Eine Frage, die vor kurzem noch nahezu alle Unternehmen umtrieb, war die, wie wir unsere Fabriken entwickeln und wieviel Ressourcen wir hineinstecken, um die Transformation zur klimaneutralen Industrie schaffen. Doch durch die Gasmangellage hat sich die Sichtweise gravierend verändert, geht es doch nun in erster Linie darum, die Energieversorgung überhaupt aufrecht zu erhalten.
Auf diese (gekoppelten) Fragen weiß Ralf Tesch, Geschäftsführer bei Nutreon, eine Antwort: "Aus diesen Überlegungen können wir eine Energiestrategie ableiten und dann standortspezifisch ein Energiekonzept aufbauen."
Hochwasserkatastrophe zeigt Dringlichkeit für Krisensicherheit auf
Denn Tesch geht mit Blick auf die Gasmangellage über die reine Klimaneutralität hinaus: "Denn wir haben noch andere Themen, die uns zur Zeit beschäftigen. Beispielsweise die Krisensicherheit der Werke: Durch die Hochwasserkatastrophe an der Ahr und in NRW haben wir in unserer Branche vier Werke verloren. Diese konnten zwar mittlerweile alle wieder ihren Betrieb aufnehmen, die Katastrophe hat uns aber aufgezeigt, dass wir uns alle mit dem Thema Krisensicherheit beschäftigen müssen." Und dies sei durch den aktuellen Gaslieferstopp aktueller denn je.
Die Unternehmen müssen laut Tesch auch kooperativ sein, da geht es um netzdienliches Verhalten, damit jede Fabrik mit der Stromerzeugung flexibel interagieren kann. Das Thema der letzten Jahrzehnte - kostengünstig zu sein - runde den Themenkomplex Kosteneffizienz ab.
"Es kommt also darauf an, ein Konzept zu entwickeln, das diese Elemente abdeckt und ebenso der Unternehmensstrategie entspricht", findet Tesch.
"Für jede Tonne CO2-Ausstoß der Industrie kommt ein ernsthafter Kostenpunkt hinzu – in Schweden sind wir schon bei über 100 Euro pro Tonne. Wir haben also ein nicht unerhebliches Kostenrisiko, wenn wir die Klimaneutralität nicht vorantreiben", sagt Ralf Tesch, Geschäftsführer bei Nutreon.
CO2-Ausstoß wird zum Kostentreiber
Dass die Industrie klimaneutral/klimaschonend werden wird, ist für Tesch ausgemachte Sache, denn "für die Unternehmen ist das natürlich ein moralisch ethischer Anspruch, unsere Umwelt für die nachfolgenden Generationen zu schonen." Mittlerweile gebe es aber auch mit dem CO2-Preis einen knochenharten betriebswirtschaftlichen Treiber. "Damit kommt für jede Tonne CO2-Ausstoß der Industrie ein ernsthafter Kostenpunkt hinzu – in Schweden sind wir schon bei über 100 Euro pro Tonne. Wir haben also ein nicht unerhebliches Kostenrisiko, wenn wir die Klimaneutralität nicht vorantreiben", warnt Tesch.
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Krisensicherheit wegen möglicher Blackouts notwendig
Zum Thema Krisensicherheit fallen Tesch drei Punkte - abgesehen von der Gasmangellage - besorgniserregend auf: "Die nächste Pandemie, die vielleicht schon lauert und die beiden Themen Blackout und Cyberangriff. Ein Blackout ist dabei nicht mit einem Stromausfall zu verwechseln, sondern gilt als europaweiter Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfall von mehreren Tagen."
Laut einer Studie des österreichischen Bundesheeres ist laut Tesch mit einem solchen innerhalb der nächsten fünf Jahre zu rechnen. "Wir müssen unsere Fabriken somit resilienter machen gegen Störungen in den Versorgungsnetzen", betont er.
Dimensionen für Energie-Ziele
Die vier Energie-Ziele (4K) der Industrie lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten:
- Klimaneutral
- Krisensicher (Naturkatastrophen, Blackouts, Cyberattacken)
- Kooperativ (netzdienliches Verhalten)
- Kostengünstig (Kosteneffizienz)
Ein kooperativ oder netzdienliches Verhalten könne die Industrie mittlerweile ganz gut. "So wie die größte Molkerei Europas mit 80 Aggregaten und Batteriespeichern. Sie kann verfahrenstechnischen Aggregate, Kälteanlagen und Batteriespeicher direkt mit dem Intradayhandel an der Strombörse koppeln und dort quasi die Fabrik mit dem Strommarkt balancieren", erläutert Tesch.
