Michael Wazlav ist Geschäftsführer der Schwan Cosmetics Produktionstechnik, einer eigenständigen Tochter von Schwan Cosmetics in Heroldsberg bei Nürnberg. Seine 54 Mitarbeiter entwickeln und bauen hochkomplizierte Sondermaschinen beispielsweise für die Herstellung, Montage und Abfüllung von Kosmetikstiften.
Die Techniker sind auch mit Wartung und Instandhaltung der Anlagen betraut: Neun Mitarbeiter sind für den Service zuständig und betreuen den weltweit verstreuten Maschinenpark. Und dank der Nutzung von Augmented Reality, um genau zu sein einer Hololens von Microsoft, müssen sie dafür Mittelfranken nicht mehr so oft verlassen wie früher.
Die Hightech-Brille kommt als Augmented-Reality-Device bei der Wartung zur Anwendung. Die verfügbaren Exemplare sind von der gesamten Gruppe buchbar. Bei Bedarf werden sie per Express an den Ort des Schadens geschickt und ein dortiger Techniker verbindet sich via AR-Brille mit dem Techniker in Heroldsberg. Diese stehen ihm mit Informationen und Anweisungen zur Seite, um den Fehler zu beseitigen.
"Wir bauen hocheffiziente Anlagen mit einem sehr niedrigen Bediengrad, hoher Anlagenverfügbarkeit und kaum Ausfall durch unvorhergesehene Ereignisse", erklärt Wazlav. "Entsprechend haben wir auch unsere Instandhaltung aufgebaut. Wir haben keinen vorbeugenden oder zustandsorientierten Ansatz, sondern wir sind ganz klar in den allermeisten Fällen schlicht die Feuerwehr."
Was ist Augmented Reality?
Augmented Reality (AR, erweiterte Realität) ist die rechnerunterstütze Erweiterung der wahrgenommenen, meist visuellen, Gegebenheiten. Dabei werden mittels dazu entwickelter IT-Lösungen über die AR-Brillen weiterführende Informationen wie Schrift, Diagramme, Hologramme, Bilder oder Videos ins Sichtfeld des Nutzers eingeblendet. Allerdings – im Unterschied zur Virtual Reality (VR, virtuelle Realität) – ohne das tatsächliche Geschehen auszublenden. So kann sich wie im Fall Schwan Cosmetics beispielsweise ein weit entfernter Experte digital in eine Reparatur- oder Wartungsvorgang einschalten, sehen, was passiert, und dem Techniker vor Ort live Tipps geben oder Informationen zur Verfügung stellen.
Erstkontakt im Servicefall
Kosmetikmaschinen müssen im Auftragsfall annähernd 24/7 laufen. Anders sind die extrem geringen Vorlaufzeiten in Sachen Auslieferung bei den Produkten nicht zu stemmen. Entsprechend gravierend sind Stillstände bei technischen Problemen und umso wichtiger ist eine gute Instandhaltung. Darum bietet Schwan Cosmetics mehrere Möglichkeiten an, wie intensiv Kunden ihren Service mithilfe des Unternehmens gestalten können.
Michael Wazlav: "Die Instandhaltung hier in Heroldsberg deckt diverse Level ab. Dabei läuft der Erstkontakt über eine Hotline. Wir haben ein Servicetelefon und wir haben eine E-Mail-Adresse. Das ist zweischichtig abgedeckt, von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Dort laufen dann die Fäden zusammen."
Doch es gibt oder besser gab Fälle, da kann die Hilfe beim Kunden nicht aus den Büros in Heroldsberg und auch nicht von einem Mitarbeiter einer der diversen Standorte erfolgen. "Dann geht es wirklich um Eingriffe an den Anlagen: Veränderungen, Optimierungen, Workarounds. Da müssen wir dann Personal hinschicken – oder die Brille nutzen."
Weniger Auslandseinsätze durch AR-Brille
Derartige Einsätze in der Ferne schlugen sich bislang immer in den Bilanzen nieder: Flug, Übernachtung, Überstunden, Auslöse et cetera. Von der Zeit, die der Experte dann nicht anderweitig verfügbar war, ganz abgesehen. Bei der Eröffnung eines neuen Standorts in den USA vor vier Jahren waren neue Experten schwer zu finden. Das war der Punkt, an dem Wazlav und sein Team sich intensiver mit der Anwendung von Augmented Reality auseinandersetzen.
"Es wurde ein Projekt initiiert und Möglichkeiten abgeklopft, was man tun könnte, um so ein Thema zu unterstützen", erzählt Wazlav. "Denn schließlich musste dort im Betrieb ja auch jemand Hilfestellung leisten können, wenn alle Experten wieder zurück in Deutschland sind."
2016 trat der damalige Fertigungsleiter mit dem konkreten Anliegen an Wazlav heran, den Markt nach entsprechenden Augmented-Reality-Anwendungen zu durchforsten. "Er sagte, er wäre dann der erste, der das Thema bei sich ausrollen würde. Also bin ich los, habe auf Messen und in einschlägigen Fachzeitschriften und so weiter geguckt und – so wie es heute noch zum größten Teil der Fall ist – bin ich immer auf viel Fake oder Show-Cases gestoßen." Schließlich wurde aus dem Thema 'Remote-Support' ein Leuchtturm-Projekt.
