Probleme für die vorbeugende Instandhaltung
Anlagen in der Produktion müssen flexibler betrieben werden. Durch die veränderten Fahrweisen werden medienführende metallische Komponenten stärker durch Druck und Temperatur beansprucht. Entgegen den Annahmen in der Bauteilplanung rückt damit der Schädigungsmechanismus der Materialermüdung gegenüber der reinen Zeitstanderschöpfung bei der Instandhaltung in den Vordergrund.
Problematisch dabei ist, dass die Folgen der Ermüdung im Anfangsstadium schwer nachzuweisen sind, da sich diese zuerst an den Innenoberflächen der Bauteile bemerkbar machen, der Zustand für die Instandhaltung dort aber mit den Verfahren der zerstörungsfreien Prüfung (ZfP) nur schwer festzustellen sind.
Als Folge davon steigt die Anzahl der Schadensereignisse in Produktionsanlagen, obwohl man davon ausging, mit ZfP eine verlässliche Vorsorge in Sachen Wartung betrieben zu haben. Dabei hätte man in vielen Fällen die Schäden durch eine den Erfordernissen angepasste Berechnung der Bauteillebensdauer verhindern können.
Wechselbelastete Bauteile können Bedarf an Instandhaltung erhöhen
Welche Auswirkungen veränderte und vor allem flexiblere Fahrweisen auf den Zustand der Bauteile in der Anlage haben, zeigt beispielsweise die aktuelle Situation bei thermischen Kraftwerken. Die mit fossilen Brennstoffen befeuerten Stromerzeuger müssen zur Sicherstellung der Netzstabilität teils erhebliche Einspeiseschwankungen ausgleichen. Grund dafür ist der volatile Stromverlauf aus erneuerbaren Energien, weil diese nicht immer in gleichmäßiger Höhe abgerufen werden können.
Ursprünglich für eine Grundlastfahrweise konzipiert, verschiebt sich dadurch der Betrieb der Anlage stärker in Richtung von Mittel- und Spitzenlasten. Nicht selten muss aber auch ein Mindestlastbetrieb gefahren werden.
Die geforderte Flexibilität im Leistungsangebot hat zur Folge, dass die Betriebstransienten häufiger und in ihrer Ausprägung schärfer werden. Damit steigt die thermische Wechselbelastung vieler Kraftwerksbauteile und damit die Tendenz zur Materialermüdung. In den Anlagen betroffen sind medienführende Dampferzeuger- und Rohrleitungsbauteile, wie zum Beispiel Abscheider, Sammler, Y-Formstücke, Kreuzventile, Dampfsiebe und T-Stücke. Die Schäden können immens sein und lange Stillstandzeiten sowie hohe Kosten verursachen.
Mit dieser Entwicklung erhält die Überwachung der Bauteilermüdung ein ganz neues Gewicht in der vorbeugenden Instandhaltung. Die realitätsnahe Kenntnis des Bauteilzustands ist eine wesentliche Voraussetzung, um das Potenzial der Anlage für eine weitere Flexibilisierung des Betriebs ausweisen zu können. Und die Überwachung unterstützt dabei, das Leistungsvermögen der Bauteile tatsächlich auszuschöpfen.
Vorbeugende Instandhaltung: Erschöpfung berechnen
Für die realitätsnahe Ermittlung der Erschöpfung maschinentechnischer Bauteile im Zuge der vorbeugenden Instandhaltung hat TÜV Süd Industrie Service als Lösung das Berechnungsprogramm TSE entwickelt. Mit der Software werden die Belastungsdaten aus dem gesamten zurückliegenden Betrieb ausgewertet
Auf Basis der Druck- und Temperaturverläufe berechnet TSE die Gesamterschöpfung, also den Zustand des Bauteils als Summe aus der Zeitstanderschöpfung (Kriecherschöpfung) und der Wechselerschöpfung (Ermüdungsschädigung). TSE kann auch auf der Außenseite eines Bauteils durch einen Sensor gemessene Temperaturen auswerten. Damit entfällt der Aufwand für Innentemperaturmessungen. Um einen schnellen Überblick über die auftretenden Belastungen zu gewinnen, lassen sich solche Außentemperaturmessungen mit wenig Aufwand realisieren.
