Angefangen als Werkzeugmacher ist Albrecht Reimold heute Mitglied des Vorstands und zuständig für Produktion und Logistik bei der Porsche AG in Stuttgart. Er sagt: „Nachhaltigkeit kostet kein Geld, sondern wird uns später als erfolgreiches Unternehmen dastehen lassen.“
So habe man in der Porsche-Produktion 4.0 alles unter dem Moto 'Smart, Lean and Green' zusammengefasst. "Dabei heißt 'smart' nicht nur, dass man digitalisiert und automatisiert. Sondern für mich ist es ganz wichtig, erst die Prozesse in Ordnung zu bringen, dann zu digitalisieren und anschließend die Daten zu verbinden und etwas daraus zu machen." Dazu kann Reimold hervorragende Beispiele nennen.
Was ein umfassender Austausch innerhalb des Unternehmens bewirken kann
"Wir haben bei Porsche das Auftragsmanagement integriert. Wir - also die Produktion - sehen, wenn der Vertrieb die Aufträge eingibt. Wir pflegen diese und steuern sie so lange, bis sie wieder beim Kunden sind. Genau diese ‚end to end-Prozessverantwortung‘ ist Gold wert, weil wir natürlich Kundenzufriedenheit schaffen, weil wir hochprofitabel sind und weil wir reagieren können, falls etwas ist – weil zum Beispiel China zur Zeit nur bedingt liefert", erklärt Reimold.
Und weil der OEM natürlich auch die Daten nutzen könne, um neue Geschäftsmodelle zu trainieren. "Aus diesem System heraus generieren wir manchmal über Künstliche Intelligenz Kunden oder marktspezifische Fahrzeuge für den Vertrieb. Zudem haben wir eine Verbesserung von zweistelligen Prozentraten durch die Ausstattung der Autos und demzufolge auch einen höheren Deckungsbeitrag", stellt Reimold dar.
Innovation in Produktionsplanung und Lieferkette
Tipps aus dem wahren Leben, wie man in der Produktionslogistik Fahrt aufnimmt, gibt auch Andreas Schick, Vorstand Produktion, SCM und Einkauf bei der Schaeffler AG in Herzogenaurach: "Wir operieren weltweit in einem Verbund von 77 Werken. Diese Fabriken sind nicht eigenständig, sondern miteinander vernetzt. Wir tauschen Produkte innerhalb der Standorte aus. Und genau das ist jetzt die Chance, wie wir dies durch Digitalisierung stärker vernetzen, enger mit unseren Kunden synchronisieren und in der Gesamtkette schneller werden."
Internationale Verbindungen der Unternehmen gestört
Doch Schick weiß auch um die aktuellen Herausforderungen: "Wir sind in einer Situation, in der sich die Automobilindustrie komplett neu erfindet und die Herausforderungen sind immens." Außerdem habe sich die Welt in den letzten 20 Jahren globalisiert, jetzt deglobalisiere sie sich wieder.
Schick sieht dazu auch Lösungen, gerade durch die Vernetzung: "Da werden nun nationale Barrieren aufgebaut. Das ist für uns die nächste Herausforderung, wie wir unsere Standorte vernetzen und möglichst effizient die Kunden bedienen. Ich sehe in der Digitalisierung große Chancen, viel effizienter zu werden."
Grenzen zwischen Produktion und Logistik durch besseres Netzwerk aufreißen
Bei Schaeffler habe man acht Technologiefelder definiert, die die Produktion und Logistik in den nächsten Jahren steuern und verändern werden. So arbeite Schaeffler in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine effizienter - doch wie führt so etwas zu mehr Agilität?
Schick klärt auf: "Automatisierung machen wir ja schon seit vielen Jahren. Wir haben aber jetzt die Chance durch andere, flexiblere Technologien die Zusammenarbeit effizienter und wirksamer zu gestalten. Beispielsweise bei Montagetätigkeiten, die komplex sind und zum Automatisieren sehr schwierig waren. Genau das ist der Punkt, denn diese Montagetätigkeiten können jetzt sowohl manuell als auch automatisiert gesteuert und umgesetzt werden." Diese Möglichkeiten der 'einfachen Automatisierung durch Datenvernetzung' bildeten jetzt auch die Chance, im Transport (die agv’s, die FTS-Systeme) die Grenzen zwischen Wertschöpfung und Logistik aufzureißen und während der Logistik auch wertschöpfende Dinge umzusetzen.
