Lang ist’s her. Damals waren noch die Beatles auf Platz 1 der Hitparaden, wer modisch sein wollte, trug Schlaghose und der 1. FC Köln, 1860 München und Werder Bremen machten die Fußball-Meisterschaft unter sich aus. Damals in den Swinging Sixties erlebte die Antriebstechnik in der Luftfahrt die letzte disruptive Innovation – der Nebenstrom für die Gasturbine. „Bedarf ist also da“, sagt Dr. Frank Anton, Leiter eAircraft bei Siemens. Und die Luftfahrtbranche arbeitet daran, diesen Bedarf zu decken.
So sind beispielsweise Anton und sein Team gemeinsam mit Airbus dabei, den hybrid-elektrischen Antrieb in Serie zu bringen. Bis 2030 könnte der erste Prototyp mit mehr als 20 Sitzplätzen abheben. Zwischen 2030 und 2035 soll der Durchbruch geschafft sein: Maschinen mit diesem Antrieb transportieren im Regelbetrieb 60 bis 100 Passagiere über Distanzen von gut 1 000 Kilometern.
Damit das gelingt, investieren Siemens und Airbus bis 2020 mehrere hundert Millionen Euro. Einer der Gründe für diese Initiative: Die Europäische Union schreibt in der Luftfahrt eine CO2-Reduktion vor. Diese Emissionsziele sehen bis 2050 eine Senkung des CO2-Ausstoßes um 75 Prozent vor, verglichen mit den Werten des Jahres 2000. Mit herkömmlichen Vorgaben ist das unerreichbar.
Airbus und Siemens kooperieren
Noch steckt die Entwicklung in der Startphase. Im April 2016 haben Airbus und Siemens vereinbart, beim hybrid-elektrischen Antrieb zu kooperieren. „Die Zusammenarbeit mit Airbus erschließt unserem Haus neue Perspektiven und wir öffnen uns noch stärker für disruptive Innovationen“, sagt Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens. Die beiden Konzerne haben ein Team von 200 Mitarbeitern zusammengestellt. Sie arbeiten zusammen am Standort Ottobrunn.
Dort wollen die Konzerne Prototypen für verschiedene Antriebssysteme entwickeln; in Leistungsklassen von einigen 100 Kilowatt bis hin zu zehn und mehr Megawatt – also für Flugzeuge mit bis zu 100 Sitzen für lokale Flüge bis hin zur klassischen Kurz- und Mittelstrecke, für Hubschrauber oder auch unbemannte Flugzeuge.
Beide Unternehmen haben bereits 2011 gemeinsam mit dem österreichischen Unternehmen Diamond Aircraft ein erstes Flugzeug mit Hybridantrieb vorgestellt. Siemens hat seitdem einen Elektromotor für Flugzeuge entwickelt, der bei gleichem Gewicht fünfmal mehr Leistung liefert.
Die Airbus Group gewinnt seit 2014 mit dem E-Fan, einem vollelektrisch angetriebenen Zweisitzer für die Pilotenausbildung, Erfahrungen im Betrieb von Elektroflugzeugen. Mit dem geplanten E-Aircraft System House am Standort Ottobrunn werden Airbus erweiterte Kapazitäten zur schnelleren Entwicklung von Komponenten und Systemtechnologien zur Verfügung stehen. Siemens plant seinerseits, hybrid-elektrische Antriebssysteme für Luftfahrzeuge als künftiges Geschäft aufzubauen.
Doch wie funktioniert der hybrid-elektrische Antrieb? Die Gasturbine wird künftig die Leistung für den Reiseflug bereitstellen, indem sie einen elektrischen Generator antreibt. Während des Starts und des Steigflugs steuern Batterien zusätzliche Energie bei.
Elektromotoren treiben Propeller oder Fans an. Siemens-Entwickler Anton erklärt: „Die elektrischen Antriebe kann ich im Flugzeug anders verteilen, als das mit bisherigen Triebwerken möglich ist.“
Konstrukteure können aerodynamischere Flugzeuge entwickeln
Dadurch können die Konstrukteure das Flugzeug insgesamt aerodynamischer und so effizienter auslegen. „Beides bringt die Luftfahrt weiter, die um jeden Effizienzpunkt ringt“, so Anton. Die Airlines würden von großen Kosteneinsparungen profitieren. „Mehr als 50 Prozent der Lebenszykluskosten eines Flugzeugs machen die Ausgaben für das Kerosin aus“, rechnet Anton vor.