Augmented Reality: Entwicklung im Verbund
Doch es zeigte sich bald: Im Alleingang war das Thema Servicesupport durch Augmented Reality nicht zu stemmen und die Partnersuche war schwierig. Doch schließlich kam der Zufall zu Hilfe und es zeigte sich, dass die Deutsche Telekom auf der Suche nach Microservices-Projekten im 5-G-Umfeld war. "Und wir auf der anderen Seite haben uns gesagt: Wir haben keine Entwickler, aber wir würden gerne die Augmented-Reality-Lösung nutzen", erinnert sich Wazlav. Also setzte man sich zusammen und überlegte, welche Möglichkeiten für beide Unternehmen bestanden. "Dann haben wir ein Konzept entwickelt: T-Systems Multimedia Solutions liefert die Software und den Kommunikationsdienst, wir die Anwendung sowie Vertrieb."
Bei Ihrer Fahndung nach einer geeigneten Augmented-Reality-Brille stieß die Projektgruppe auf die Hololens. "Wir haben uns ein paar Alternativen angeguckt, beispielsweise die Magic Leap, die mehr aus dem Gaming-Umfeld kommt. Auch von anderen Herstellern waren Produkte im Rennen", sagt Wazlav.
Suche nach der passenden AR-Brille
Doch die Spezialisierungen der diversen Brillen-Modelle machten dem Team das Leben schwer: "Alles, was in die Richtung entwickelt wird, hat einen speziellen Fokus", erklärt der Schwan-Cosmetics-Produktionstechnik-Geschäftsführer. "Oft geht es um Feld-Applikation, also gleich mit Helm und Arbeitsschutz. Andere Anbieter haben eine hohe Rechenleistung im Blick, weil sie zum Beispiel komplexe Hologramme darstellen wollen."
In der Schwan-T-Systems-Projektgruppe wollte man eher auf eine One-for-all-Applikation setzen. "Wir brauchen eine ausgewogene Lösung, weil wir die Use Cases, die wir schon definiert haben, ganzheitlich abbilden müssen. Entsprechend kann ich nicht für jeden Case eine andere Brille nutzen."
Wert legte man in der Gruppe zum Beispiel auf latenzfreie Bildübertragung. "Es bringt mir nichts, wenn ich drei Sekunden versetzt sehe, was eigentlich das Problem ist – und dann vielleicht noch mit suboptimaler Bild- und Tonqualität." Auch die Sicherheit der Datenübertragung muss selbstverständlich gewährleistet sein.
Hier kamen die Experten der T-Systems MMS ins Spiel: Schon mithilfe eines mobilen Hotspots, der dem Brillen-Package beiliegt, werden die für HD-Übertragung ausreichende Übertragungsgeschwindigkeit und Framerate sichergestellt. Hightech-Gadgets wie die Nutzung der Cloud oder IoT-Technik sind nicht nötig.
Außerdem kümmerten sich die Entwickler um eine Art VPN-Zugang für die Übertragung, sodass ungewollte und ungenehmigte Zugriffe auf die Übertragung nicht möglich sind. Zusätzlich wurden die in einer Instandhaltungsumgebung stets vorhandenen Umgebungsgeräusche bestmöglich unterdrückt. "Wir können Screenshots machen, in einem anderen Tool bearbeiten, markieren, Kommentare schreiben und dann über ein anderes Medium zurückschicken", sagt Wazlav. So kann der Instandhalter vor Ort praktisch mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung unterstützt werden. Außerdem hat er bei der Nutzung der Datenbrille die Hände frei - was beispielsweise bei einem Tablet oder Smartphone nicht möglich wäre.
Schriftliche Angaben im Sichtfeld
Selbstverständlich wird bei der AR-Brille auch die Sprache übertragen. Allerdings schreibt Schwan Cosmetics bei seinen Brillen vor, dass manche Anweisungen ausschließlich in schriftlicher Form zu erfolgen haben. Das ist laut Wazlav vor allem den sprachtechnischen Schwierigkeiten mit der Verkehrssprache Englisch in den verschiedenen Ländern geschuldet.
Auch im Verbund Schwan Cosmetics, T-Systems und Microsoft ist das Projekt Augmented Reality in der Instandhaltung kein Selbstläufer. Schließlich steht hinter der Technologie ein gewisser Invest (alleine eine Brille kostet rund 3.500 Euro), der für kleinere Unternehmen und ihre Instandhaltung nicht einfach so zu stemmen ist. Doch die Erfahrungen im eigenen Hause sind für Wazlav die beste Werbung für die Technologie.
Positive monetäre Effekte
"Die Rechnung ist einfach: Wir hatten die Fälle, dass wir unseren Servicetechnikern Reisen ersparen konnten. Wenn man dabei die meist kurzfristigen Flüge, Hotels, Auslösen und die Abwesenheit der Leute zusammenrechnet, sind die Kosten für Brille und Software schnell wieder drin: Pro Mannwoche rechnen wir mit Aufwänden in Höhe zwischen 7.500 und 10.000 Euro." In einem Bundle mit dem entsprechenden Servicevertrag ist der ROI schnell gegeben.
Und diese Fälle sind so selten nicht. Wazlav nennt Beispiele: "Wir hatten einen Fall in den USA. Dort war ein Kühlgerät installiert, dessen Ausgleichsbehälter ständig überlief. Es konnte niemand erklären, wie das kam. Durch die Brille haben wir es wirklich geschafft, herauszufinden, dass das Isolierunternehmen nach Installation den Absperrhahn geschlossen hatte, aus Versehen, wahrscheinlich. Aber da kommst du mit Verschlauchungsdiagrammen, Durchflussmessungen und so weiter nicht weiter – aber mithilfe der Brille konnten wir den Fehler sehen. Sonst hätte ein Kollege rüber fliegen müssen. Nur um einen Hahn zu öffnen!"
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