Demonstration. Auf einem Plakat steht "schwarze Zahlen, trotz Krise. Was wollt ihr?" Auf einem anderen ist das Wort "Vertrauen" durchgestrichen

Viele Mitarbeiter aus Aachen haben gegen die Schließung des Werkes demonstriert. - (Bild: Markus Feger)

Der 15.September war eigentlich ein ganz normaler Arbeitstag im Aachner Continental-Werk. Doch dann erhielten die Beschäftigten ein Schreiben. „Wichtige Mitarbeiterinformation“ stand darauf. Der Inhalt: „Vor dem Hintergrund der bereits seit mehreren Jahren rückläufigen Absatzzahlen und der daraus entstandenen massiven Überkapazitäten an unseren Produktionsstandorten in Europa, müssen wir Sie über unsere Planungen zur Schließung des Reifenwerks Aachen zu Ende 2021 informieren“ (Das ganze Schreiben finden Sie hier). Ein Schlag ins Gesicht für die 1.800 Mitarbeiter, die von einem Moment auf den anderen wussten: Sie werden ihre Jobs verlieren.

„Die ersten ein, zwei Tage war ich fassungslos und musste erst einmal verstehen, was passiert ist“, erzählt Schichtleiter Partick Heinrich im Gespräch mit PRODUKTION. Er arbeitet seit zweieinhalb Jahren im Aachener Werk. Bei seinem Bewerbungsgespräch habe er damals noch gefragt, wo Continental den Standort in fünf Jahren sieht. Das habe sich alles gut angehört.

Doch jetzt schätzt das Unternehmen die Lage wohl anders ein. Man erweitere sein 2019 in Gang gesetztes Strukturprogramm „Transformation 2019-2029“ um zusätzliche Maßnahmen zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung, erklärt der Konzern auf Nachfrage. Um das gesamte Produktionsnetzwerk von Continental Reifen zukunfts- und wettbewerbsfähig aufzustellen, sei die Schließung des Aachener Werkes unausweichlich. 

Mitarbeiter haben für Standortsicherung gearbeitet

Dabei sei es nicht so, dass die Aachener Mitarbeiter nicht bereit gewesen wären, etwas zu tun, sagt Heinrich. Jeder Beschäftigte arbeitet seit 15 Jahren 2,5 Stunden pro Woche ohne Bezahlung um den Standort zu sichern. „Das ist ein Tag im Monat“, erklärt er. Dafür gab es laut Gewerkschaft IG BCE eine Zusage von Continental, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Die Standortsicherungsvereinbarung sei nun zum 31. Dezember 2020 vom Unternehmen gekündigt worden.

Selbst nach der Hiobsbotschaft versuchten die Continental-Mitarbeiter noch, ihr Werk zu erhalten. Innerhalb weniger Tage wurde eine Petition ins Leben gerufen, die am Ende 30.000 Menschen unterschrieben haben. Gebracht habe es nichts, sagt Heinrich.

Genauso wenig gebracht haben die Demonstrationen, die in Aachen und Frankfurt stattfanden. Dort ist auch Andrea Rosenbaum mitmarschiert. Sie ist indirekt von der Werksschließung betroffen: Ihr Mann arbeitet dort. Er habe am Tag, als das Aus für Aachen verkündet wurde, frei gehabt und über die Schließung per Whatsapp erfahren, erinnert sie sich im Gespräch mit unserer Redaktion. „‘Schatz, wir schließen am 31. Dezember 2021‘, hat er mir dann gesagt.“, erzählt sie. „Ich habe erst einmal gefragt, ob das ein Scherz ist.“

Weil von der Schließung nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch deren Familien betroffen sind, habe sie dann zeitnah eine Facebook-Gruppe zum Austausch für die Frauen und Mütter der Continental-Familie gegründet, sagt sie. Daraus habe sich dann eine Whatsapp-Gruppe gegründet, in der überlegt wurde, „wie wir ein Zeichen setzen können“. Die Frauen haben dann unter anderem Plakate für die Proteste gemalt.

So begründet Continental die Werksschließung

Doch warum musste ausgerechnet Aachen schließen? „Das Reifenwerk in Aachen ist mit einem Produktionsvolumen von acht Millionen Pkw-Reifen pro Jahr das kleinste und zudem der kostenintensivste Standort im gesamten europäischen Produktionsnetzwerk des Unternehmens“, erklärt eine Continental-Sprecherin. Seit mehreren Jahren gebe es eine rückläufige Auslastungssituation in allen europäischen Reifenwerken von Continental in einem auf Sicht nicht wachsenden Markt. Deshalb passe das Unternehmen die Überkapazitäten dem Marktbedarf an.