Durchlaufzeit in Fertigung und Supply Chain gedrittelt
Schick erklärt, wie Schaeffler in seinem Werkeverbund die klassischen Logistikabläufe verändert und die Produktion mit der Logistik viel stärker verzahnt - am Beispiel des klassischen Nadellagers mit einer Produktion von 60 Milliarden Stück pro Jahr: "Wir produzieren diese an fünf internen Werken und benutzen sie in 25 internen Kundenwerken."
Der bisherige Ablauf sei ganz klassisch: Ein Kundenwerk bestelle über ein Logistik- und Verteilzentrum und dieses bestelle wiederum an einem dieser Nadelversorgungswerke. "Dort werden die Teile mit einer gewissen Durchlaufzeit gefertigt, gehen wieder zurück über das Verteilzentrum und gelangen dann letztendlich zum Endverbraucher. Das ist eine sehr sequentielle, nicht schlanke Kette", kritisiert Schick. Nun funktioniere das anders.
Wie funktioniert die Vernetzung von Produktion und Logistik?
Schick nennt ein einfaches Beispiel, wie man die Logistik mit der Produktion verbinden kann: "Die heutigen Kunden dieser Produkte sitzen in den Montagewerken. Durch die direkte Vernetzung mit diesen Zulieferwerken bestellt der Kunde direkt an der Maschine. Er hat einen ihm zugeordneten Wertstrom.
Das heißt, es gibt keinen Planer mehr in unserem Komponentenwerk, der Mitarbeiter vom Montagewerk lastet es dort direkt ein – in dem Moment wo er es einlastet, ist es auch sein Produkt. Es gibt keine Diskussionen mehr, ab wann die Verantwortungsübergabe ist und wo ein gewisses Teil ist. Es ist während der Fertigungszeit transparent", freut sich Schick und nennt den großen Vorteil: "Die Durchlaufzeit wird gedrittelt."
Wie kleine Losgrößen für maximale Flexibilität in der Herstellung sorgen
Besonders wichtig sei dabei, dass nicht alles alleine mit der Logistik oder mit der Vernetzung funktioniere, sondern dass sich die physischen, technischen Produktionsabläufe weiter verändern müssen. "An dieser Stelle ist es auch nur dadurch möglich, dass wir eine Losgröße - in dem Fall sind es Behälterlosgrößen - auf die minimale Losgröße reduzieren konnten und somit maximale Flexibilität erreichen können", erläutert Schick die neue Organisation.
Nur so schaffe man diese Vernetzung, Kontinuität, Transparenz und auch direkte Verantwortung. Also der Kunde, der ein Nadellager benötigt, der bestelle es und plane es auch selber ein.
Mehr Kommunikation in der Branche durch Industrie 4.0
Das Ziel müsse also letztlich sein, einen neutralen Datenraum zu definieren, dem Informationen (Logistikinformationen, Kundeninformationen, Qualitätsinformationen, Prozessinformationen) zugesendet werden. Diese Informationen sollten in diesen neutralen Datenräumen ausgetauscht werden. "Somit werden wir in dieser spannenden, aber auch herausfordernden Zeit die Vernetzung vorantreiben, um als Industrie erfolgreicher zu sein", beschreibt Schick.
Entwicklung in Lagerhaltung und Lagerlogistik
Seitens der Intralogistik gibt Michael Müller, Vorsitzender des Vorstands, Müller – Die lila Logistik, aus Besigheim-Ottmarsheim Einblicke in die Themen Logistics, Transport und Supply Chain Management. Laut Müller gebe es momentan fünf bis sechs Bereiche, in denen technologische Schwerpunkte stattfänden.
