Um klimaneutral zu werden, wollen beispielsweise Luftfahrt, Landwirtschaft und Stahlindustrie zukünftig auf Wasserstoff setzen. Doch nicht überall ist dies sinnvoll möglich. Wo die Produktion am meisten Sinn ergibt, haben Forschende des Paul Scherrer Instituts analysiert.

Um klimaneutral zu werden, wollen beispielsweise Luftfahrt, Landwirtschaft und Stahlindustrie zukünftig auf Wasserstoff setzen. Doch nicht überall ist dies sinnvoll möglich. Wo die Produktion am meisten Sinn ergibt, haben Forschende des Paul Scherrer Instituts analysiert. (Bild: Grispb - stock.adobe.com)

Als ein wesentlicher Baustein, um Klimaneutralität zu erreichen, gilt die Elektrifizierung von Verkehr, Industrie und Haushalten bei gleichzeitiger Umstellung auf erneuerbare Stromquellen wie Wasser, Wind und Sonne. Allerdings kann Strom nicht überall als Energielieferant dienen – für bestimmte Anwendungen ist seine Energiedichte nicht ausreichend. Wo höhere Anforderungen gestellt werden, soll Wasserstoff einspringen. Die Luftfahrt, die Landwirtschaft und die Stahlindustrie sind Beispiele für Anwendungen, bei denen durch den Einsatz von Wasserstoff – der teilweise für die Herstellung von Düngemitteln oder synthetischen Kohlenwasserstoffen verwendet wird – die Klimabelastung deutlich reduziert werden kann.

Forschende vom Labor für Energiesystemanalysen des Paul Scherrer Instituts (PSI) haben geografische und ökonomische Daten und Prognosen zusammengestellt, um den Aufbau einer Wasserstoffökonomie in vier Szenarien zu beschreiben: Demnach wird der Wasserstoffbedarf 2050 zwischen 111 und 614 Megatonnen pro Jahr betragen – je nach Szenario: Im ersten Szenario macht die Welt weiter wie bisher und verlässt sich auf fossile Energieträger. Im vierten und optimistischsten Szenario betreibt sie konsequenten Klimaschutz und erreicht das 1,5-Grad-Ziel. Aktuell werden weltweit rund 90 Megatonnen Wasserstoff pro Jahr produziert.

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Wo ist genug Platz für Elektrolyse?

Zur Herstellung von Wasserstoff existieren verschiedene Verfahren. Aktuell dominiert noch die sogenannte Methan-Dampfreformierung, bei der das Element unter Druck und Hitze aus Erdgas, Erdöl oder Kohle – also fossilen Energieträgern – gewonnen wird. Die optimistischeren Szenarien gehen davon aus, dass stattdessen zunehmend PEM-Elektrolyseure zum Einsatz kommen, also Apparate, die mit Strom und einer Polymer-Elektrolyt-Membran Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Wenn dafür nur grüner Strom aus erneuerbaren Quellen verwendet wird, läuft das Verfahren ohne fossile Energieträger. Es verursacht bis zu 90 Prozent weniger Treibhausgase als die Methan-Dampfreformierung.

Die zentrale Frage aber war, wo auf der Erde der Wasserstoff auf diese Weise hergestellt werden sollte. "Wir haben dazu vor allem ökonomische Kriterien angelegt", sagt Tom Terlouw, Erstautor der Studie in der Fachzeitschrift Nature Communications. "Sprich, wo ist die Produktion am günstigsten?" Und dabei stellten sich zwei Faktoren als entscheidend heraus: Wo lässt sich der enorme Bedarf an Ökostrom für die Elektrolyse am effizientesten decken, weil alternative Energieträger wie Wind und Sonne reichlich vorhanden sind? Und wo gibt es genügend geeignetes Land, um die zur Produktion notwendigen Anlagen aufzustellen?

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Kanada ist ideal, die Deutschland eher nicht

Als eine der besten Regionen für die künftige Wasserstoffproduktion stellten sich zum Beispiel große Teile Kanadas heraus: "Dort existieren viele freie Flächen, die sehr windig und daher ideal zum Aufstellen von Windturbinen sind", sagt Terlouw. "Noch dazu gibt es viel Wasser und stabile politische Verhältnisse – zwei Kriterien, die wir jedoch in dieser Studie noch nicht näher betrachtet haben." Aber natürlich spiele auch die Verfügbarkeit von Wasser für die Elektrolyse eine Rolle und ob es sich um ein Land handelt, aus dem man zuverlässig Wasserstoff importieren kann. Wenn man diese Kriterien außen vor lässt, bieten auch die zentralen USA gute Bedingungen sowie Teile Australiens, der Sahara, Nordchinas und Nordwesteuropas. Entweder weil es dort viel Sonne zur Produktion von Solarstrom gibt oder viel Wind und freie Fläche zum Aufstellen von Windenergieanlagen – und der Wasserstofffabriken.

