Produktion: Dr. Bernhard Quendt, ist Künstliche Intelligenz für Siemens ein Thema?
Bernhard Quendt: "Sei es die Digitalisierung, das IoT oder aber KI, Siemens ist im Einsatz innovativer Technologien schon immer Vorreiter gewesen. Einer unserer großen Vorteile ist, dass wir nicht nur Hersteller, sondern auch Anwender sind. Wir können die Technologien in den eigenen Werken testen und evaluieren. Siemens ist beispielsweise in der Digitalisierung sehr aktiv."
Produktion: In welcher Hinsicht ist Siemens hier aktiv?
Quendt: "Wir bieten Software Tools und Dienstleistungen für eine durchgängige digitale Engineeringkette oder zum Beispiel mit der MindSphere eine offene, reichhaltige Plattform für das Internet der Dinge und darauf aufsetzende Datendienste. Digitalisierung wird in Zukunft Hand in Hand mit KI gehen – und auch hier befinden wir uns in einigen Teilaspekten bereits in der Phase der Umsetzung."
Produktion: Ist KI mehr als ein Hype-Thema?
Quendt: "Hinter dem Begriff KI verbirgt sich dabei ein sehr breites Feld. Seit einiger Zeit unterliegt der Begriff zudem einer großen Aufmerksamkeit. Auf rein wissenschaftlicher Ebene hören sich viele Dinge immer großartig an, doch wenn sie dann mit den Bedingungen der Realität konfrontiert werden, folgt häufig die Ernüchterung. KI birgt eine ganze Reihe von Vorteilen, aber auch Risiken. Gerade im industriellen Umfeld muss man ein Thema wie KI mit entsprechendem Pragmatismus und Realismus angehen."
Produktion: In welcher Phase der Marktreife befinden wir uns gerade?
Quendt: "Im Moment stelle ich fest, dass sich die Spreu vom Weizen zu trennen beginnt. KI wird allmählich ‚Ingenieur-tauglich‘ und wandert aus der Wissenschaft in Produktionsbetriebe. Mit unseren Softwaretools und Dientleistungen treten wir an, die Vorzüge von KI für unsere Kunden nutzbar zu machen. Das betrifft vor allem eine einfache Handhabbarkeit sowohl im Einstellen von KI-Systemen aber auch der Umgang mit den KI-Systemen und ihren Ergebnissen.
Mit MindSphere ist uns eine gute Basis gelungen – der Anschluss von Produkten an die Mindsphere ist tatsächlich kinderleicht und auch durch die Bereitstellung von Programmierschnittstellen werden unsere Kunden in der Lage sein, schnell für ihre Anwendungsfälle maßgeschneiderte intelligente Anwendungen oder Dienstleistungen zu erstellen."
Produktion: Was sind die Voraussetzungen, um von KI zu profitieren?
Quendt: "Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass KI-Techniken oft eine andere Herangehensweise benötigen, als wir sie traditionell gewöhnt sind. Hier kann nicht früh genug damit begonnen werden, in entsprechende Weiterbildung zu investieren und die neuen Techniken schrittweise einzuführen. Teilweise ist das auch unabdingbar: nehmen wir beispielsweise die KI-Technologie Deep Learning. Mehrschichtige Neuronale Netze bilden dabei vereinfacht gesprochen Funktionen nach, wie sie im menschlichen Gehirn ablaufen. Eingesetzt werden diese Netze bei der Mustererkennung, aber sie müssen in der Regel antrainiert werden."
Produktion: Bedeutet ‚antrainieren‘ nicht auch ‚Fehler machen‘?
Quendt: "Dabei ist ein 'Lernen durch Fehler' in der Industrie natürlich heikel bis indiskutabel und es müssen andere Herangehensweisen gewählt werden. Üblicherweise beginnt man mit der KI erst einmal in Simulationen oder lässt KI-Systeme im sogenannten 'überwachten Modus' im Realbetrieb ‚mitlernen‘.
Wendet man beispielsweise Neuronale Netze zur Unterstützung der Qualitätskontrolle an, trainiert am Anfang ein Mitarbeiter das Netz in dem er ihm mitteilt, welches Produkt den gewünschten Qualitätsanforderungen entspricht. Später kann die Maschine in den Vorschlagsmodus wechseln. Wieder ist der Mitarbeiter involviert, der den Vorschlag akzeptiert oder nicht. Erst wenn das funktioniert, kann das System in den autonomen Betrieb wechseln."
Produktion: Gibt es Alternativen zu Deep Learning?
Quendt: "Eine andere KI-Technologie sind sogenannte wissensbasierte Systeme. Sehr vereinfacht gesprochen zieht das System logische Schlüsse auf Basis der Vorgaben des Ingenieurs. Die wissensbasierten Systeme handeln nachvollziehbar, im Gegensatz zu den Deep Learning-Systemen. Wie ein KI-System aufgebaut sein sollte, muss letztendlich von Anwendungsfall zu Anwendungsfall unterschiedlich behandelt werden.
Ein weiterer Anwendungsfall von KI-Techniken ist der Bereich der vorausschauenden Wartung. Entgegen herkömmlicher Wartungspraktiken im Schadensfall oder in festen Zeitabständen ermöglicht die vorausschauende Wartung oder „predictive maintenance“ eine effiziente Wartung just-in-time. Durch die Analyse von Maschinendaten kann zunehmend automatisch entschieden werden, wann ein Wartungsvorgang notwendig ist sowie entsprechende Ersatzteile und Wartungstechniker frühzeitig disponiert werden. Wir arbeiten an einer deutlichen Verschlankung der Wartungsprozesse zum Wohle unserer Kunden und bieten auf Basis der MindSphere entsprechende Lösungen an."
Produktion: Betreibt Siemens noch weitere KI-Projekte?
Quendt: "Ein Anwendungsbeispiel, welches mir besonders gut gefällt, basiert auf dem Konzept des digitalen Zwillings, das heißt dem kompletten digitalen Abbild eines realen Produkts und der Fertigung oder Maschine. Die Kombination aus digitalem Zwilling, Produktionsdatenanalyse und KI wird zukünftige Sinumerik-basierte Werkzeugmaschinen in die Lage versetzen, zu erkennen, ob das gerade gefertigte Werkstück den konstruktiven Vorgaben entspricht und welche Produktionsparameter zu anzupassen sind, damit dies in der laufenden Produktion so bleibt.
KI ist dabei selbstverständlich nicht auf die Anwendungen in der Produktion beschränkt. Auch meine Kollegen aus der Konzernforschung uns den weiteren Siemens-Divisionen arbeiten an innovativen und gleichzeitig beherrschbaren KI-Lösungen. Sei es in der Energie-, Gebäude oder Verkehrstechnik – KI wird uns in naher Zukunft auf vielen Gebieten begegnen."