Die Analyse der Daten stützt sich auf die regelwerkskonforme Vorgehensweise bspw. nach TRD 301/303 und DIN EN 12952-3. Die Implementierung einer aufwändigen Online-Überwachung ist damit nicht erforderlich. Die Auswertezeitpunkte der Offline-Lebensdauerberechnung sollten sich an den zuletzt ermittelten Erschöpfungsgraden und den Fahrweisen der Produktionsanlage orientieren. In vielen Fällen hat sich ein jährlicher Offline-Auswertezyklus bewährt, bei dem auch neue Belastungsphänomene früh genug im Zuge der Wartung bewertet werden können.
Konservativ bis maximal realitätsnah
Die Berechnungen können wahlweise konservativ mit der Annahme quasistationärer Bedingungen oder mit dem Ansatz der realen instationären Verhältnisse durchgeführt werden. Auf Basis des an der Innen- oder der Außenseite des Bauteils gemessenen Temperaturverlaufs wird dabei – auch für sehr lange Zeiträume – die zeitliche Entwicklung der Temperaturverteilung in der Wand ermittelt.
Daraus kann die zeitliche Entwicklung der Bauteilspannung im Sinne der vorbeugenden Instandhaltung berechnet werden. Der grundlegende Ansatz bei TSE ist die große Realitätsnähe und die Vermeidung von zusätzlichen Sicherheiten, die physikalisch nicht begründet sind und auch von den Regelwerken in der Wartung nicht gefordert werden.
Ein Beispiel: Bei der Spannungsberechnung nach DIN EN 12952 verwendet TSE statt der Wandmittentemperatur die integrale mittlere Wandtemperatur (gemittelte Wandtemperatur). Grund dafür ist, dass bei einem realen schnellen Temperaturübergang – bedingt durch den nichtlinearen Temperaturverlauf während des Temperaturausgleichs – ein signifikanter Unterschied zur Wandmittentemperatur besteht. Dieser Unterschied führt dazu, dass bei Verwendung der Wandmittentemperatur ein überhöhtes Delta T (ΔT) berechnet wird, was letztendlich eine konservative Spannung und einen konservativen Erschöpfungsgrad liefert.
Vergleichsberechnungen mit TSE zeigen, dass durch die Verwendung der Wandmittentemperatur gegenüber der mittleren Wandtemperatur in Kombination mit der realitätsnäheren instationären Berechnungsvariante in bestimmten Fällen bis zu 50 Prozent höhere Erschöpfungsgrade ermittelt werden. Das stellt eine Überhöhung der ermittelten Erschöpfung gegenüber den realen Verhältnissen dar und kann mit TSE effizient vermieden werden, was die Maßnahmen der Instandhaltung günstiger macht.
Video: Vorbereitung auf die Innere Druckbehälterprüfung
Verfügbarkeit sichern und Betriebskosten senken
Die Berechnungen mit TSE bilden die auftretende Materialerschöpfung realitätsnah und dennoch regelwerkskonform ab. Damit werden verlässliche Schädigungsdaten für die zustandsorientierte Instandhaltung zur Verfügung gestellt. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für zeitgerechte Inspektions- und Reparaturmaßnahmen, stellt die Anlagenverfügbarkeit sicher und spart Betriebs- sowie Instandhaltungskosten. Und ganz nebenbei werden damit auch alle relevante Regelwerksvorgaben umgesetzt und in kompakten Berichten dokumentiert.
Eingesetzt werden kann TSE überall dort, wo medienführende metallische Komponenten stark wechselnden Beanspruchungen durch Temperatur und Druck ausgesetzt sind oder einfach nur im Zeitstandbereich betrieben werden – zum Beispiel auch in verfahrenstechnischen Anlagen der chemischen Industrie.
Dipl.-Ing. Franz Binder, Sachverständiger Kraftwerks- und Komponententechnik, TÜV Süd Industrie Service
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