Industriestrompreis: Warum er zur Schicksalsfrage wird
Der Industriestrompreis entscheidet über die Zukunft der energieintensiven Industrie in Deutschland. Ab 2026 will die Bundesregierung den Brückenstrompreis einführen – doch kann er den Standort wirklich retten? Eine Analyse über Kosten, Chancen und Risiken.
Der Industriestrompreis wird zum Prüfstein der deutschen Industriepolitik. Was bringt der Brückenstrompreis ab 2026 – Rettung oder teure Atempause?(Bild: Adrian Grosu - stock.adobe.com - KI-gereneriert)
Anzeige
Kaum ein anderer Kostenfaktor prägt die deutsche Industrie so stark wie der Strompreis. Seit dem Wegfall der EEG-Umlage und den Folgen des russischen Angriffskriegs ist Energie zur entscheidenden Standortfrage geworden. Besonders für die Chemie-, Metall- oder Papierindustrie hängt die Wettbewerbsfähigkeit direkt vom Industriestrompreis ab.
Die Diskussion um seine Höhe, Struktur und mögliche Entlastungen zieht sich daher wie ein roter Faden durch Politik und Wirtschaft – und spiegelt die Herausforderungen der deutschen Energiewende wider.
Anzeige
Was genau ist der Industriestrompreis?
Unter Industriestrompreis versteht man zweierlei:
Den statistischen Industriestrompreis – also den realen Durchschnittspreis, den Industrieunternehmen für ihren Strom zahlen. Er setzt sich aus Börsenpreis, Netzentgelten, Steuern und weiteren Abgaben zusammen. Laut Modellrechnungen der Bundesnetzagentur lag dieser 2024 bei durchschnittlich 16,77 ct/kWh; für Unternehmen mit reduzierten Abgaben bei 10,47 ct/kWh. Mittelständische Betriebe zahlten 2025 laut BDEW im Schnitt 17,8 ct/kWh - je nach Region und Unternehmensgröße.
Den politischen Industriestrompreis – ein von der Bundesregierung geplantes, befristetes Entlastungsinstrument. Es soll energieintensive Betriebe durch subventionierte Tarife stützen. Unternehmen, deren Stromkosten mindestens 14 Prozent der Bruttowertschöpfung ausmachen und deren Jahresverbrauch über 1 GWh liegt, können künftig profitieren. Die EU erlaubt dabei Preisnachlässe von bis zu 50 Prozent auf den Großhandelspreis – allerdings nur für die Hälfte des Verbrauchs und maximal bis 2030.
Diese doppelte Bedeutung führt oft zu Verwirrung. Im Folgenden geht es um beides: den realen Preis und die politische Stellschraube.
Wie setzt sich der Industriestrompreis zusammen?
Vier Kostenblöcke bestimmen den Preis, den Industrieunternehmen tatsächlich zahlen:
Börsenpreis: Nach den Turbulenzen auf dem Energiemarkt explodierten die Großhandelspreise. 2025 lag der Einkaufspreis laut BDEW im Schnitt bei 18 ct/kWh.
Netzentgelte: Sie decken Bau, Betrieb und Ausbau der Stromnetze. 2024 betrugen sie für die Industrie durchschnittlich 4,12 ct/kWh, für Gewerbe und Dienstleistungen sogar über 9 ct/kWh.
Steuern: Die Stromsteuer liegt regulär bei 2,05 ct/kWh. Für produzierende Unternehmen und Landwirte wird sie auf das EU-Mindestmaß von 0,05 ct/kWh reduziert – eine Entlastung um etwa 3 Mrd. € jährlich.
Abgaben: Konzessionsabgabe und Offshore-Netzumlage variieren je nach Region. Die EEG-Umlage wurde 2022 abgeschafft, doch die Kosten für den Ausbau der Netze tragen weiterhin alle Verbraucher.
Anzeige
Energieintensive Branchen durch Strompreis unter Druck
Die hohen Strompreise treffen vor allem die energieintensive Industrie, die zugleich das Rückgrat der deutschen Wertschöpfung bildet.
Laut ifo-Institut erwirtschafteten Chemie-, Metall-, Papier-, Glas-, Keramik- sowie Kokerei- und Mineralölindustrie 2021 rund 510 Mrd. € Umsatz – 22 Prozent der gesamten Industrie. Sie beschäftigen 925 000 Menschen und verbrauchen 77 Prozent der industriellen Energie in Deutschland.
Anzeige
Chemische Industrie: Stromintensive Verfahren wie Elektrolyse oder Destillation machen Energie zur Kostenfrage. Mehr als 15 Prozent der Bruttowertschöpfung entfallen hier auf Energiekosten.
Metallproduktion: In Aluminiumhütten oder Stahlwerken treiben schon kleine Preisänderungen die Produktionskosten nach oben. 14 MWh Strom pro Tonne Aluminium – jeder Cent zählt.