Eine Tatsache, die dabei aber sowohl für Heinrich als auch Rosenbaum unverständlich ist: Das Werk in Aachen hat schwarze Zahlen geschrieben. Eine Tatsache, die auch die IG BCE betont. „Seit Jahren lief das Aachener Reifenwerk mit hohen Gewinnmargen, die nicht vermuten ließe, dass der Konzern das Werk in Frage stellen würde“, erklärt die Gewerkschaft auf Anfrage.

Auch jetzt, nachdem klar ist, dass es den Standort bald nicht mehr geben wird, stimmen die Zahlen weiterhin, berichtet Heinrich. „Die Dimensionen, die in Aachen laufen, bekommen andere nicht hin“, erklärt er. Das habe man nur mit viel Energie und Aufwand geschafft.

Kritik kommt auch von Politikern

Kritik gab es nicht nur von Mitarbeitern und Gewerkschaft, sondern auch aus der Politik. Ein Werk zu schließen, ohne vorher mit der Gewerkschaft und dem Land zu reden, sei „kalter Kapitalismus“, sagte zum Beispiel der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet. Dieses Vorgehen entspreche nicht der Tradition von Sozialpartnerschaft in Nordrhein-Westfalen.

„Es ist ohne Frage so, dass die Automobilbranche von der Coronakrise hart getroffen ist und zusätzlich in einem Transformationsprozess steckt», sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im September der ‚Rheinischen Post‘. Trotzdem habe er kein Verständnis für ein radikales Jobabbau-Programm in diesem Bereich. Das betreffe auch den Continental-Standort in Aachen.

 

Demonstration mit Gewerkschaftsfahnen
Auch die Gewerkschaft war an den Demonstrationen beteiligt. - (Bild: Christian Burkert)

Was Mitarbeiter wie Heinrich besonders kritisieren, ist die mangelnde Kommunikation der Geschäftsleitung. Diese habe zum Beispiel nicht persönlich mit der Belegschaft über die Standortschließung gesprochen. Die von Continental vertretenen Werte wie Verbundenheit, Gewinnermentalität und Vertrauen würden so nicht mehr gelebt werden. Verbundenheit herrsche derzeit nur noch zwischen den einzelnen Werken. Dort gebe es momentan einen regen Austausch. Die Angst sei groß, dass es noch weitere Standorte treffen wird, so Heinrich.

Auch unter den Mitarbeitern herrsche Zusammenhalt. Die Gefühlslage bei den Mitarbeitern reicht von Enttäuschung über Niedergeschlagenheit, Angst um die Zukunft bis hin zu „jetzt erst recht“, berichtet die Gewerkschaft. Schichtleiter Heinrich ist froh, dass die Kollegen weiterhin mitarbeiten und durchhalten. „Sie reißen sich zusammen, um sich selbst finanziell abzusichern und die anderen zu sehen“, sagt er.

Sozialplan wird ausgearbeitet

Wie es weitergeht, wisse niemand. Derzeit befindet sich die Verhandlungskommission des Betriebsrates, die von der IG BCE unterstützt wird, in einer Sondierungsphase zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Werksleitung.

Es gelte nun eine ganze Reihe von Dingen parallel zu tun: „Wichtig für die Mitarbeiter ist eine intensive Vorbereitung auf die Verhandlungen zu einem Interessensausgleich und Sozialplan“, so die Gewerkschaft. Daneben sei von Oberbürgermeister Marcel Phillip ein runder Tisch zur Zukunft des Continental-Standortes initiiert worden, der sich insbesondere Gedanken um Anschlussbeschäftigung für die Mitarbeiter sowie um die Nachnutzung der Liegenschaften machen soll. „Und natürlich suchen wir immer noch nach der Formel, die einen Weiterbetrieb der Reifenfabrik in Aachen möglich machen könnte“, heißt es von Seiten der Gewerkschaft.

Für Heinrich und Rosenbaum ist es besonders wichtig, dass es einen Sozialplan gibt, der auch älteren Mitarbeitern und solchen, die keine Ausbildung oder Schulabschluss haben, eine Perspektive gibt. „Es ist unser festes Bestreben, die erforderlichen Maßnahmen so sozialverträglich wie möglich umzusetzen“, erklärt Continental. Dazu sollen auch zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen gehören.

Die Abfindung dürfe keine normale Abfindung sein – also eine, die ein Unternehmen zahlt, das schließen muss, sagt Heinrich: Denn: Das Aachener Werk produziere ja noch Gewinn. Der Konzern habe nun eine soziale Verantwortung. Wie es mit ihm weitergeht, weiß er noch nicht. „Man schaut sich aber natürlich um“, erklärt er.

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