"Das sind die Themen Cloud, Mobile Computing, Künstliche Intelligenz, Big Data, Internet of Things und Lokalisierung von Waren- und Informationsfluss", beschreibt Müller. Andererseits würden heute in Logistik und Produktion immer noch Excel-Dateien verschickt, in die Unmengen von Daten eingetragen und zurückgeschickt werden sollen. "Wir glauben nicht, dass dies die Zukunft ist", grinst Müller vielsagend.
Logistik für den Porsche Taycan im Bereich Produktion
So sei Lila Logistik auch für den Porsche Taycan im Einsatz, habe dort aber kein Logistikzentrum aufgebaut. "Hier war die große Herausforderung, die Durchgängigkeit des Informationsflusses, die Vernetzung der Lieferanten, die Steuerung, die Optimierung und die Verfügbarkeit der Informationen, um eben entsprechend reagieren zu können", erläutert Müller. Diese horizontale Wertschöpfungskette gehe natürlich auch noch in die Vertikale hinein.
Warum sollte der Produktionsprozess logistisch eingebunden werden
"So haben wir ein neues Kommissionierungssystem für die Versorgung der Produktion entwickelt. Dort wird ein Motor komplett in einen Warenkorb kommissioniert - bis auf den Motorblock selbst", sagt Müller. Der Warenkorb werde von FTS durch die Kommissionierzonen gezogen.
Über den Warenkorb werde ein Frame mit Laserpoints gezogen. Der Laserpoint zeige an, wohin zu kommissionieren sei. Dazu Müller: "Doch das ist nur die reine Kommissionierung. Hier sind wir aber noch einen Schritt weitergangen - und zwar an die Vormontage im Motor. So können wir heute eben nicht nur Komponenten und Bauteile, sondern vormontierte Komponenten in die Produktion liefern", verdeutlicht Müller.
So können die Unternehmen ihre Prozesse in Logistik und Produktion verzahnen
Doch was muss in den einzelnen Unternehmen passieren, damit eine Vernetzung von Produktion und Logistik möglich ist und sich die Struktur von Fabrikation und Verarbeitung im gesamten Markt positiv entwickelt? Dazu erklärt Reimold: "Man kann auf dem Bestehenden nicht immer optimieren – da gibt es irgendwann Grenzen - sondern man muss immer wieder in Alternativen denken."
Für ihn sei der Materialfluss schon noch einer der Hauptkriterien, um in der Nachhaltigkeit noch viel besser zu werden. "Denn logischerweise ist Materialtransport immer mit irgendwelchen Ressourcen verbunden, mit Emissionen. Und ich kann eben nicht alles in meinen Montagewerken machen", beschreibt Reimold und meint augenzwinkernd, dass es natürlich am einfachsten wäre, wenn der Kunde seinen Porsche in einem 3D-Drucker vor Ort ausdrucken könnte - aber so weit sei man ja noch nicht.
"Dementsprechend ist der Materialfluss auf möglichst ressourcenarme Weise umzusetzen – und das gesamte Konglomerat sämtlicher Bauteile und Komponenten sowie Materialfluss deutlich effizienter zu gestalten. Der Materialfluss vor der Montage ist schon die größte Herausforderung", verdeutlicht Reimold.
Wie Process Mining in der Logistik 800.000 Euro einspart
Zur Verbesserung des Materialflusses nennt Reimold noch ein Beispiel aus dem Bereich des 'Process Mining'. So stelle sich beim Thema Frachtpapiere die Frage, wer was ausfülle – teilweise noch auf herkömmlichem Weg - und welche Daten wo ankämen. Dazu sagt Reimold: "Analysiert man das, dann kommt raus, dass 70 Prozent der Vorgänge nicht so laufen, wie man gedacht hat – weil hier und da immer kleine Fehler gemacht werden.
Und dann benötigt man wieder Menschen und Ressourcen, um alles zu korrigieren. In einem Projekt haben wir durch einen automatisierten Wareneingang 800.000 Euro pro Jahr einsparen können, da wir jene Fehler abstellen konnten." Dazu müsse man die Daten nutzen und eben die Prozesse und Abläufe, die tagtäglich passieren, kennen. Weitere Kostensenkungen seien dadurch möglich.