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Diese Energieträger eignen sich besonders
Nun stellt Tesch die Frage, auf welchen Energieträger sich die Unternehmen verlassen sollen. "Gehen wir auf Strom – der möglicherweise CO2-arm ist, wenn wir die Ausbauziele verfolgen - hängen wir aber stärker im Blackout-Risiko. Gehen wir auf die Verbrennung, haben wir zwar einen Strauß an Technologien, die teilweise noch in der Entwicklung sind", erklärt Tesch.
So könnten Gas und Biogas nicht lieferbar oder mitunter ausverkauft sein, dann wäre Wasserstoff ein Thema, dies benötige aber noch viel Entwicklung. "Dann können wir noch über Solar- oder Geothermie möglicherweise in Kombination mit einer Wärmepumpe nachdenken. Bei der Biomasse wiederum gibt es Konkurrenz zu den Nahrungsmittelherstellern", beschreibt Tesch die nicht ganz einfache Situation.
Praxisbeispiel A: Klimaneutral, krisensicher, kostengünstig und kooperativ
Die Backfabrik A stellt laut Tesch 10.000 Tonnen Backwaren pro Jahr her. TK-Rohlinge werden in der Fabrik für die Filialen gebacken und frisch ausgeliefert. Es handelt sich hier um den Ultra-Frischebereich, da sich die Ware nur für wenige Stunden verkaufen lässt. "Hier gibt es relativ viele Retouren, die wir in Biogasanlagen für einen gasgeführten Durchlaufofen geben können, was somit klimaschonend ist. Für die Krisensicherheit haben wir uns entschieden, das TK-Lager abzusichern, das heißt dass wir die Luftzirkulation und einen Verdichter und Verflüssiger über eine PV-Anlage in Betrieb halten, einen kleinen Luftstromdiesel und Batteriespeicher", beschreibt Tesch.
Im Krisenfall werde das Lager geschlossen, das Licht gelöscht und die Luft zirkuliert, um einfach die Rohware zu retten. "Die Fabrik bleibt stehen und sobald das Netz wieder da ist, sind wir lieferfähig. Im Normalfall können wir die an Batterien angeschlossene PV-Anlage am Intraday-Markt verwenden und können dann netzstabilisierend tätig sein - also kooperativ. Durch CO2-Vermeidung über das Biogas und die Eigenerzeugung von Strom ist Kosteneffizienz ebenfalls gegeben, weil es ein paar Erträge aus dem dynamischen Lastmanagement gibt", rechnet Tesch vor.
Praxisbeispiel B: Klimaneutral, krisensicher, kostengünstig und kooperativ
Laut Tesch handelt es sich bei der Backfabrik B um die identische Menge, aber die Backwaren werden fertiggebacken und tiefgefroren. "Da müssen wir halt anders rangehen, haben das TK-Lager zu einer großen, etablierten Tiefkühl-Logistikkette outgesourct." Damit sei der Stromverbrauch am Standort reduziert, also klimaschonend.
"Es gibt auch zwei Nachbargrundstücke für Freiflächen-PV und wir diskutieren gerade mit dem Kunden den Durchlaufofen, ob er strom- oder gasgeführt werden soll. Es gibt ansonsten PV-Anlagen, BHKW und Batterien, die wir nutzen können, um – falls wir nicht auf einen stromgeführten Ofen gehen können - die Wahrscheinlichkeit relativ groß ist, mit der PV-Anlage netzautark werden zu können", beschreibt Tesch. Gegen einen Netzausfall wäre man abgesichert und auch hier könne wie im Fall A der selbst produzierte Strom vermarktet werden.
Systemvergleich Energieversorgung von Backfabrik A und B
Backfabrik A | Backfabrik B | |
Beschreibung | TK-Backwaren, ca. 10kt/a TK-Rohling werden für Filialen aufgebacken | TK-Backwaren, ca. 10kt/a Rohwaren, Teigherstellung, backen und versandfertigtiefgefroren |
Klimaschonend | Retouren in Biogas-Anlage (Bio-)Gasgeführter Durchlaufofen | TK-Lager outsourcen, Freiflächen-PV (Stromgeführter?) Durchlaufofen |
Krisensicher | PV-Dachanlage, NEA, Batterie-TK-Lager und CO2 der Kälteanlageabsichern | PV, BHKW und Batterie, Netzautharkie |
Kooperativ | Dyn. Lastmanagement: NEA, Batterie, ggf. PV zur Netzentgeltoptimierung und Intraday-Markt | Inselbetrieb: BHKW und Batterie zur internen Netzstabilisierung, sonst: Dynamisches LM |
Kostengünstig | Vermeiden erheblicher CO2-Kostendurch Eigengas und Eigenstrom | Stromnetzentgelte, EEG-Umlage durch Eigenstrom, ggf. Inselbetrieb |
Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie
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Um die klimaneutrale Industrie auch real werden zu lassen, benötigt es regenerative Energien. Welche Erneuerbaren Energien es gibt und wie deren Nutzen in der Industrie am höchsten ist, lesen Sie hier.
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