Papierindustrie: Strom- und gasintensive Prozesse verschärfen den Kostendruck, Investitionen in Recyclingtechnologien geraten ins Stocken.
Glas- und Keramikindustrie: Dauerbetrieb und hohe Ofentemperaturen machen flexible Stromnutzung nahezu unmöglich.
Mineralölverarbeitung: Neben hohen Energiekosten belastet die Transformation weg von fossilen Brennstoffen.
Der „Brückenstrompreis“ als Kriseninstrument:Schon 2023 brachte die SPD gemeinsam mit Gewerkschaften einen Brückenstrompreis von 4 bis 6 ct/kWh ins Spiel – finanziert aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Ziel: eine befristete Entlastung für energieintensive Unternehmen. Die FDP lehnte das Konzept als Markteingriff ab.
EU-Vorgaben und nationale Umsetzung
Anzeige
2024 gab die EU-Kommission grünes Licht: Förderfähig sind bis zu 50 Prozent des Großhandelspreises für die Hälfte des Jahresverbrauchs, jedoch nicht unter 50 € pro MWh. Deutschland plant den Start ab 2026, begrenzt auf drei Jahre. Rund 2 000 Unternehmen sollen profitieren, das jährliche Fördervolumen liegt bei etwa 1,5 Mrd. €.
Strompreiskompensation und Super-Cap
Parallel läuft die sogenannte Strompreiskompensation weiter, die indirekte CO₂-Kosten des Emissionshandels ausgleicht. Das BMWK weitete 2024 die Förderung aus – auch kleinere Unternehmen profitieren. Zudem bleibt der „Super-Cap“ als zusätzliche Beihilfe erhalten.
Anzeige
Steuererleichterungen und Netzentgelte
Die Bundesregierung senkte 2025 die Stromsteuer dauerhaft auf das Mindestmaß für produzierende Betriebe und will die Netzentgelte bis 2030 mit jährlich 6,5 Mrd. € stabilisieren. Damit soll eine kurzfristige Entlastung gelingen, ohne neue Dauersubventionen einzuführen.
Der Begriff „Super-Cap“ beim Strompreis bezeichnet eine Deckelungsregelung für besonders energieintensive Unternehmen in Deutschland, die im internationalen Wettbewerb stehen. Ziel ist es, diese Unternehmen vor stark schwankenden oder besonders hohen Stromkosten zu schützen, insbesondere in Bezug auf die „indirekten CO₂-Kosten“, also Zusatzkosten aus dem europäischen Emissionshandel, die über die Strompreise anfallen.
Der Super-Cap begrenzt die zu kompensierenden indirekten CO₂-Kosten auf maximal 1,5 Prozent der Bruttowertschöpfung eines Unternehmens. Dies betrifft vor allem Unternehmen aus Branchen wie Stahl, Chemie oder Aluminium, bei denen Strom einen erheblichen Anteil an den Produktionskosten ausmacht.
Der Super-Cap wird im Rahmen der sogenannten Strompreiskompensation für rund 90 der stromintensivsten Unternehmen angewendet; insgesamt profitieren rund 350 wettbewerbsstarke Unternehmen vom Gesamtpaket.
Ab 2024 soll der sogenannte „Sockelbetrag“ beim Super-Cap entfallen; zuvor mussten Unternehmen einen Anteil der indirekten CO₂-Kosten selbst tragen, der nicht kompensiert wurde.
Durch die aktuellen Maßnahmen sollen die Stromkosten für betroffene Unternehmen um mehrere Cent pro Kilowattstunde reduziert werden, was im internationalen Vergleich die Wettbewerbsfähigkeit sichern soll.
Die Kosten, die durch die Super-Cap-Deckelung für Industriekunden entfallen, tragen indirekt die anderen Stromverbraucher in Deutschland, d.h. private und weniger stromintensive Unternehmen.
Die Super-Cap-Regelung gilt nur für energieintensive Unternehmen mit entsprechend hohem Stromverbrauch und entsprechender Bruttowertschöpfung – sie ist also eine zielgerichtete Entlastung zur Standortsicherung.
Kritik an der geplanten Entlastung durch einen Industriestrompreis
Anzeige
Ökonomen und Mittelstandsvertreter warnen vor Wettbewerbsverzerrungen: Ein gedeckelter Preis könne Anreize schaffen, Verbrauch künstlich zu erhöhen, um in die Förderung zu rutschen. Zudem gilt die Regelung nur für Unternehmen mit mindestens 14 Prozent Energieanteil an der Wertschöpfung – viele Mittelständler blieben außen vor. Auch die Bürokratie ist ein Streitpunkt: Der Nachweis energiebezogener Investitionen verursacht erheblichen Aufwand.
Der Bundesrechnungshof kritisiert außerdem die Belastung des Haushalts: Allein die Stabilisierung der Netzentgelte kostet jährlich 6,5 Mrd. €, die Brückenförderung weitere 4 Mrd. € bis 2029. Ob der Staat diese Ausgaben langfristig tragen kann, bleibt offen.
