Kaum ein Gesetz hat in letzter Zeit so stark polarisiert polarisiert wie das Lieferkettengesetz. Der Regierungsentwurf scheint die Fronten zu spalten. Ab 2023 sollen Unternehmen die Einhaltung der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette verantworten. Was zunächst nur für Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Beschäftigte gilt, soll später auch Firmen ab 1.000 Beschäftigten betreffen.
„Die Verantwortung der Unternehmen soll sich entsprechend des neuen Gesetzes auf die gesamte Lieferkette erstrecken, abgestuft nach den Einflussmöglichkeiten“, schreibt die Bundesregierung in einer Mitteilung zum Lieferkettengesetz. „Die Pflichten müssen durch die Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern umgesetzt werden. Mittelbare Zulieferer werden einbezogen, sobald das Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene substantiierte Kenntnis erhält“, heißt es weiter.
VDMA: Gesetz betrifft auch 20-Mann-Betrieb
VDMA-Chef Thilo Brodtmann kritisiert im Interview gegenüber unserem Schwesterportal TECHNIK+EINKAUF, dass das Gesetz einen „weitreichenden Eingriff in den Mittelstand“ darstelle. Kleine und mittelständische Unternehmen sollten von den Regelungen verschont bleiben, erläutert er. Dies stehe zwar auf dem Papier, die Realität sehe aber ganz anders aus: „Wenn ein großes Unternehme seine Lieferkette bis ins kleinste Detail kontrollieren muss, dann kommt es auch irgendwann bei einem 20-Mann-Betrieb an. Und dann muss der auf einmal nachweisen, wo und wie er seine Rohstoffe bezieht“, argumentiert er.
Die Verantwortung für die Überwachung der Lieferketten liegt laut Brodtmann eigentlich in der Politik. Er betont, es sei eine politische Aufgabe, in Verhandlungen mit anderen Ländern dafür zu sorgen, dass jedes Land seine Rechte und Pflichten einhalte. „Mit der Einführung des Lieferkettengesetzes wird die Verantwortung auf die Unternehmen umgebügelt“, sagt er.
Auch der BDA ist skeptisch
Der Arbeitgeberverband (BDA) äußert ebenfalls Bedenken hinsichtlich des Lieferkettengesetz. Arbeitgeberpräsident des BDA, Dr. Rainer Dulger, erklärt in einer Pressemitteilung: „Ein Gesetz zur Regulierung der menschenrechtlichen Verantwortung ist und bleibt überflüssig, da viele Unternehmen sich seit Jahren engagieren und im Ausland wesentlich zu höheren Standards, besserer Bildung und somit zu Wachstum und Wohlstand beitragen. Die deutsche Wirtschaft steht uneingeschränkt zu ihrer menschenrechtlichen Verantwortung.“
Problematisch sei für Dulger vor allem, dass „der Gesetzesentwurf mit heißer Nadel gestrickt wurde“ und einige offene Fragen aufwerfe. Die geplanten vorgaben seien insgesamt zu weitreichend und „mit ihrer Tragweite nicht handhabbar.“
Prof. Dr. Frank Ebinger ist Forscher für nachhaltigkeitsorientiertes Innovations- und Transformationsmanagement an der Technischen Universität in Nürnberg. Im Interview sagt er, er ist froh, dass der Entwurf des Lieferkettengesetzes noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wurde.
Das Gesetz sei notwendig, da positive Effekte in Deutschland oft auf dem Rücken anderer Länder getragen würden. „Die Verantwortung hört nicht an der Unternehmensgrenze auf. Man muss Produktverantwortung und nachhaltiges Wirtschaften zusammendenken“, argumentiert er. Mit dem Gesetzt werde das nachhaltige Wirtschaften gefördert und Unternehmen müssten „endlich ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen“. Er erklärt weiter: „Viele Menschen werden endlich wieder sauberes Wasser erhalten. Ich habe einige Zeit in Äthiopien gelebt, nicht weit von einer großen Gerberei. Dort konnte man nicht mal einen Finger in das Wasser halten, so verseucht war das.“
IG Metall fordert strengere Regeln
Die Gewerkschaft IG Metall begrüßt das Lieferkettengesetz. Vorstand Jörg Hoffmann teilt in einer Pressemeldung mit: „Die Verabschiedung des Lieferkettengesetzes ist ein wichtiger nächster Schritt hin zu menschenwürdigen und fairen Arbeitsbedingungen entlang globaler Wertschöpfungsketten.“ Die Gewerkschaft sehe jedoch auch einige Verbesserungspotenziale im Regierungsentwurf. So bemängelt der Gewerkschafts-Chef, Wolfgang Lemb, dass das Gesetz keinen direkten zivilrechtlichen Haftungsmechanismus vorsehe.
Eva-Maria Reinwald ist Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei Südwind - einem unabhängigen Institut für Ökonomie und Ökumene. Sie freut sich, dass es mit dem Gesetz nun voran geht, wie sie im Interview gegenüber TECHNIK+EINKAUF erklärt.
Reinwald sehe das Gesetz als notwendig an, da es ein „Spielfeld mit gemeinsamen Regeln“ für Unternehmen schaffe. Sie erklärt: „Aktuell unterliegen Unternehmen, die sich um ihre Sorgfaltspflichten bemühen, einem Wettbewerbsnachteil. Mit dem Gesetz sollen gemeinsam die Herausforderungen in der Textilproduktion und dem Rohstoffabbau gemeistert werden. Dann gibt es bald endlich einmal Filteranlagen für Fabriken, verbesserte Gewerkschaftsrechte und eine bessere Einkommenssituation der Kakaobauern.“