Die fetten Jahre sind vorbei. Für die Unternehmen der industriellen Bildverarbeitung dauerten sie gute 10 Jahre an. Doch im vergangenen Jahr brachen die Umsätze um satte sieben Prozent ein. Dabei war die Branche an Wachstumsraten von rund zehn Prozent gewöhnt und das seit über zehn Jahren. "Die europäische Bildverarbeitungsindustrie hat in den letzten zehn Jahren ein außergewöhnliches Wachstum erzielt und ist eine sehr attraktive Branche", sagte Mark Williamson, Vorstandsvorsitzender der VDMA-Fachabteilung Machine Vision anlässlich des Vision/VDMA CEO-Roundtables. Der Roundtable fand in Vorbereitung der Vision 2024 statt.
Ähnlich wie in der Bildverarbeitung sieht es in der Robotik und Automation aus – der wichtigsten Abnehmerbranche für die Bildverarbeiter - Stichwort die sehende Maschine. Auch hier war man an attraktive Wachstumsraten gewöhnt, ebenfalls seit über 10 Jahren. Die Lage änderte sich hier etwas verzögert. Statt der gewohnten 14 Prozent wie noch in 2023 erwarten die Unternehmen der Robotik- und Automation im laufenden Jahr nur noch ein Umsatzplus von 2 Prozent. Die Zahlen basieren auf Umfragen des VDMA unter seinen Mitgliedsunternehmen.
"Leider konnten wir aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Lage an die Rekorde der Vorjahre nicht anknüpfen. Obwohl wir erste Verbesserungen sehen, ist es unwahrscheinlich, dass die europäische Bildverarbeitungsindustrie vor Ende 2024 zurück auf Wachstumskurs ist." kommentiert Williamson.
Inspektion, Fehlersuche, Wartung
An eine längerfristige Stagnation glaubt in der Branche allerdings kaum einer. Die Produkte der Bildverarbeiter werden in immer mehr Bereichen eingesetzt, auch außerhalb der Fabriken. Bildverarbeitungssysteme prüfen in der Industrie die Qualität von Produkten, sind Bestandteil vieler Maschinen, steuern Abläufe, identifizieren Bauteile, lesen Codes und liefern wertvolle Prozessdaten. Durch die Fortschritte in der KI erobert die Bildverarbeitung weitere Anwendungsbereiche. Das intuitive Teach-in von Inspektionsaufgaben, die automatisierte Fehler und Anomalien-Suche und die vorausschauende Wartung werden dank KI mehr und mehr automatisiert.
Der Systemintegrator PSI Technics hat umfangreiche Erfahrung auf diesem Gebiet. Mit der Inspektion von Zügen schlossen die Digitalisierungs-Experten vor fünf Jahren ihr erstes umfangreiches Großprojekt erfolgreich ab. Manuel Kohler, Entwicklungsingenieur bei PSI Technics, berichtet: „Der Einsatz von Deep- und Machine-Learning-Systemen in der Industrie wird immer einfacher, die Akzeptanz größer.“ ChatGPT hat daran einen Anteil. Im Mittelstand zeigt sich ein gemischtes Bild. Ein Teil experimentiert mit Deep Learning oder Machine Learning in verschiedenen Anwendungsbereichen, ein Teil zögert: „Hinsichtlich der Beherrschbarkeit der Technologie gibt es auch viele Vorbehalte, trotz Vorteilen und großer Neugier im Markt“, berichtet Claudia Kirsch, Redakteurin Produktkommunikation, IDS Imaging Development Systems GmbH. Doch mit Transparenz könne man Interessenten für Anwendungen und deren sinnvolle Umsetzung sensibilisieren.
Interesse an KI-fähigen Kameras wächst
Das Vision-Unternehmen IDS hat ein KI-Gesamtsystem bestehend aus Hardware und Software im Angebot. Die Nachfrage ist groß. „Das Interesse an KI-fähigen Kameras ist groß. Wir beobachten, dass sich viele Kunden bereits intensiv mit der Technologie beschäftigen. Und das ist kein Wunder. Künstliche Intelligenz macht Anwendungen möglich, die mit herkömmlichen Methoden nur schwer oder gar nicht zu lösen sind“, so Kirsch. In der Produktion wären solche Anwendungen die Fehlererkennung bei Montageprüfungen, die Oberflächeninspektionen oder Predictive Maintainance. „KI kommt auch in der Logistik zum Einsatz, da sie mit wechselnden Umgebungssituationen zurechtkommt“, ergänzt Kirsch.
Die Verfügbarkeit von den erforderlichen großen Rechenkapazitäten in der Cloud vereinfacht den Einsatz. „Die Cloud Services für das Anlernen von KI-basierten Systemen werden immer besser“, so Kohler. Cloud-Anbieter stellen leistungsstarke Hardware stundenweise zur Verfügung, um die Trainings-Daten für die KI-Modelle hochzuladen. „Das können 100 000 Bilder oder auch nur einige wenige sein. Je nach Anwendungsfall“, sagt Kohler. Je höher die Varianz der Aufnahmen ist, desto mehr muss auch trainiert werden, bis alle Varianten eingelernt sind. Manchmal müssen Bauteile anhand verschiedener Kriterien beurteilt werden und liegen ungeordnet auf dem Band. In anderen Fällen ist die Zahl der relevanten Fehler gering und die Bauteile werden vom Roboter immer in der gleichen Position platziert. Dann sinkt die Zahl der notwendigen Beispielbilder. Inzwischen gibt es Dienstleister wie die Firma elunic, die Trainingsdaten synthetisch erzeugen. Um Beispielbilder zu generieren, nutzt elunic die CAD Daten des Herstellers.
