Inspiriert vom Spielzeugauto der Siebziger

BMW gewinnt: 'Beste Montageidee' mit Karakuri-Wagen

Auf dem 35. Montagekongress wurde die 'Beste Montageidee' gekürt. Das Gewinnerteam von BMW konnte mit einem mechanischen Montagewagen in der Produktion die Handling- und Wegezeiten um 27 Prozent reduzieren – bei gleichzeitig besserer Ergonomie.

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Für die Montage von morgen braucht es wandlungsfähige Organisationen, intelligente Anlagen- und Montagetechnik sowie natürlich qualifizierte und motivierte Mitarbeitende. Das waren die Hauptthemen auf dem Montagekongress 2025.
Für die Montage von morgen braucht es wandlungsfähige Organisationen, intelligente Anlagen- und Montagetechnik sowie natürlich qualifizierte und motivierte Mitarbeitende. Das waren die Hauptthemen auf dem Montagekongress 2025.

Manchmal überzeugen besonders die scheinbar simplen Lösungen: „Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung“, soll sogar schon Leonardo da Vinci gesagt haben. Unter anderem nach dem japanischen Prinzip des Karakuri entwickelte das Prozessverbesserungs-Team im BMW Group Werk Dingolfing seine Lösung: Dabei fährt ein Montagewagen mit selbstentwickeltem Antrieb neben der Karosse her, die gerade gefertigt wird. Karakuri bedeutet: keine Elektrik, keine Elektronik, sondern eine rein mechanische Low-Cost-Lösung.

Lisa Czeschka und Anton Semmler, als Serienplanerin und Serienplaner zuständig für Weiterentwicklungen und Optimierungen in der BMW Fertigung, stellten die Lösung auf dem Montagekongress vor. „In der Prozessverbesserung muss man kreativ sein und neue Lösungsansätze gehen, um Abläufe immer wieder zu verschlanken“, erläutert Lisa Czeschka.

So sah die Ausgangssituation aus

Entstanden ist die Idee aus einem Workshop heraus, in dem Hallenleiter Thorsten Ahrens anregte, einen Montagewagen zu bauen, der sich selbstständig von Karosse zu Karosse bewegt. Die Mitarbeitenden fertigen pro Schicht rund 300 Fahrzeuge, pro Tag sind das gut 600 Fahrzeuge. Dabei musste bisher der Werkzeugwagen jeweils manuell zum nächsten Fahrzeug geschoben werden.

Zudem mussten Teile aus der Bereitstellung geholt werden und ans Fahrzeug angebracht werden. Bei dem vorgestellten Takt handelt es sich im Speziellen um ein Carset. Dabei fielen viele Laufwege an. Wege- sowie Handling-Zeiten beanspruchten jeweils 21 Prozent – gegenüber einer Wertschöpfungszeit von 58 Prozent.

Was macht den BMW‑Karakuri‑Wagen so besonders?

Konkrete Vorgaben gab es nicht: Das Workshop-Team, zu dem auch einige Meister und ein Systemlieferant für Aluprofile gehörten, hatten also freie Hand, um ihre Kreativität einzubringen. „Wir waren uns relativ schnell einig: Es muss ein Wagen werden, der nicht elektrisch angetrieben ist, denn die dafür notwendige CE-Zertifizierung für die Steuerung wäre deutlich aufwändiger“, erklärt Semmler die Entscheidung für eine mechanische Lösung.

Zunächst testete man verschiedene Versionen, bei der etwa ein Gewicht beziehungsweise Schwerkraft für den Antrieb evaluiert wurden. Schon innerhalb des viertägigen Workshops entstand ein erstes „Minimal Viable Product“: Ein Wagen, der sich bewegen konnte und damit die prinzipielle Machbarkeit unter Beweis stellte.

Wie wurde die mechanische Lösung entwickelt?

Bis zur endgültigen Version und dem Serieneinsatz des Wagens verging durch viele Optimierungsschleifen mehr als ein Jahr, als Fulltime-Projekt wäre es ein gutes Vierteljahr gewesen, schätzt Czeschka. Auch eine Variante mit Gasdruckdämpfer, anstatt von Gewichten, wurde probiert und verworfen. Zwischendurch testete man die jeweiligen Entwicklungsstufen immer wieder über einige Wochen in der Praxis, um den Verschleiß zu ermitteln und die Bauweise und Funktion weiter zu optimieren.

Schließlich ließen sich die Dingolfinger von einem Mechanismus inspirieren, der aus der Welt der Spielzeugautos stammt: Analog zum Darda-Antrieb von 1970, einem mechanischen Rückziehmotor mit Spiralfeder, setzten sie eine Wickelfeder ein. Gefertigt wurde der Antrieb „auf dem kurzen Dienstweg“ anhand einer gemeinsam entwickelten Konstruktion direkt in der eigenen Vorrichtungsbau-Werkstatt.

