DHL ist für Ford ein zentraler Logistikpartner und musste miterleben, wie sich das Coronavirus von China auf den Erdball ausbreitete - mit fatalen Konsequenzen für jedes Unternehmen in der Supply Chain eines OEM. Doch schon während der Corona-Krise konnte DHL aufgrund ihrer Erfahrungen einige Prozesse in der Lieferkette stabilisieren. Dennoch hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass im Supply Chain Management (SCM) künftig andere Regeln gelten - beispielsweise sind mehr Digitalisierung und Informationsfluss nötig. Dadurch kann DHL Entscheidungen heute in zwei Stunden statt in zwei Tagen treffen.
SCM für Ford rund um die Produktion
René Kaschta, Operations & New Model Planning Manager bei DHL Supply Chain, Duisburg, ist im Einsatz beim Autobauer Ford, der für DHL ein LLP - ein Lead Logistics Partner - ist. Kaschta beschreibt detailliert, welche Spuren Covid-19 hinterlassen hat: "Wir sind bei unserem Kunden Ford rund um das Thema Manufacturing/Produktion aktiv und steuern im Prinzip die gesamte Logistikkette in Zusammenarbeit mit unserem Kunden. Weil wir aber nicht nur im Automobilsektor sondern auch in anderen Schlüsselbranchen wie Consumer, Healthcare und weitere tätig sind, haben wir im Prinzip in allen Bereichen erfahren, wie Corona seine Spuren weltweit hinterlassen hat."
Sprungmarken zu den einzelnen Textabschnitten
- Zwei Millionen Fahrzeuge durch Corona-Krise verloren
- Internationale Reisebeschränkungen führen zu Arbeitskräftemangel
- SCM: Beschaffung auf mehrere Unternehmen verlagern
- Neue Herausforderungen für die Supply Chain
- Logistik: Resilienz der Lieferketten mittels Digitalisierung
- Das 'neue Normal' durch das Coronavirus in der Logistik
- Ziel: Digitale Technologien für die gesamte Supply Chain
- Globales Dashboard liefert Informationen über alle Prozesse im SCM
- Transparenz für Unternehmen durch smartes Datenmanagement hoch
- Erfolgreiches Supply Chain Management: Entscheidung in zwei statt 48 Stunden
- Mit Künstlicher Intelligenz internationale Lieferketten optimieren
Zwei Millionen Fahrzeuge durch Corona-Krise verloren
Die Automobilbranche wurde zweifelsfrei schwer getroffen. "Wir haben einen Lockdown in den Werken von durchschnittlich 26 Tagen in Deutschland gehabt, was dazu geführt hat, dass wir über zwei Millionen Fahrzeuge an geplanter Produktion verloren haben", verdeutlicht Kaschta. Das seien im Vergleich zum Vorjahr global 20 Prozent, wobei er für das zweite Quartal einen Rückgang von 40 Prozent erwarte. Dabei habe der Einbruch auf der Absatzseite mit der Bewegung des Coronavirus korreliert.
"Der Absatzrückgang lag im ersten Quartal weltweit bei 27 Prozent. Es hat aber auch die Infrastruktur getroffen, die nötig ist, um Fahrzeuge überhaupt zu produzieren. Bei der Luftfracht sind uns 30 Prozent an Kapazitäten verlorengegangen, bei der Seefracht sogar 40 Prozent. Das wäre der größte Year-over-year-Rückgang in der Geschiche", betont Kaschta. Er gehe davon aus, dass sich die Kapazitäten im Seefrachtbereich erst gegen Ende 2022 rehabilitierten.
Internationale Reisebeschränkungen führen zu Arbeitskräftemangel
Und schon tat sich das nächste Problem auf, wie Kaschta beschreibt: "Wir haben auch einen Arbeitskräftemangel aufgrund von Reisebeschränkungen, beim Bereich Straßenfracht gehen wir von fünf Prozent aus, manche Prognosen gehen sogar von bis zu 17 Prozent Marktumsatzeinbußen im europäischen Straßenfrachtbereich aus."
90 Prozent aller automobilproduzierenden Werke seien von einem Produktionsstopp betroffen. Dazu ergänzt Kaschta: "Das ging einher mit Notwendigkeiten, die Flurplanung zu aktualisieren - sprich - wie kann ich überhaupt Fahrzeuge produzieren, um eine minimale Distanz der Menschen aufrechtzuerhalten." Die gesamte Ausrichtung in den Werken habe neu gemacht werden müssen, inklusive spezieller medizinischer Ausrüstung.
