschen. Die Innovationen, die wir hier in München umsetzen konnten, machen einen stolz und freuen einen auch, da wir jetzt wieder ganz vorne an der Spitze dran sind. Denn jetzt haben wir eine der besten Lackierereien der Welt und dementsprechende Autos bringen wir auch daraus hervor“, zeigt sich Schwartz mehr als zufrieden.