Durch den Einsatz von hybriden Elektroantrieben ließe sich der Kraftstoffverbrauch um bis zu 50 Prozent verringern, sodass die Gesamtkosten des Flugzeugs um ungefähr 25 Prozent sinken. Neben der Energieersparnis ist die Lärmbelästigung der zweite wesentliche Treiber des elektrischen Fliegens. Durch das Konzept der verteilten Antriebe können die Konstrukteure ein wesentlich leiseres Flugzeug entwickeln. Anton sagt: „Stellen Sie sich ein Flugzeug vor, dass ab dem Flughafenzaun nicht mehr zu hören ist. So eine Maschine hat keine Lärmgegner.“
Auch Wettbewerber Boeing sieht im elektrischen beziehungsweise hybrid-elektrischen Antrieb großes Potenzial für die Zukunft. Das US-Unternehmen erklärte gegenüber unserer Zeitung, dass man schon mehrere Maschinen mit dem Antrieb ausgerüstet und auch geflogen habe.
Die Vorteile liegen auf der Hand. So sollen auch schon zahlreiche Fluglinien Interesse an den hybrid-elektrischen Maschinen bekundet haben. Auf Anfrage von ‚Produktion‘ teilte Lufthansa mit, man stehe als größter Airbus-Kunde in engem Austausch mit dem Flugzeughersteller. Austrian Airlines erklärte gegenüber unserer Zeitung: „Elektromobilität steht in der kommerziellen Luftfahrt noch am Anfang. Wir verfolgen aber neue Technologien und Erkenntnisse mit großem Interesse.“
Lufthansa sei aber grundsätzlich daran interessiert, die Emissionsvermeidung voranzutreiben und der hybrid-elektrische Antrieb sei eine sehr interessante Technologie. Ohnehin habe die Fluglinie grundsätzliches Interesse an Technik, die die Loslösung von fossilen Treibstoffen möglich macht. So sei auch der hybrid-elektrische Antrieb keine Utopie oder Science-Fiction.
Gleichwohl sei der Weg zum hybrid-elektrischen Fliegen noch sehr weit. Deswegen stünden derzeit andere Techniken zur Verringerung des Treibstoffverbrauchs im Fokus. Doch letztendlich könnte aber ein Umstand einer großen Verbreitung hybrid-elektrischer Flieger bei Lufthansa im Wege stehen: Die Kranich-Airline will künftig nur noch Maschinen mit über 100 Sitzplätzen anschaffen. Siemens und Airbus sprechen allerdings von Maschinen mit bis zu 100 Sitzplätzen, die sich für den hybrid-elektrischen Antrieb eignen.
Brennstoffzelle als Flugzeug-Antrieb
Müssen also die Entwickler also noch mal draufsatteln, damit auch größere Flugzeuge hybrid-elektrisch fliegen können? Dass ein elektrischer Airbus A380 oder eine Boeing 747 einmal über den Atlantik fliegt, ist laut Anton allerdings nicht zu erwarten. Für den hybrid-elektrischen Antrieb seien eher Maschinen der Größe eines Airbus A320 ein Anwendungsfeld.
Eignet sich vielleicht ein anderer alternativer Antrieb für die Giganten der Lüfte? Wie wäre es mit der Brennstoffzelle? Technisch wäre es machbar. Professor Josef Kallo vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sagt: „Es lässt sich mit Sicherheit mit größeren Maschinen fliegen. Das Problem ist aber der Trade-off zwischen den Kosten, Reichweite und Geschwindigkeit.“ Heute liege der Trade-off bei einer Reichweite von 1 000 Kilometern, 40 bis 60 Passagieren und einer Reisegeschwindigkeit von rund 500 Kilometern pro Stunde.
Doch in die Lüfte hat es noch eine solche Maschine mit Brennstoffzelle als Antrieb noch nicht geschafft. Stand der Dinge: Die HY4, ein viersitziges Passagierflugzeug mit Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie und Elektroantrieb, ist flugtauglich. Ein Serieneinsatz wäre rein technisch in drei bis fünf Jahren machbar. Größere Maschinen mit Platz für 20 bis 60 Passagiere könnten in gut 15 Jahren in Serie gehen. Kooperationen mit Airbus, Boeing und Co. sind in Planung.
Insbesondere ein japanisches Unternehmen bekundet großes Interesse an dieser Technologie. Kein Wunder, will sich doch der Inselstaat zu den Olympischen Spielen 2020 als Hydrogen Society präsentieren. In den Kinderschuhen steckt die Brennstoffzellen-Technik für die Luftfahrt also nicht mehr.
Große Herausforderungen liegen noch vor den Entwicklern
Freilich sehen sich die Entwickler mit großen Herausforderungen konfrontiert. Kallo sagt: „Wir müssen in die mit Wasserstoffbrennstoffzellen angetriebene Variante sicher viel Entwicklungsarbeit reinstecken und diese ist auch sehr teuer.“ So müsse das Bewusstsein geschaffen werden, in diese Technik zu investieren.