SCM: Beschaffung auf mehrere Unternehmen verlagern
"Last but not least hatten wir auch Versorgungsengpässe. Wir hatten viele Lieferanten, die ihre Produktion insbesondere in China stoppen mussten. Zudem hatten sich von heute auf morgen Zollbestimmungen geändert – auch diese Probleme mussten wir lösen. Außerdem ist Insolvenzrate von Lieferanten um zehn Prozent gestiegen. Das ist hoch und zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur single sourcing bei der Materiallieferung sondern auch Alternativen zu haben", verdeutlicht der DHL-Mann.
Neue Herausforderungen für die Supply Chain
Dadurch haben sich natürlich immense Herausforderungen an das SCM ergeben, wie Kaschta klarstellt, denn nach der Schließung der Werke war die Zeit durch einen Reboot der Supply Chain geprägt, um die Produktion wieder ans Laufen zu bringen.
"Dabei hat die Logistik eine Schlüsselrolle gespielt. Es musste geklärt werden, wo die Materialien sind und was die Produktion überhaupt herstellen kann. Die Phase haben wir hinter uns und können jetzt überprüfen, wie wir vorläufig unsere Netzwerke und die komplette Supply Chain optimieren, um wieder unser effizientes Kostenniveau wie vor Covid-19 zu erreichen." Dabei müssten die Unternehmen neuen Sicherheitsbestimmungen und Regularien folgen, was mit neuen Prozessanforderungen einhergehe.
"Schauen wir in die Zukunft, gehen wir davon aus, dass die Märkte und die Produktion sehr volatil sein wird. Die Stabilität, die wir einst hatten, wird es voraussichtlich in den nächsten Monaten nicht geben – gerade Dienstleister und das produzierende Gewerbe in der Automobilindustrie müssen flexibel sein und sich immer wieder neu anpassen", so Kaschta.
Logistik: Resilienz der Lieferketten mittels Digitalisierung
Mit Blick auf die Digitalisierung der Supply Chain vertritt Kaschta eine klare Überzeugung: "Wir verstehen auch die Digitalisierung als ein Muss zur Resilienz der Lieferketten und letztendlich auch für Strategien. Für uns bedeutet Digitalisierung Big Data und flexible Systeme, denn nur so erhalten wir Informationen und die Transparenz, die wir für alle Prozesse brauchen, um überhaupt schnelle und fundierte Entscheidungen treffen zu können."
Für Kaschta bedeutet das, dass "wir systemübergreifende Lösungen brauchen, denn es gibt nicht das eine System, das alles kann." Zudem brauche es ein starkes Schnittstellenmanagement. Das ermögliche im Prinzip, die nachfolgenden Fragestellungen zu beantworten. Fragen aus der täglichen Praxis zu Zeiten von Corona lauten für Kaschta wie folgt:
Das 'neue Normal' durch das Coronavirus in der Logistik
Wie steht es um die Materialverfügbarkeit, den In-Transit- und Lieferantenstatus sowie Prognosen und Alternativen? "Diese Fragen waren wichtig, um zu entscheiden, was ich jetzt mit der Produktion mache: Muss ich sie stoppen, drosseln, erhöhen, verlagern? Wie sieht meine Versorgung aus? Was muss ich mit meinen Beständen machen und wo müssen wir das Fachnetzwerk anpassen? Das ist nach unserem Verständnis das neue Normal", erläutert Kaschta und zieht daraus nachfolgende Konsequenzen:
"Für uns bedeutet das, dass wir jetzt und in Zukunft noch schneller Entscheidungen treffen können müssen - bei größeren Unsicherheiten aus Gründen der Pandemie. Für uns ist daher die Digitalisierung unabdingbar."
Ziel: Digitale Technologien für die gesamte Supply Chain
Mit Blick auf die Digitalisierung gehe Kaschta davon aus, dass Gespräche in Bezug auf Einkaufsstrategien stattfinden werden. "Da geht es um Fragen wie regional versus global, um Standortentscheidungen, In- oder Outsourcing und dergleichen. Das alles wird erst durch eine smarte Digitalisierung ermöglicht, die ein operatives Geschäft überhaupt in dieser Geschwindigkeit zulässt."