Um ‚echte‘ Beispielbilder zu gewinnen, muss das Bildverarbeitungssystem vor Ort installiert werden und sammelt während des Produktionsbetriebes die Bilder. Diese werden anschließend in die Cloud geladen und dort klassifiziert, „gelabelt“ sagt Kohler. „Die Entwicklung einer AI-Vision-Lösung ist in erster Linie eine Frage der Datenerfassung und des Labellings“, meint auch Kirsch. Mit den gelabelten Bildern werden dann die KI-Systeme angelernt und können später selbständig die Bilddaten der Kameras und Sensoren auf dem Edge-Device auswerten. Bei neuen Produktvarianten können die Anwender im Nachgang ihr System selbst trainieren. Noch einfacher sind Systeme für das Erkennen von Anomalien. Da reicht es fehlerfreie Teile anzulernen und alles, was davon abweicht, ist automatisch ein fehlerhaftes Teil.
Laut Kohler ist IDS einer der ersten Kamerahersteller mit KI onboard. „Die KI wird direkt auf den Kameras ausgeführt, die somit als intelligente Edge Devices agieren“, so Kirsch. IDS möchte den Anwendern den Einstieg in die Technologie so einfach wie möglich machen. Durch die Nutzung von KI erhalten sie Zugriff auf die Methoden Klassifikation, Objekterkennung und Anomalie-Erkennung. „Wir sind außerdem in der Lage, die Ausführung von KI auf unterschiedliche Hardware zu skalieren“, so Kirsch. Die Kamera IDS NXT malibu verfügt über on-camera KI, Live-Streaming in 4K und Kompression. Dank ihres speziellen Chips lassen sich Bildanalysen in hoher Geschwindigkeit, also mit mehr als 25 fps, durchführen und bspw. als Live-Overlays in komprimierten Videostreams über das RTSP-Protokoll ausgeben.
„Bei vielen Fehlertypen kann eine KI-Lösung wirtschaftlich interessanter sein, als jede Variante durch spezielle Bildverarbeitungsalgorithmen einzuprogrammieren“, sagt Kohler.
Bildverarbeitung in der Halbleiterindustrie
Ein weiterer Anwendungsmarkt öffnet sich für die Vision-Anbieter in der Halbleiterindustrie. Sie profitieren von der steigenden Nachfrage nach Halbleiterprodukten und der Deglobalisierung. „Die Halbleiterhersteller reagieren auf die Nachfrage und investieren stark in ihre Fabriken. Dafür benötigen sie Anlagen, die schneller und genauer Halbleiter produzieren können“ berichtet Torsten Wehner, Produktmanager Baumer. In langjähriger Zusammenarbeit mit Kunden aus dieser Branche hat Baumer Produkte entwickelt, die in der Halbleiterindustrie sehr gut einsetzbar sind. Der hochkomplexe Prozess der Chip-Herstellung verlangt den Vision-Lösungen einiges ab.
„Die immer kleiner werdenden Strukturen in einem Halbleiterchip führen dazu, dass diese Halbleiter mit höheren Wellenlängen als bisher üblich inspiziert werden müssen und die Kameras dafür geeignete Bildaufnahmesensoren nutzen müssen“, erklärt der Produktmanager. Eine weitere Herausforderung seien laut Wehner die langen Projektlaufzeiten. „Es kann manchmal Jahre dauern, bis eine Kamera in einer Halbleiteranlage qualifiziert ist und in Serie geht“, so der Produktmanager. Die Balance zwischen „die Kamera bleibt, wie sie qualifiziert wurde“ und Innovationen in die Kamera zu releasen, ist nicht immer einfach umsetzbar. „Neben den technischen Herausforderungen stehen auch die Serienstabilität, die Lieferperformance, die Langzeitverfügbarkeit im Vordergrund. Dies wird zum Beispiel durch regelmäßige Audits unserer Kunden gegengeprüft und durch unsere Baumer internen Prozesse abgesichert“, so Wehner.
Bildverarbeitung in der Halbleiterindustrie
Kameras in Messsystemen für die Qualitätssicherung bei der Wafer-Herstellung müssen eine sehr hohe Temperaturstabilität und Messgenauigkeit aufweisen. Für die VCXG.SWIR.XC Kameras hat Baumer ein eigenes Kühlkonzept entwickelt. „Einzigartig an unserer Lösung ist das kamerainterne Wärmemanagement, das Halbleiterherstellern große Vorteile verschafft. Die Kamerasysteme messen genauer und sind deutlich schneller einsatzfähig. Konkret unterstützt das innovative Kühlkonzept die notwendige Bildqualität, und die sehr stabile Sensorpositionierung in den Kameras führt zu sehr geringen Messtoleranzen. Das patentierte Gehäuse mit integriertem Kühlkanal spielt dabei eine große Rolle“, erklärt Wehner. Denn bei Messungen im µm Bereich kann die Wärme nun vom Objektiv ferngehalten werden. Dadurch wird eine thermische Verschiebung des Linsensystems vermieden und ein thermisches Einschwingen des Systems auf wenige Sekunden reduziert. Eingesetzt werden die Kameras zum Beispiel für das Waferbonding. Hier werden aufgebrachte Passmarken in den Siliziumscheiben erkannt und für das Bonden zusammengeführt. Ein weiterer Einsatzbereich der neuen VCXG.SWIR.XC Kameras ist die Vermessung von feinsten Strukturen zur Qualitätsüberwachung.
Doch nicht nur in der Halbleiterindustrie sorgt die Vielzahl an hochspezialisierten Vision-Lösungen für größere Autonomie, Qualität, Produktivität und Sicherheit. Die Fachmesse Vision im Oktober bildet das gesamte Spektrum der industriellen Bildverarbeitung ab und soll, so die Veranstalter, zu einer baldigen Trendwende in beitragen