Seit meiner ersten großen Schularbeit in der 10. Klasse 1977 über ein Stellwerk der Bahn höre ich die Aussage, Güter gehören auf die Schiene. Ich selbst war viele Jahre überzeugt, genauso muss es sein. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob das der grundsätzlich richtige Weg ist.
Seit Jahren liegt die Gütertransportleistung auf der Straße um das 3,5 bis 4-fache über dem der Schiene. Sind wir überzeugt, dass wir mit dem Ausbau der Schiene hieran schnell etwas ändern? Die Initiative „Allianz pro Schiene“ hat gerade wieder die einseitige und nicht übergreifende Förderung der Verkehrsträger angeprangert. Die Kritik ist berechtigt und ohne Zweifel hinken wir im Ausbau unserer Infrastruktur massiv hinterher. Im analogen und digitalen Verkehrswegebau sind wir viel zu langsam. Nur wie können wir das aufholen? An welchen Stellhebeln sollen wir jetzt ansetzen?
Die nachfolgenden Gedanken sind eher Überlegungen als fertige Lösungen und trotzdem sollten wir intensiv darüber nachdenken. In den Unternehmen sind Logistik und Transport wichtige Themen und mehrheitlich fällt die Entscheidung pro Lkw. Zum einem natürlich, weil mit dem Lkw ein Punkt zu Punkt Transport ohne Umladung möglich ist. Aber der Lkw ist vor allem sehr flexibel und ermöglicht den Ausgleich von Schwankungen in der Disposition und Produktion. Zur Not kommt dann schnell noch eine Sonderfahrt hinzu, natürlich auch mit dem Lkw.
Ist der Schienenausbau der richtige Stellhebel für die Zukunft?
Nach unseren Erfahrungen gibt es noch viele Potenziale im gesamten Logistik- und Produktionsverbund. Industrie 4.0 eröffnet viele Möglichkeiten, wenn wir Vertrauen in die Technologie gewinnen. Ein sich selbst steuernder, digitalisierter Logistik- und Produktionsverbund kann nur noch in den Ergebnissen gedanklich nachvollzogen werden. Und manuell mit Excel nachrechnen funktioniert auf keinen Fall. Theoretisch wissen wir alles, jetzt ist die flächendeckende Umsetzung von Industrie 4.0 gefragt. Als „Belohnung“ steigt die Liefertreue bei gleichzeitiger Erhöhung der Flexibilität und wir schaffen die Voraussetzungen für den Transport von Gütern mit einem starren Verkehrssystem wie der Bahn oder dem Schiff.
Damit ist die Bahn am Zug. Erhöhung der Transportleistung auf der Schiene, wie schnell ist das umsetzbar? Ich habe einen Riesenrespekt vor den Leistungen der Deutschen Bahn. Das nur mal so nebenbei! Aber ganz ehrlich, wie schnell bekommen wir das hin? Wo wir doch länger für die Rheintalstrecke brauchen als die Schweiz für den neuen Gotthard-Tunnel, von der Brenner-Route gar nicht zu reden.
Und jetzt kommt wieder der Punkt vom Anfang. Ist der massive Ausbau der Schiene der richtige Stellhebel für die Zukunft? Haben wir in der Zwischenzeit nicht neue Möglichkeiten. Viele sehr kluge Leute sagen, das autonome Fahren kommt in zehn bis 20 Jahren. Ich behaupte für den Nutzfahrzeugbereich und die Autobahnen können wir es schneller schaffen.
Was es mit "Platooning" auf sich hat
„Platooning“ (von eng. Platoon für einen militärischen Zug, im Deutschen auch als elektronische Deichsel bezeichnet) ist ein spannendes Konzept. Ähnlich wie Industrie 4.0 schon seit vielen Jahren erforscht, aber es kommt nur sehr schwer in die Umsetzung. Woran hängt es? Am mangelnden Vertrauen, dass ein digitales System zuverlässig ist und der Faktor Mensch aus dem Prozess genommen wird. Im Grunde geht es wieder um Vertrauen. Die Vorteile der Digitalisierung sind die Erhöhung der Auslastung der Verkehrswege, Verkürzung der Transportzeiten und die Konzepte passen wunderbar zum elektrischen LKW mit Stromabnehmer auf der Autobahn.
Kann ein solches Szenario schneller umgesetzt werden als der Ausbau der Schiene? Technisch auf jeden Fall und die gesetzlichen Hürden müssen wir anpacken und lösen.
Digitalisierung ist der Schlüssel, um unsere Verkehrs- und Umweltprobleme zu lösen. Auf der einen Seite eine massive Verbesserung der logistischen Leistungen in den Produktions- und Logistiknetzwerken, auf der anderen die Erhöhung der Gütertransportleistung auf der Straße und Schiene. Und ganz nebenbei sparen wir in diesen Szenarios auch noch massiv Energie ein.
Wenn die Menschen in der Produktion das Vertrauen in Industrie 4.0 haben, sollten es die Transporteure auch fassen. Die juristischen Themen kann man lösen, wenn man will.
Das ist unser Kolumnist Kai-Olaf Dammenhain
- Geschäftsführer beNIMBL GmbH – Digital Advisory Techedge Group
- 60 Jahre alt, Maschinenbau studiert in München mit Fokus R&D und Produktion
- Über 30 Jahre Berufserfahrung in der Industrie und Beratung
- Lehraufträge an Fachhochschule und DHBW, TUM Alumni und Mitglied TUM Mentoring Program