Industrie unter Druck

Ausbildungszahlen in der Industrie brechen ein

Die wirtschaftliche Krise zeigt massive Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt in Industrie und Handel. Zahlen und Stimmen belegen: Der Nachwuchs bleibt aus – mit gefährlichen Langzeitfolgen für den Standort Deutschland.

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Firmen brauchen fähigen Nachwuchs, aber die Lage auf dem Ausbildungsmarkt verschlechtert sich mit der wirtschaftlichen Krise im Land.
Firmen brauchen fähigen Nachwuchs, aber die Lage auf dem Ausbildungsmarkt verschlechtert sich mit der wirtschaftlichen Krise im Land.

Wirtschaftliche Flaute trifft den Nachwuchs

Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist in Deutschland erneut rückläufig – und besonders die Industrie trifft dieser Trend mit voller Wucht. Laut aktuellen Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sank die Gesamtzahl der Ausbildungsverträge im laufenden Jahr um 10.300 auf rund 476.000. Damit setzt sich der Negativtrend fort, der bereits im Vorjahr zu beobachten war – und der Bruch mit der Erholung nach der Corona-Pandemie ist damit deutlich manifestiert.

Besonders kritisch zeigt sich die Entwicklung in Industrie und Handel. Während in den sogenannten freien Berufen – etwa bei medizinischen Fachangestellten oder Rechtsanwaltsfachangestellten – ein Plus von 2.200 neuen Verträgen registriert wurde und auch das Handwerk mit einem moderaten Zuwachs von 500 Ausbildungsverträgen leicht zulegen konnte, musste die Industrie einen Rückgang von 12.600 Ausbildungsplätzen verkraften.

Ausbildungsangebot schrumpft dramatisch

Auch die Angebotsseite zeigt klare Bremsspuren. Das BIBB spricht von einem "deutlich eingebrochenen" Angebot an Ausbildungsplätzen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 25.300 Stellen weniger gemeldet – ein Rückgang um 4,6 Prozent. Konkret waren 2025 nur noch rund 530.300 Ausbildungsstellen registriert.

Diese Entwicklung ist alarmierend, denn sie deutet nicht nur auf eine kurzfristige Zurückhaltung der Unternehmen hin, sondern auf strukturelle Herausforderungen, die sich durch die wirtschaftliche Gesamtlage verschärfen.

Weniger unbesetzte Stellen, mehr chancenlose Bewerber

Ein Blick auf das sogenannte Passungsproblem zeigt, wie komplex die Lage tatsächlich ist. Obwohl Betriebe häufig über unbesetzte Ausbildungsplätze klagen, scheint auch hier Bewegung in die Statistik zu kommen. Zum Stichtag 30. September waren rund 54.400 Ausbildungsstellen unbesetzt – 15.000 weniger als im Vorjahr.

Doch dieser Rückgang täuscht nicht über ein anderes Problem hinweg: Der Anteil junger Menschen, die keinen Ausbildungsplatz finden konnten, ist deutlich gestiegen. Laut BIBB gab es rund 84.400 Bewerberinnen und Bewerber, die trotz aktiver Suche keinen Ausbildungsplatz erhalten haben – ein Anstieg um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt dieser Wert auf dem höchsten Stand seit dem Jahr 2010.

Fachkräftesicherung gerät ins Wanken

Für Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, steht fest: „Die negative Entwicklung am Ausbildungsmarkt ist eine direkte Folge der angespannten wirtschaftlichen Lage.“ Die Unternehmen reduzierten angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit ihr Ausbildungsangebot – mit gravierenden Folgen für die jungen Menschen, aber auch für die langfristige Fachkräftesicherung.

Esser warnt ausdrücklich vor den Konsequenzen eines Rückzugs aus der Ausbildung: „Wer heute nicht ausbildet, dem fehlen morgen die Fachkräfte.“ Der Appell an die Unternehmen, gerade jetzt in die berufliche Bildung zu investieren, ist deutlich. Doch angesichts von Inflation, geopolitischer Unsicherheit und schwächelnder Konjunktur tun sich viele Industriebetriebe schwer, diesem Aufruf zu folgen.

Verlagerung der Ausbildungsbereitschaft

Die Zahlen legen offen, dass es eine Verlagerung innerhalb des Ausbildungsmarktes gibt. Während einige Sektoren wie das Handwerk oder freie Berufe stabile oder steigende Ausbildungszahlen verzeichnen, gerät insbesondere die Industrie als klassischer Ausbilder zunehmend unter Druck.

Diese Verschiebung birgt Risiken: Denn während sich bestimmte Bereiche besser an veränderte Rahmenbedingungen anpassen können, sind gerade große industrielle Betriebe auf ein langfristiges, systematisch ausgebildetes Fachkräfteangebot angewiesen. Der Rückgang der Ausbildungszahlen bedeutet hier nicht nur einen personellen Engpass, sondern kann auch technologische Entwicklungen bremsen und Innovationspotenzial hemmen.

Warnzeichen mit Signalwirkung

Die Situation am Ausbildungsmarkt ist ein Indikator für die wirtschaftliche Gesamtverfassung – und ein Frühwarnsystem für künftige Engpässe im industriellen Wertschöpfungsprozess. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass nicht nur kurzfristige Einflüsse wie die Pandemie oder konjunkturelle Schwankungen den Markt beeinflussen, sondern dass langfristige strukturelle Probleme zu Tage treten.

Die sinkende Zahl an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen und das gleichzeitig sinkende Angebot an Stellen zeigen deutlich, dass sich Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zurückziehen – und damit eine gefährliche Spirale in Gang setzen.

Mit Material der dpa

FAQ – Ausbildungsmarkt in der Industrie

  • Wie stark ist der Rückgang bei Industrie und Handel? - Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge sank hier um 12.600.
  • Gab es auch Bereiche mit steigenden Ausbildungszahlen? - Ja, in freien Berufen (+2.200) und im Handwerk (+500) wurden mehr Verträge abgeschlossen als im Vorjahr.
  • Wie entwickelt sich das Angebot an Ausbildungsplätzen insgesamt? - Das Ausbildungsplatzangebot sank um 25.300 Stellen auf rund 530.300 – ein Minus von 4,6 Prozent.
  • Warum sinken die Ausbildungszahlen in der Industrie? - Hauptursache ist die angespannte wirtschaftliche Lage, die Unternehmen dazu veranlasst, weniger Ausbildungsplätze anzubieten.
  • Was sagt das BIBB zur aktuellen Lage? - BIBB-Präsident Esser spricht von einer direkten Folge der wirtschaftlichen Krise und warnt vor langfristigen Fachkräfteengpässen.