Selten standen Unternehmen derart unter Druck wie derzeit. Dieses Fazit zieht eine Ende August veröffentliche Blitzumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter mehr als 3.000 Unternehmen. Sie zeichnet ein Bild der Verwüstung, das 18 Monate Pandemie, Lockdowns in wichtigen Lieferländern sowie massive Verzögerungen in der internationalen Containerschifffahrt angerichtet haben.
Drei von vier Betrieben warten momentan länger auf bestellte Waren und Rohstoffe als vor der Krise. Vier von zehn Unternehmen können deshalb Aufträge nicht abarbeiten und verlieren Umsatz. Um dies auszugleichen, müssen 60 Prozent der Betriebe mehr Zeit und Aufwand in die Planung ihrer Produktion stecken.
Termintreue gilt heute als Qualitätsmerkmal
Denn die Qualität eines Anbieters messen Kunden gerade in der Krise daran, ob dieser die von ihm zugesagten Termine einhält. Zugleich fragen sie immer häufiger Sonder- und Einzelanfertigungen nach. Das macht die Situation für Unternehmen noch komplexer. „Diese Herausforderungen meistern nur Betriebe, denen es gelingt, ihre Kapazitäten so passgenau einzusetzen, dass sie flexibel auf jede Auftragslage reagieren können“, erklärt Markus Günther, Vertriebschef der Production Division bei Inform.
Das Aachener Softwarehaus entwickelt seit über 50 Jahren Software für die Optimierung von Prozessen in der industriellen Produktion, Logistik, dem Supply-Chain-Management und der Personalplanung. Dabei setzen die inzwischen mehr als 800 Mitarbeiter vor allem auf Operations Research, Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning.
Die smarten Lösungen nutzt seit 2016 auch die Vecoplan AG, um ihre Produktionsprozesse zu planen. Der Sondermaschinenbauer aus Bad Marienberg im Westerwald entwickelt und produziert Anlagen und Maschinen, mit denen sich Produktions-, Haus- und Gewerbeabfälle zerkleinern und wiederaufbereiten lassen. Die Maschinen kommen vor allem in Sägewerken, bei der Aufbereitung von Restholz für die Pelletproduktion, dem Recycling von Kunststoffen, Papier und Karton zum Einsatz.
Um die meist sehr spezifischen technischen Anforderungen ihrer Kunden erfüllen zu können, stellen die 450 Mitarbeiter von Vecoplan eine große Zahl unterschiedlicher Varianten ihrer Maschinen her.
„Mit der von uns früher verfolgten Fertigungsplanung nach dem Prinzip der Meistersteuerung, waren wir dabei an einem Punkt angekommen, an dem wir keine weiteren Verbesserungen unserer Produktionseffizienz mehr erreichen konnten“, berichtet Michael Grieble, Leiter der Arbeitsvorbereitung bei Vecoplan. Die Möglichkeiten, die Termintreue und den Ressourceneinsatz weiter zu optimieren, seien ausgereizt gewesen.
Weniger Lagerbestände, mehr freies Kapital
Der Mittelständler entschied sich daher, die Produktionsplanungssoftware Felios von Inform einzuführen. Sie vernetzt Daten aus allen Bereichen des Unternehmens, die mit der Fertigung zu tun haben. Intelligente Algorithmen erstellen dann auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen über Kapazitäten an Maschinen sowie die an einem bestimmten Tag verfügbaren Mitarbeiter und Vorprodukte den optimalen Produktionsplan.
Da die Algorithmen die Reihenfolge der abzuarbeitenden Aufträge sowohl auf Grundlage der dafür benötigten, wie der bei Vecoplan zu einem gegebenen Zeitpunkt tatsächlich vorhandenen Ressourcen ermitteln, berechnen sie belastbare Liefertermine. Der Maschinenbauer konnte seine Termintreue daher um weitere zehn Prozent steigern und seine Beschaffung präziser an die Auftragslage anpassen. Der Lagerbestand reduzierte sich dadurch um zwölf, das darin gebundene Kapital um 16 Prozent.
Digitale Produktionsplanung verkürzt Durchlaufzeiten um bis zu 62 Prozent
Durch den Einsatz einer KI-basierten Produktionsplanung lassen sich Durchlaufzeiten insgesamt sogar um bis zu 62 Prozent verkürzen. Die Produktivität steigt um bis zu elf Prozent, ergab eine Untersuchung von Inform.
KI-basierte Systeme für die Fertigungsplanung schaffen das, weil sie mehr Einflussgrößen berücksichtigen können, als der Mensch als Planer dies kann. „Schon wenn theoretisch nur zehn Aufträge mit einer Ressource abgearbeitet werden sollen, sind in der Planung mehr als drei Millionen unterschiedliche Reihenfolgen-Varianten zu berücksichtigen“, veranschaulicht Markus Günther von Inform die Größe der Herausforderung.