Weniger gut zur Produktion eignen sich mitteleuropäische Industrieländer wie Deutschland oder die Schweiz, weil dort kaum verfügbare Flächen für Windräder vorhanden sind und die Sonneneinstrahlung relativ gering ist. Auch andere dicht besiedelte Regionen und Länder wie Japan oder weite Küstenabschnitte der USA und Chinas könnten nur zu vergleichsweise hohen Kosten produzieren.

"Wir haben da also eine gewisse Diskrepanz festgestellt zwischen Regionen mit hohem Bedarf an Wasserstoff und Regionen mit großen, effizienten Produktionskapazitäten", resümiert Terlouw. Diese müssten eine Wasserstoffökonomie durch weltweiten Handel bewältigen, was allerdings weiteren Energieaufwand bedeutet – und politische Kooperation erfordert. Nicht zuletzt besteht der Aufwand darin, dass Wasserstoff in der Regel in gebundener Form – etwa als Ammoniak oder Methanol – transportiert wird. Denn als reines Gas nimmt er zu viel Volumen ein, und für seine deutlich kompaktere, flüssige Form muss er stark gekühlt werden.

Die ökologischen Kehrseiten grünen Wasserstoffs

Die Studie betrachtet auch weitere ökologische Nebeneffekte einer möglichen Wasserstoffökonomie, die in der Öffentlichkeit oft außer Acht gelassen werden: "Zum einen ist es wichtig zu betonen, dass auch eine funktionierende Wasserstoffökonomie noch Restemissionen an Treibhausgasen produzieren wird", sagt Terlouw. Die Studie beziffert diese Restemissionen auf fast eine Gigatonne CO₂-Äquivalenten pro Jahr. Aktuell bewegen sich die Gesamtemissionen um die 40 Gigatonnen. "Die Klimawirkung ganz auf null zu reduzieren, wird nicht möglich sein", bestätigt Christian Bauer, Projektleiter der Studie.

Das liege vor allem daran, dass auch die Produktion und Verteilung von Wasserstoff mit Emissionen einhergeht. Zum einen geraten geschätzte 2,5 Prozent des Wasserstoffs durch Lecks und Undichtigkeiten in die Atmosphäre, wo der Wasserstoff indirekt selbst als Treibhausgas wirkt. Denn er fördert die Bildung effektiver Treibhausgase wie Methan und Ozon. Zum anderen weisen Elektrolysesysteme sogenannte graue Emissionen auf, welche bei der Herstellung und dem Transport der benötigten Materialien anfallen, selbst wenn die fertigen Anlagen letztlich mit Ökostrom betrieben werden.

"Viele Anlagen und Maschinen, die in der Wasserstoffökonomie zum Einsatz kommen, werden in Ländern hergestellt, deren Produktion auch in absehbarer Zeit noch großenteils auf fossilen Energieträgern basiert", berichtet Terlouw. "Die meisten Solarmodule etwa stammen heutzutage aus China, wo der Strom noch überwiegend aus Kohlekraftwerken kommt." Wer das Ziel der Klimaneutralität ernst meint, muss solche Restemissionen ausgleichen, indem entsprechende Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre gefiltert werden. Dafür böten sich Technologien wie Direct Air Capture an, bei der spezielle Apparate CO₂ aus der Luft einfangen. Oder Aufforstung: Die zusätzlich wachsenden Bäume binden gewisse Mengen an Kohlenstoff aus der Luft.

Auch über kritische Materialien muss nachgedacht werden

Neben den klimatischen sollten laut Terlouw und Bauer auch weitere Umwelteffekte einer Wasserstoffökonomie Beachtung finden. In Maschinen und Anlagen werden Materialien verwendet, die entweder selbst umweltschädlich sind oder deren Gewinnung die Umwelt belastet. Beispielsweise enthalten Windturbinen Dauermagnete, die auf Seltenen Erden basieren, deren Abbau in China europäischen Umweltstandards nicht entspricht. Bei der PEM-Elektrolyse wird das seltene Metall Iridium als Katalysator eingesetzt, was aufgrund seiner Knappheit als kritisch angesehen wird. Zudem können die für die Wasserstoffproduktion benötigten großen Mengen an Land und Wasser ebenfalls die Umwelt negativ beeinflussen.

"Nicht zuletzt stellt sich da die große Frage der sozialen Akzeptanz", gibt Terlouw zu bedenken. "Werden die Menschen akzeptieren, dass Küstenlandschaften zum Beispiel von großen Wasserstoffproduktionsanlagen eingenommen werden?" In wasserarmen Gebieten müsste das Meerwasser vor der Elektrolyse zunächst entsalzt werden, was zusätzliche Energie und Land erfordert. "Solche Faktoren haben wir in dieser Arbeit noch nicht berücksichtigt", räumt Christian Bauer ein. "Dazu sollen weitere Studien folgen. Wir wollen mögliche Wege der Energiewende aufzeigen. Ob und wie konsequent wir sie dann beschreiten, ist am Ende eine gesellschaftlich-politische Frage."

Quelle: Paul Scherrer Institut (PSI)

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