Vernetzung, Verknüpfung und Kooperationen ermöglichen
Zu diesem Thema ergänzt Schick: "Wir generieren im Laufe des Fertigungsprozesses immens viele Daten. Daten, die auch dem Kunden helfen könnten, wenn wir diese mit ihm vernetzen könnten. Was mich immer wieder schockiert ist, wie wenig wir mit den Daten machen." Laut Schick könne man die Prozesse mit den generierten Daten optimieren. "Wie komme ich zu dem Punkt, dass die Information oder Ware, die auf mich zufließt, diese Information auch in den Folgeprozessen nutzt?", denkt Schick laut nach.
"In der Theorie ist das sehr einfach und es zu erreichen auch offensichtlich - aber wir haben es noch nicht umgesetzt." Ein Wunsch sei zudem, dass es branchenweite Lösungen beziehungsweise einen Datenstandard geben müsste. Müller ergänzt, dass "wir viel zu sehr in der Kostenecke diskutieren. Wir sollten uns auch auf den Nutzen fokussieren."
Logistikbranche durch CO2-Bepreisung betroffen
Schließlich ist auch längst klar, dass die Transportkosten aufgrund der CO2-Bepreisung nicht da bleiben, wo sie heute sind. Doch was bedeutet das für die Logistik? Dazu erklärt Müller: "Es werden neue Kennzahlen durch integrale Kostenbetrachtung entstehen, die berücksichtigen, dass CO2-Emission Geld kostet und CO2-Reduzierung Geld spart. Dann werden nicht nur Teilepreise, sondern auch Beschaffungs- und Entsorgungskonzepte miteinander verglichen werden müssen."
Reimold ergänzt, dass auch neue Technologien für den Transport entwickelt werden müssten, die deutlich emissionsärmer seien. "Ich wünsche mir, dass Bahn und Schiff da auch einbezogen werden und nicht nur an die Straße gedacht wird. Auch als OEM müssen wir uns da disziplinieren. Wir haben von unserem Werk in Bratislava zwei Drittel vom Auto über 800 Kilometer nach Leipzig transportiert. Das ist kein Prozess, den man anstreben sollte."
Bahn gehört in die Planung miteinbezogen
Reimold möchte die Bahn in die Logistik besser integrieren, sieht dabei aber auch Anforderungen an die Bahn. Da gehe es um Flexibilität und auch um Kosten. Zudem müsse man zwischen der Schiene und der Lage des OEM oder Zulieferers, wo das Rohmaterial hinkommt, ein intelligentes System haben, das 'umshuttled'.
Da gebe es zwar Lösungen, die aber aufwändig seien und viel Geld kosteten. "Der nächste Punkt ist, dass man keine Standards hat, was den Bahnverkehr bei der Spurweite anbelangt. Aber: Wir schaffen es mittlerweile innerhalb von drei Wochen Autos von Bremerhaven über die Schiene nach China zu transportieren – in etwa auf Kostenhöhe im Vergleich zum Schiff, dass sechs Wochen benötigt", rechnet Reimold vor.
Bessere Vernetzung auch durch kombinierten Verkehr in der Firma
Thomas Zernechel, Leitung Konzernlogistik bei Volkswagen, ergänzt, dass sich im Outboundbereich bei der Bahn einiges entwickelt habe, doch die Infrastruktur der Bahn sei natürlich auch begrenzt. "Wir sind schon in der Lage, auch im Inbound mit kombiniertem Verkehr zu arbeiten, eben LKW mit der Bahn zu verbinden. Leider stellen wir aber auch fest, dass viele Werke nicht dafür ausgestattet sind, die Bahn zu empfangen."
Da müsse unbedingt etwas getan werden, damit man auch auf den richtigen Verkehrsträger setzen könne, um mit einem Zug in eine Fabrik fahren zu können. "Es gab sogar Standorte, bei denen die Bahnanschlüsse zugebaut worden sind – so etwas müsste man wieder zugänglich machen", fordert Zernechel.
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