
Auf der Plattform Hydraulic Hub von Bosch Rexroth erhalten Service-Techniker anhand der Beschreibung von Symptomen oder der Eingabe eines Fehlercodes mögliche Ursachen und Lösungsvorschläge zur Behebung. (Bild: Bosch Rexroth)
Emails schreiben, lange Dokumente zusammenfassen, Texte bearbeiten, PowerPoint Grafiken per Spracheingabe erstellen lassen: In Büroanwendungen hat die generative Künstliche Intelligenz (KI) von ChatGTP & Co. längst ihren Platz erobert. Auch in der Fabrikautomation schiebt sich KI immer prominenter in den Vordergrund. Ein Blick auf die Ankündigungen der Hannover Messe 2025 zeigt, dass nahezu alle Austeller Produkte und Lösungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) präsentieren werden Aber steckt in jedem Fall ein echter Mehrwert dahinter?
Wo bringt KI den größten Mehrwert in der Fertigung?
„Besonders leistungsfähig sind KI-Modelle in den Bereichen Qualitätsprüfung, vorausschauende Wartung und Prozessoptimierung“, ist Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW), Leibniz Universität Hannover, sicher. „Durch fortschrittliche Mustererkennung in Sensordaten oder Bildverarbeitung können solche Systeme Produktionsfehler frühzeitig identifizieren, Wartungsbedarfe präziser vorhersagen und so ungeplante Stillstände minimieren“, fasst er die Vorteile der KI aus seiner Sicht zusammen.
„Das IFW bietet Schulungen und Projekte für kleine und mittlere Unternehmen an, um diese bei der Implementierung von KI in der Produktion zu unterstützen“, wirbt Denkena. Darüber hinaus entwickelt das Institut maßgeschneiderte KI-Modelle, beispielsweise für die Span-Detektion, die Werkzeugverschleißüberwachung oder die Formfehlerprognose mit adaptiver Prozessplanung von 5-Achs-Fräsprozessen.


„Besonders leistungsfähig sind KI-Modelle in den Bereichen Qualitätsprüfung, vorausschauende Wartung und Prozessoptimierung", sagt Prof. Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW), Leibniz Universität Hannover.
Wie revolutioniert KI die Qualitätssicherung?
Auch andere wissenschaftliche Einrichtungen heben die Potenziale der KI hervor und forschen daran, wie Systeme auch mit KI adaptiver und intelligenter werden können, ohne dabei die nötigen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen zu verringern, wie Gereon Weiß, Leiter der Abteilung Automation Systems am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS, betont.
Aber er sieht auch eine klare Grenze für den Einsatz von KI: „Wir stehen vor der Herausforderung, dass es eine im Feld lernende Safe AI noch nicht gibt. Bei sicherheitskritischen Anwendungen im Feld muss aber immer nachvollziehbar sein, was die Software warum macht“, bekräftigt Weiß.


"Bei sicherheitskritischen Anwendungen im Feld muss aber immer nachvollziehbar sein, was die Software warum macht", sagt Gereon Weiß, Leiter der Abteilung Automation Systems am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS.
Welche Herausforderungen den KI-Einsatz begrenzen
Das bestätigt Hans-Joachim Müller, Marktmanager bei SEW Eurodrive. Er weist darauf hin, dass es darauf ankommt, dass die Programmierung 1:1 umgesetzt wird. „Bei einer KI ist das nicht mehr sicher, da sie ihre Entscheidungen auf der Basis von Eingangsdaten und eines Modells trifft, die wiederum variieren können.“
KI ist nicht fehlerfrei und hat ihre eigenen Herausforderungen und Einschränkungen. Darum wird sie auf absehbare Zeit nach seiner Meinung nicht für das Controlling in der Maschine, sondern für das Monitoring und andere Anwendungen rund um Maschinen und Anlagen wertschöpfend eingesetzt werden.


"Die KI ist ein Werkzeug und ersetzt nicht das Denken", sagt Hans-Joachim Müller, Marktmanager bei SEW Eurodrive.
Diese Einschränkung betrifft KI, die autonom für sicherheitskritische Aufgaben eingesetzt werden soll. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Das Fraunhofer IKS forscht in verschiedenen Projekten daran, wie KI dennoch die Produktivität von Autonomen Mobilen Robotern, Cobots oder autonom fahrenden Gabelstaplern erhöhen kann. Dazu trainieren die Wissenschaftler Modelle, deployen sie auf die Systeme und optimieren die Modelle iterativ in einer Qualitätsschleife.
„Wir beschäftigen uns dabei beispielweise mit der Prädiktion von menschlichem Verhalten in der Umgebung und können so schrittweise die Geschwindigkeit von Bewegungen situationsgerecht erhöhen oder verringern“, beschreibt Gereon Weiß diesen Ansatz, den das Fraunhofer-Institut IKS auch als Safe Intelligence für kognitive Systeme beschreibt.
Die kleine KI für die Steuerung
Auf dezentral installierte KI setzt die Keba Industrial Automation GmbH. „Bereits seit mehreren Jahren beschäftigen wir uns damit, wie wir KI demokratisierbar machen können“, erinnert sich Stefan Fischereder, Product Manager Industrial AI bei Keba. Die Lösung: Eine Machine Vision-Anwendung, die nicht mit der Cloud verbunden ist und direkt von der SPS-Steuerung angesprochen wird. „Die Rechenleistung einer SPS reicht für KI-Anwendungen nicht aus, deshalb haben wir eine Beschleuniger-Hardware in Form einer PCI-Einsteckkarte entwickelt“, beschreibt der KI-Spezialist die Lösung. Darauf ist ein verkleinertes KI-Modell für Machine Vision implementiert. „Es ist reduziert auf die wesentliche Performance, die es braucht, um neuronale Netze zu berechnen.“