Doch wie konnte nun die Wertschöpfungskette sämtlicher beteiligter Unternehmen nachhaltig verbessert werden? Kaschta klärt auf: "Bei Ford haben wir mit dem Oracle Transport Management (OTM) ein Basissystem, alle anderen Unternehmen wie Kunden und Stakeholder haben Zugang zu diesem System. Denn die besten Systeme bringen nichts, wenn sie nicht ganzheitlich integriert sind. Und hier ist für uns wichtig, dass das Kundensystem, das auf die Produktion runtersteuert, ein mit unserem System kombiniertes ist. Dadurch können wir maximale Potenziale überhaupt materialisieren."
Globales Dashboard liefert Informationen über alle Prozesse im SCM
So habe die DHL ein globales Dashboard aufgrund von Corona aufgesetzt, in das der Nutzer pro Region oder Länderebene hineinzoomen kann. In diesem könne man sich hinsichtlich Grenzbeschränkungen, Transitrestriktionen oder Quarantänebestimmungen informieren.
"Wenn ich Spotlight-Lieferanten habe und ich weiß um akuten Bedarf an diesen Materialien, dann kann ich mich genau über die aktuelle Lage informieren. Dieses Dashboard wird immer noch stündlich aktualisiert und jeden morgen wird analysiert, wo wir nachsteuern müssen", beschreibt Kaschta.
Das Dashboard erklärt Kaschta mit einem Live-Blick nach Wuhan, dem Ort, der als Auslöser für die Corona-Pandemie weltweit bekannt wurde: "Dort sieht man auf dem Dashboard nicht nur die aktuelle Corona-Situation, sondern auch die aktuelle Materialversorgung, die wir erreicht beziehungsweise nicht erreicht haben. Hier können wir genau sehen, ob ich in der Zone meine Materialien noch nicht rausbekommen habe, ob dadurch ein Risiko entsteht und ob ich Alternativen suchen muss."
Transparenz für Unternehmen durch smartes Datenmanagement hoch
Mit einem smarten Datenmanagement sind die Unternehmen laut Kaschta wesentlich agiler – und nennt hier OTM als Fundament, damit Logistiker immer wieder der Situation angepasst Dashboards aufbauen könnten. Dies stelle beispielsweise die Performance bei der Versorgung und dem Port-Monitoring (Situation in den Eingangshäfen) dar.
Schließlich habe es ja erhöhte Transitzeiten aufgrund von überlaufenen Häfen oder ankernden Seecontainerschiffen gegeben. Anhand der Tiger-Charts lasse sich nachvollziehn, wo sich die kritischen Teile befänden und anhand der Air-Freight-Charts sei erkennbar, wo Teile im Transit seien, wo sie im Zoll festhingen und wo wieder nachjustiert werden müsse.
Erfolgreiches Supply Chain Management: Entscheidung in zwei statt 48 Stunden
"Durch das Real-time-Tracking sehe ich nicht nur, wo und auf welchem Containerschiff unsere Materialien sind, sondern ich sehe auch schon entlang der gesamten Lieferkette, wo ich Ereignisse oder Störungen bewältigen muss", sagt Kaschta und fügt hinzu:
"So sind wir mittlerweile in der Lage, Entscheidungen innerhalb von zwei Stunden zu treffen, was früher mit Excel 48 Stunden gedauert hat." Auch bei dem Gelbwesten-Streik in Frankreich habe DHL das Dashboard nutzen können, um LKW mit Materialien im Transit im Blick halten zu können.
Mit Künstlicher Intelligenz internationale Lieferketten optimieren
Ein neues Thema ist die zenariobasierte Methodik zum Risk Management in der Logistik. Dafür werden Szenarien entwickelt und anhand von Künstlicher Intelligenz entschieden, wie sich alles entwickeln wird. Dazu erklärt Heike Wittig, Sales Director EMEA bei der DHL Resilience 360 GmbH:
"Gerade in der Logistik bieten wir jetzt auch ETA Prediction - Estimated Time of Arrival - auf der Basis von Big Data an. Als angegliederter Dienstleister der DHL erhalten wir ja weltweite Daten, die wir auch verwenden, um entsprechende Modelle zu analysieren und dann auch zu modellieren." Als externer Partner könne man die Daten kombinieren und voraussagende Ankunftszeiten ständig verbessern.
"Die Roadmap, die wir durchlaufen, ist im Prinzip die Predictive Analytics als Erstes zur Verfügung zu stellen - uns dann aber auch weitergehend Richtung Prescriptive Analytics entwickeln. Das heißt, dass letzten Endes alles automatisiert wird und die Maschine wird entscheiden, was zu tun ist. Dieser Weg ist vorgezeichnet und wird durch die Corona-Pandemie noch beschleunigt", verdeutlicht Wittig.