Wohlgemerkt, theoretisch! Denn in der Praxis müssen Planer erheblich mehr Input-Größen und Arbeitsgänge berücksichtigen – von den vorliegenden Aufträgen und verfügbaren Kapazitäten an Maschinen, über die Urlaubssituation und den Krankenstand im Unternehmen bis zu Rüstzeiten und Transportwegen im Betrieb.
Künstliche Intelligenz in der Planung ermöglicht Losgröße 1
Sollen dann noch kleine Chargen oder Einzelanfertigungen produziert werden, wird es noch komplexer. „Denn bei kleinen Losgrößen steigt per se die Zahl der Aufträge“, erklärt Markus Günther. Wer deren Produktion nicht digital plane, stehe sich selbst auf den Füßen, warnt der Mathematiker.
Dennoch scheuen viele Unternehmen davor zurück, ihre Produktion digital und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu planen. Sieben von zehn Betrieben befürchten, dass sie die Daten dafür nicht oder nicht in der benötigten Genauigkeit haben, ergab eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers.
„Diese Sorge ist unbegründet“, versichert Markus Günther. „In der Regel halten die in den Betrieben eingeführten ERP-Systeme 90 bis 95 Prozent der für eine digitale Produktionsplanung erforderlichen Informationen vor.“ Bei den übrigen fünf Prozent handele es sich meist um Informationen, die wie Daten zum Krankenstand oder Urlaub von Mitarbeitern, zwar im Unternehmen vorhanden sind, zwar in getrennten Systemen geführt, jedoch von dort integriert werden können.
Produktionsplanungssysteme vernetzen alle Daten im Unternehmen
Deshalb vernetzt ein digitales Produktionsplanungssystem alle diese Daten auf einer Plattform. Dann können Algorithmen abgleichen, ob sämtliche Ressourcen vorhanden sind, um einen zu einem bestimmten Datum zugesagten Auftrag erledigen zu können, beziehungsweise in welcher Reihenfolge sich Bestellungen mit den kürzesten Durchlaufzeiten abarbeiten lassen.
Erkennt die KI, dass sich Liefertermine nur mit Überstunden und Sonderschichten einhalten lassen, gibt sie rechtzeitig Alarm. Registriert sie Materialengpässe, informiert sie den Einkauf mit ausreichend Vorlauf darüber, welche Teile er bis wann beschaffen muss.
Da die Algorithmen der KI-basierten Produktionsplanung Muster identifizieren und daraus Schlüsse ziehen können, erkennen sie auch, wenn Lieferanten von ihnen zugesagte Termine regelmäßig überziehen. „Statt mit dem von dem Zulieferer für eine bestimmte Bestellung avisierten Datum berechnen sie Durchlaufzeiten dann auf Grundlage dieser Erkenntnis“, erklärt Markus Günther von Inform.
Digitale Produktionsplanung ist die Grundlage zielgerichteter Investitionen
Die von den Algorithmen identifizierten Schwachstellen in den Prozessen helfen der KI jedoch nicht nur, bessere Planungsergebnisse zu erzielen. „Sie zeigen dem Unternehmen auch, für welche Aufträge es sich lohnt, neue Mitarbeiter einzustellen, ob sich die Investition in zusätzliche Maschinen rentiert, weil die Kapazitäten an den vorhandenen immer knapp sind, und mit welchem Lieferanten der Einkauf verhandeln sollte, weil dieser Liefertermine regelmäßig überzieht“, erklärt Markus Günther.
Damit eine digitale Produktionsplanung ihr volles Potenzial entfalten kann, sollten bei ihrer Einführung allerdings alle am Produktionsprozess beteiligten Abteilungen miteinbezogen werden. Denn schließlich sollen Bereiche wie der Einkauf, die Konstruktion oder der Vertrieb Hand in Hand mit der Produktion zusammenarbeiten. „Um die bestmöglichen Ergebnisse müssen außerdem die Meister und Maschinenführer aus der Produktion mit an den Tisch. Denn sie verfügen oft über nicht in Daten abgebildetes Wissen und Erfahrungen – beispielsweise zu Rüstvorgängen und der dafür erforderlichen Zeit. So lassen sich von KI und Fachwissen der Meister vorteilhaft kombinieren“, betont Markus Günther von Inform.
Wer dies beherzige, kann seine Position am Markt mit einer KI-basierten Produktionsplanung massiv stärken, ist sich Günther sicher. Denn er bleibt auch in der aktuellen Krise lieferfähig und kann Termine zusagen, auf die sich seine Kunden verlassen können. So erarbeitet er sich den Ruf, ein zuverlässiger Partner zu sein. Auf den sind seine Kunden gerade in Zeiten hohen Drucks besonders angewiesen.
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