"Bereits seit mehreren Jahren beschäftigen wir uns damit, wie wir KI demokratisierbar machen können", sagt Stefan Fischereder, Product Manager Industrial AI bei Keba.
Beim Keba-Modell trainieren die OEMs oder Endanwender ihre KI-Modelle selbst auf eigenen Rechnern mit Ihrem Domänenwissen. Anschließend portieren sie ihr Modell auf die industrietaugliche Hardware. „Das ist ein optimaler Schutz vor Cyberangriffen und für das eigene Know-how unserer Anwender, weil die Daten im eigenen Haus bleiben.“ Das KI-Erweiterungsmodul fügt sich in die Keba-Steuerungswelt ein und dezentralisiert die KI.
Ein Software-Stack von Keba ermöglicht es Anwendern, mit SPS-Programmiersprachen auf diese Fähigkeiten zuzugreifen. „Die Einsatzfälle reichen von Qualitätskontrolle über Sortierung und Verpackung bis zu KI-basierten Greifpunkt-Berechnungen für Roboter, etwa beim Picken vom Förderband oder beim Griff in eine Kiste.
In einem Early Acces Program hat Keba in den vergangenen Monaten verschiedene KI-Modelle trainiert und umgesetzt. Die Serieneinführung erfolgt direkt nach der Hannover Messe. „Wir werden unsere Kunden mit Consulting bei der Erstellung ihrer KI-Modelle unterstützen“, kündigt Stefan Fischereder an.
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KI-Diagnose: Symptome beschreiben - Lösungsvorschläge erhalten
Ein wichtiges Anwendungsgebiet sieht Guido Hettwer, Geschäftsleitung der Business Unit Industrial Hydraulics, Bosch Rexroth AG, im Service von Maschinen und Anlagen. „Mit KI können Maschinen in Echtzeit analysiert, Muster erkannt und Vorhersagen getroffen werden. Wartungsarbeiten lassen sich so beispielsweise proaktiv planen, bevor es zu einem Ausfall kommt.“ Diese Fähigkeit nutzt der Antriebs- und Steuerungshersteller auch in der neuen digitalen All-in-One-Plattform Hydraulic Hub für hydraulische Komponenten.
Mit dem 'Smarten Assistenten' des Hydraulic Hub erhalten Service- und Wartungstechniker innerhalb weniger Sekunden Antworten auf konkrete Fragestellungen. „Über die Online-Plattform steht Anwendenden so unser gesamtes Hydraulik- und Service-Know-how weltweit in mehreren Sprachen und in Echtzeit zur Verfügung“, hebt Guido Hettwer hervor. Die KI-gestützte 'Smarte Diagnose' gibt anhand der Beschreibung von Symptomen oder der Eingabe eines Fehlercodes mögliche Ursachen und Lösungsvorschläge zur Behebung aus.


"Mit KI können Maschinen in Echtzeit analysiert, Muster erkannt und Vorhersagen getroffen werden. Wartungsarbeiten lassen sich so beispielsweise proaktiv planen, bevor es zu einem Ausfall kommt", sagt Guido Hettwer, Geschäftsleitung der Business Unit Industrial Hydraulics, Bosch Rexroth AG.
Co-Pilot für die Automatisierung
Rockwell Automation bietet einen Co-Pilot für sein FactoryTalk Design Studio. „Er basiert auf einem Large Language Model, das speziell mit automatisierungsrelevanten Daten wie Anwendungsbibliotheken, Programmiersyntax sowie unseren Produkt- und Anwendungshandbüchern trainiert wurde. Dadurch kann das System den Kontext von Engineeringaufgaben verstehen und passende Lösungsvorschläge generieren“, zählt Gunther Sälzler auf, Director Software & Control EMEA, Rockwell Automation.
Die KI-Anwendungen unterstützen bei der Code-Generierung oder erkennen im Bereich Maintenance Anomalien. Für den Betrieb von Maschinen und Anlagen vermarktet Rockwell zwei KI-Lösungen: Factory Talk Analytics LogixAI als Softsensor zur Steuerung komplexer Anwendungen und VisionAI zur visuellen Überwachung von Produkten und deren Kennzeichnung.