Eine weitere Herausforderung ist die Betriebsweise und Betriebsart der Brennstoffzelle. Die muss im Flugzeug mit einer sehr hohen Leistung pro Gewicht, aber auch mit hoher Effizienz arbeiten. „Bisher hatten wir immer einen Trade-off zwischen Leistung und Gewicht, insbesondere wenn wir im automobilen Sektor arbeiteten, jedoch ist in der Luftfahrt viel wichtiger, beides zu erreichen“, kommentiert Kallo. Es liegt also noch Arbeit vor den Entwicklern.
Dass der große Durchbruch – bei der Brennstoffzelle wie auch beim hybrid-elektrischen Antrieb – aber kommen wird, scheinen sich sowohl Kallo, als auch Anton sicher zu sein. Vielleicht sind bis dahin auch wieder Schlaghosen hip und 1860 München steht an der Spitze der Bundesliga. Bleibt nur noch die Frage, was eher eintritt.
Gastkommentar von Prof. Günther Schuh: „Die Zukunft der Luftfahrt ist elektrisch“
Mit dem vom Luftfahrtforschungsbeirat ACARE veröffentlichten Strategiepapier FlightPath 2050 hat sich die EU zu erstrebenswerten Zielsetzungen für den zukünftigen Luftverkehr bekannt. Bereits bis 2035 soll eine erhebliche Reduktion von CO2- (um 60 %) NOx- (um 84 %) und Lärm-Emissionen (um 55 %) erreicht werden, die bis 2050 weiter vorangetrieben werden soll. Eine zentrale Schlüsseltechnologie für die Erreichung dieser gesteckten Ziele stellen elektrische Antriebe dar.
Neben dem DLR, welches durch seine Forschung hervorragende Arbeiten auf diesem Gebiet leistet, treibt auch die Kooperation von Siemens und Airbus die Entwicklung von elektrischen Antriebslösungen in großen Schritten voran. Weltweit gesehen zeigen die Aktivitäten renommierter Institutionen, wie zum Beispiel der NASA und zahlreicher Technologie-Start-ups in den USA und China ebenfalls, dass die Zukunft der Luftfahrt elektrisch ist. Insbesondere für Geschäftsreise- und Privatflugzeuge, welche Regionalflughäfen miteinander verbinden oder für Air Taxi Flugzeuge, welche langfristig gesehen in Großstädten starten und landen sollen, stellen elektrische Antriebe ein großes Potenzial dar. Das vom Mobilitätsdienstleister UBER im Oktober 2016 veröffentlichte Whitepaper, welches einen elektrischen, on-demand Luftfahrt-Taxiservice ab 2026 prognostiziert, ist hierfür nur der letzte und prominenteste Beweis.
Entscheidend für die massentaugliche Umsetzung dieser ambitionierten Konzepte sind allerdings in erster Linie Produktlösungen, welche bezahlbare Elektroflugzeuge in der Praxis ermöglichen. So sagt auch der Projektleiter des Airbus Innovationszentrums A3 im Silicon Valley, welches unter dem Projektnamen Vahana an der Umsetzung eines elektrischen und senkrechtstartenden Flugzeugs bis 2020 arbeitet: „There’s a much bigger focus here on actual productization and getting this thing out there, rather than focusing on developing really cool technology“.
Nur durch eine konsequente Design-to-Cost Entwicklung und der Sicherstellung produktionstechnisch skalierbarer Systeme, werden Elektroflugzeuge als Befähiger neuer Mobilitätskonzepte in der Zukunft zur massentauglichen Innovation.
Bei den nächsten großen Schritten der Luftfahrt kommt es derzeit, wie bei Elektro-Fahrzeugen, auf bezahlbare, emissionsarme Produkte an. Aufgrund der Komplexität dieser interdisziplinären Aufgabe und der damit verbundenen Forschungs- und Entwicklungsrisiken sollten auch unkonventionelle Wege unter früher Beteiligung der produktionstechnischen Kompetenzträger versucht werden.
Neben produktbezogener Forschungsförderung braucht es Start-ups wie H2FLY in Stuttgart oder LILIUM in München sowie Venture Capital, das auch Forschungsverbünde beschleunigt. Das neue luftfahrttechnische Center Air s.Pace auf dem RWTH Aachen Campus will beispielsweise ein ‚Silent Air Taxi‘ für weniger als 250 000 Euro in die Luft bringen. Wir müssen mehr ‚machen‘ im Sinne von Umsetzen von Produktideen in ‚Engineering Germany‘.