Langfristige Perspektiven: Mehr Wettbewerb durch grüne Energie
Trotz aller kurzfristigen Entlastungen sind sich Fachleute einig: Dauerhaft sinken wird der Industriestrompreis nur durch mehr Angebot aus erneuerbaren Energien und eine stärkere Netzinfrastruktur. Deutschland will den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 80 Prozent steigern. Das ifo-Institut erwartet eine Verdopplung des Strombedarfs bis 2045. Notwendig sind schnellere Genehmigungen, mehr Stromspeicher und flexible Verbraucher. Eine Reform der Netzentgelte könnte zudem regionale Unterschiede ausgleichen. Einige Bundesländer plädieren für eine bundesweite Umlage, andere wollen energieintensive Betriebe stärker beteiligen.
Stromsteuerreform als mögliche Ergänzung
Industrievertreter fordern eine generelle Absenkung der Stromsteuer für alle Verbraucher auf das EU-Mindestniveau. Eine Halbierung könnte den Preis um bis zu zwei Cent je Kilowattstunde senken – allerdings um den Preis milliardenschwerer Haushaltsbelastungen.
Fazit: Der Industriestrompreis als Lackmustest der Industriepolitik
Der Industriestrompreis bleibt Prüfstein der deutschen Energie- und Standortpolitik. Ab 2026 soll er als „Brückenlösung“ greifen, um besonders stromintensive Betriebe kurzfristig zu entlasten. Doch ohne strukturelle Reformen wird er keine Dauerlösung sein. Langfristig zählt nur eines: günstiger, sauberer und sicherer Strom – durch mehr Erneuerbare, effiziente Netze und moderne Speichertechnologien. Erst wenn diese Basis steht, kann der Industriestrompreis tatsächlich zum Motor einer wettbewerbsfähigen, klimaneutralen Industrie werden.
FAQ: Industriestrompreis in Deutschland
Digitalisierung trifft Energie – und soll zu einem Gewinnmodell für den Maschinenbau werden, anstatt unter hohen Stromkosten zu leiden.(Bild: Ilja - stock.adobe.com)
Was versteht man unter dem Industriestrompreis? Der Begriff hat zwei Bedeutungen: Erstens bezeichnet er den statistischen Durchschnittspreis, den Industrieunternehmen für Strom zahlen – inklusive Börsenpreis, Netzentgelten, Steuern und Abgaben. Zweitens steht er für ein politisches Instrument: einen staatlich subventionierten Stromtarif, der besonders energieintensive Betriebe entlasten soll.
Wie hoch ist der aktuelle Industriestrompreis? 2024 lag der durchschnittliche Industriestrompreis laut Bundesnetzagentur bei 16,77 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh). Unternehmen mit reduzierten Abgaben zahlten im Schnitt 10,47 ct/kWh, Mittelständler 2025 etwa 17,8 ct/kWh.
Wer soll vom politischen Industriestrompreis profitieren? Profitieren sollen Unternehmen, deren Stromkosten mindestens 14 Prozent der Bruttowertschöpfung ausmachen und deren Jahresverbrauch über 1 Gigawattstunde (GWh) liegt. Rund 2.000 Betriebe sollen ab 2026 entlastet werden.
Wie lange gilt der Industriestrompreis? Die EU erlaubt eine befristete Förderung über drei Jahre, spätestens bis 2030. Ab 2026 soll der Preis in Deutschland eingeführt und über den Klima- und Transformationsfonds finanziert werden.
Wie hoch ist die Förderung? Gefördert werden kann bis zu 50 Prozent des Großhandelspreises – für maximal die Hälfte des Jahresverbrauchs. Der Mindestpreis liegt bei 50 Euro pro Megawattstunde (MWh).
Warum ist der Industriestrompreis so wichtig? Weil Stromkosten in vielen energieintensiven Branchen einen erheblichen Anteil der Produktionskosten ausmachen. Hohe Preise gefährden die Wettbewerbsfähigkeit und führen zu Produktionsverlagerungen ins Ausland.
Welche Branchen sind besonders betroffen? Vor allem die Chemie-, Metall-, Papier-, Glas- und Keramikindustrie sowie die Kokerei- und Mineralölverarbeitung. Diese Branchen verbrauchen rund 77 Prozent der industriellen Energie in Deutschland.
Welche Kritik gibt es? Ökonomen warnen vor Wettbewerbsverzerrungen und hoher Bürokratie. Zudem drohen langfristig Belastungen des Bundeshaushalts – allein die Entlastungen bei Netzentgelten kosten jährlich über 6,5 Milliarden Euro.
Welche Alternativen gibt es langfristig? Langfristig lässt sich der Industriestrompreis nur durch mehr Strom aus erneuerbaren Energien, effizientere Netze und Stromsteuerreformen senken. Ziel der Bundesregierung ist ein Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent bis 2030.