"Die KI-Anwendungen unterstützen bei der Code-Generierung oder erkennen im Bereich Maintenance Anomalien", sagt Gunther Sälzler, Director Software & Control EMEA, Rockwell Automation.
KI-Tools sind effizienter, zuverlässiger und kostengünstiger
Auch der Automatisierungsspezialist Lenze setzt auf unterschiedliche Methoden der KI in den eigenen Lösungen und Engineering-Tools. Diese Tools unterstützen über den gesamten Lebenszyklus einer Maschine von der Konzeption über die Inbetriebnahme bis zur prädiktiven Wartung und der schnellen Fehlerbehebung im Betrieb. „Insgesamt ermöglichen KI-Tools eine effizientere, zuverlässigere und kostengünstigere Automatisierungslösung, die sowohl OEMs als auch Endanwendern einen erheblichen Mehrwert bieten“, betont Dr. Heiko Stichweh, Abteilungsleiter Technology, Innovation & Research bei Lenze. Aber er sieht auch Hindernisse, die noch überwunden werden müssen: „Fehlende Datengrundlage, die rechtlichen Rahmenbedingungen, aber auch fehlendes Fachpersonal sowie Berührungsängste seitens der Maschinenbauer und -betreiber.“


"Insgesamt ermöglichen KI-Tools eine effizientere, zuverlässigere und kostengünstigere Automatisierungslösung, die sowohl OEMs als auch Endanwendern einen erheblichen Mehrwert bieten", sagt Heiko Stichweh, Abteilungsleiter Technology, Innovation & Research bei Lenze.
Wie KI die Wartung verändert
Auch Maschinenhersteller beschäftigen sich intensiv mit dem Einsatz von KI in ihren Maschinen und Anlagen. Beispiel Optima packaging group GmbH, ein Hidden Champion für Anwendungen rund um das präzise Dosieren, Füllen und Verpacken anspruchsvoller, flüssiger bis fester Produkte. Neben Kameralösungen mit KI-basierter Bildauswertung für die Qualitätskontrolle sieht Benjamin Häfner, Director Industrial IT bei der Optima packaging group, auch gute Einsatzmöglichkeiten für Chatbots auf Basis von Large Language Models: „Insbesondere in der Wartung, Bedienung und Fehlerdiagnose von Maschinen erleichtern KI-gestützte Chatbots den schnellen Zugriff auf relevante Informationen.“


"Insbesondere in der Wartung, Bedienung und Fehlerdiagnose von Maschinen erleichtern KI-gestützte Chatbots den schnellen Zugriff auf relevante Informationen", sagt Benjamin Häfner, Director Industrial IT bei der Optima packaging group.
Er verweist auch auf sehr gute Ergebnisse von KI-Modellen, gibt allerdings zu bedenken, dass deren Entscheidungswege nicht immer nachvollziehbar sind. „In sicherheitskritischen Anwendungen oder stark regulierten Branchen ist jedoch der Nachweis erforderlich, dass die Modelle zuverlässig arbeiten und die Ergebnisse nachvollziehbar sind“, bekräftigt der Director Industrial AI. In einigen Branchen wie Pharma ist darum eine enge Abstimmung mit Anwendern und Behörden notwendig, um den rechtlichen Rahmen für den KI-Einsatz zu klären.
Domänenwissen wichtiger denn je
Hans-Joachim Müller von SEW Eurodrive sieht ebenfalls hilfreiche KI-Tools für zahlreiche Tätigkeiten. „Der Mehrwert hängt stark davon ab, wie gut die KI angelernt und parametriert wurde.“ Dabei geht es ausdrücklich nicht nur um KI-Kenntnisse. „Machine Learning Experten brauchen den Austausch und das Domänenwissen von Fachspezialisten“, ist Wissenschaftler Dr. Gereon Weiß überzeugt. Nur durch strukturiertes Expertenwissen kann die KI Vorteile für die Automatisierung erzeugen.
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KI ersetzt nicht das Denken
In einem weiteren Punkt sind sich Wissenschaftler und Industrievertreter einig: KI allein ist kein Werttreiber. „Dieser Mehrwert ist im Vorfeld nicht immer direkt ersichtlich. Deshalb empfehlen wir oft die Durchführung eines Proof-of-Concept für den spezifischen Anwendungsfall“ gibt Gunther Sälzler von Rockwell Automation zu bedenken. Auch Hans-Joachim Müller von SEW Eurodrive rät, vorab Kosten und Nutzen zu berechnen: „Die KI ist ein Werkzeug und ersetzt nicht das Denken. Neben der technischen Auswahl sind die Risiken und Aufwände, die nicht unerheblich sein können, gegenüber dem tatsächlichen Nutzen abzuwägen.“
überarbeitet von: Dietmar Poll
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