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Welche Probleme löst der neue Montagewagen?

Der Montagewagen fährt selbsttätig zum nächsten Fahrzeug und hängt sich per ausschwenkbarer Anhängung in die Fördertechnik ein. In der Endausbaustufe fährt der Wagen komplett mit und kann sich sogar nach dem Karakuri-Prinzip ein Carset – also eine komplette, fahrzeugspezifische Teilezusammenstellung – selbst aus dem Regal holen. Zur gezielten Aufnahme einzelner Carsets wurde die bestehende Carset-Rutsche durch den Einbau eines Drehmechanismus und einer Vereinzelung angepasst.

„Dafür fährt der Montagewagen in das Regal, eine Schranke öffnet sich und lässt das Carset auf den Wagen rutschen, der dann zurückzieht – alles über entsprechende Klapp-Mechanismen“, berichtet Anton Semmler. Sowohl das Montagewagen-Handling als auch die manuelle Carset-Aufnahme entfallen. „Einerseits kann Zeit gespart werden, denn anstatt den Wagen zu bewegen, kann der Mitarbeitende etwas anderes machen. Andererseits entfällt die körperliche Belastung beim Schieben des teilweise schweren Wagens“, berichtet Lisa Czeschka.

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Deutliche Steigerung in Wertschöpfung und Taktstabilität

Die Wertschöpfung konnte von 58 Prozent auf 85 gesteigert werden. „Damit wurde Zeit gespart und zugleich der Takt stabilisiert, der damit mehr Montageumfänge aufnehmen kann“, so Czeschka. „Die Mitarbeiterentlastung ist speziell in unserer Branche sehr wichtig – die Veränderungen bedeuten eine deutliche Ergonomieverbesserung“, fügt Semmler an. „Zwar müssen sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aktiv an die Umstellung gewöhnen: Das fällt nicht immer leicht. Wir haben aber auch sehr positives Feedback bekommen – etwa, dass es mit dem Wagen ein ruhigeres Arbeiten ist“, erzählt Semmler. Teilweise habe es sogar Enttäuschung gegeben, wenn der Wagen nach einer der Testphasen noch einmal für die weitere Optimierung weggebaut wurde.

Mittlerweile sind 15 Stück dieser Wagen im Einsatz und es zeigt sich, dass der Prozess damit insgesamt strukturierter verläuft. Auch in anderen Werken könnte die Lösung bald zum Einsatz kommen. „Die bei uns entwickelten Ideen werden über alle Werke hinweg geteilt. Es gibt schon Anfragen aus Regensburg und München“, berichtet Lisa Czeschka. Zwar lasse sich der Wagen nicht universell einsetzen – die Gegebenheiten vor Ort müssen passen – dennoch gebe es ein hohes Einsatzpotenzial.

Das Siegerfoto mit den drei Erstplatzierten - v.l.n.r.: Moderator Prof. Dr. Johannes Schilp, Kevin Denker (ANTICIPATE GmbH), Lisa Czeschka und Anton Semmler (BMW AG), Peter Demmel (MAN Truck & Bus SE), Barbara Rossié (Ultima Media Germany GmbH)
Das Siegerfoto mit den drei Erstplatzierten - v.l.n.r.: Moderator Prof. Dr. Johannes Schilp, Kevin Denker (ANTICIPATE GmbH), Lisa Czeschka und Anton Semmler (BMW AG), Peter Demmel (MAN Truck & Bus SE), Barbara Rossié (Ultima Media Germany GmbH).

Siegermoment und Resonanz aus der Branche

Ursprünglich waren die Produktionsspezialisten von der Werksleitung gefragt worden, ob sie eine gute Idee zum Wettbewerb um die beste Montageidee beizusteuern hätten. „Es war unser erster Montagekongress und wir wussten daher noch gar nicht, was auf uns zukommt“, erinnert sich Anton Semmler. Angesichts des aktuellen KI-Trends habe man zunächst nicht damit gerechnet, dass sich eine mechanische Idee durchsetzen würde. Nach ihrem Pitch auf dem Kongress seien schon einige interessierte Teilnehmer auf die beiden BMW’ler zugekommen.

„Da dachten wir: So schlecht ist unsere Idee wohl gar nicht. Bei der Preisverleihung auf der feierlichen Abendveranstaltung haben wir uns dann natürlich sehr gefreut, dass wir auf den ersten Platz gewählt wurden“, erzählt Lisa Czeschka. „Viele Menschen haben uns nach der Preisverleihung gesagt, dass sie es toll fanden, mal wieder von einer Lösung zu hören, die eben nicht auf Digitalisierung und KI setzt“, berichtet Anton Semmler.

überarbeitet von: Dietmar Poll