Oliver Huther, Head of Disruptive Business Development (links) und Dr. Jan Jarvis, Head of Virtualization, sprechen im Interview über das Industrial Metaverse und erklärt, wie Sick das Metaverse nutzt.

Oliver Huther, Head of Disruptive Business Development (links) und Dr. Jan Jarvis, Head of Virtualization, sprechen im Interview über das Industrial Metaverse und erklärt, wie Sick das Metaverse nutzt. (Bild: Sick)

Wie ist der aktuelle Status quo bei Engineering Tools im Industrial Metaverse, welche Rolle spielt der Digitale Zwilling und welche Trends zeichnen sich ab? 

Oliver Huther (Head of Disruptive Business Development): Das Angebot derzeitiger Engineering-Tools wird vor allem von CAx-Software und CAx basierten Simulationsplattformen geprägt. Diese werden zunehmend durch kollaborative Cloud-Plattformen ergänzt, die es Teams ermöglichen, über verschiedene Standorte und Fachdisziplinen hinweg effizient zusammenzuarbeiten. Dabei hat sich, gerade was das Thema der Virtuellen Inbetriebnahme betrifft, in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass vereinheitlichte Schnittstellen zwischen virtuellen Lösungen und realen Geräten die unerlässliche Voraussetzung für einen nahtlosen Datenaustausch sind.

Die digitale Verwaltungsschale (Asset Administration Shell - AAS) – also der Digitale Zwilling – ist hierfür von zentraler Bedeutung, da dieser in seiner Eigenschaft als standardisierte Schnittstelle die nahtlose Integration virtueller Lösungen in reale Geräte ermöglicht. Gleichzeitig sind neue Trends im Kommen, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Nutzer bei Analysen und Entscheidungen unterstützen. Vereinzelt versetzen Augmented oder Virtual Reality die Nutzer auch in immersive Umgebungen, die das Prototyping und die Problemlösung durch interaktive und realitätsnahe Simulationen erleichtern. 

Industrial Metaverse Conference
(Bild: SV Veranstaltungen)

DIe Industrial Metaverse Conference erkundet die neuesten Entwicklungen und Innovationen an der Schnittstelle von Industrie und virtuellen Welten. Die Konferenz bringt führende Experten, Technologen und Geschäftsstrategen zusammen, um Einblicke in die Verwendung von Metaverse-Technologien in der Fertigung, Automatisierung und digitalen Transformation zu teilen.

Weitere Informationen gibt es hier: Zur Industrial Metaverse Conference.

An welche Grenzen stoßen Tools und Nutzer wie Sick aktuell – und wie lassen sich diese verschieben oder aufheben? 

Jan Jarvis (Head of Virtualization): Eine zentrale Herausforderung an aktuelle Engineering-Tools und Simulationsplattformen ist die noch immer vorherrschende Nutzung proprietärer Datenformate, die den Austausch und die Interoperabilität zwischen verschiedenen Plattformen erschweren. Zukunftsfähige Engineering-Tools müssen demgegenüber offen, also nicht proprietär, sein und so die Kollaboration über Datenformate und Domänengrenzen hinweg ermöglichen und fördern. Sie müssen also offene Standards für die Interoperabilität unterstützen. 

Aus der Perspektive von Sick zeigt sich darüber hinaus ein weiteres Defizit: die Simulation von optoelektronischer Sensortechnologie. CAD-basierte Tools sind oft nicht in der Lage, die komplexen physikalischen Prozesse moderner optischer Sensormesstechnik realitätsnah darzustellen. Abhilfe schaffen moderne Rendering-Technologien wie Physically Based Rendering (PBR) und GPU beschleunigtes Real-Time Raytracing (RTX).

In Kombination eröffnen diese Technologien die Möglichkeit einer präziseren und deutlich performanteren Simulation von Lichtreflexionen, Materialien und Umgebungsbedingungen, insbesondere in dynamischen Umgebungen. Daher sind sie für die virtuelle Entwicklung, Optimierung und Inbetriebnahme von Sensorlösungen gerade auch innerhalb von Kundenapplikationen unverzichtbar. Sick hat hier in den letzten beiden Jahren wertvolle Pionierarbeit geleistet und viel Knowhow in diesem Bereich aufbauen können.

Welche Auswirkungen hat das Industrial Metaverse auf die Zusammenarbeit unterschiedlicher Anwender und Fachdisziplinen? 

Huther: Wenn Fachbereiche wie Entwicklung, Produktmanagement, Vertrieb, Inbetriebnahme und Service oder auch Kunden und Hersteller zukünftig über das Industrial Metaverse in virtuellen Umgebungen nahtlos interagieren, wird dies die Zusammenarbeit natürlich nachhaltig beeinflussen. Angepasste Visualisierungen werden Inhalte so darstellen, dass sie den Bedürfnissen jeder Fachdisziplin und jeder Nutzergruppe entsprechen, sei es auf der 3D-Modellebene, der Datenebene oder der Prozessebene. Dabei schafft die Kombination von Echtzeit- und historischen Daten zugleich die Grundlage, um Prozesse von der Inbetriebnahme bis zur Betriebsphase zu optimieren.

Dennoch werden spezialisierte Expertentools, die erweiterte Funktionalitäten bieten, um spezifische Anwendungen abzudecken, nach wie vor gebraucht. Und auch sie müssen die Kollaboration über Domänengrenzen hinweg ermöglichen und fördern, denn nahtlose Daten- und Inhaltsaustausche zwischen verschiedenen Tools sind essenziell, um die Zusammenarbeit effizient zu gestalten. Die Zukunft der Engineering-Tool-Landschaft wird demnach von Interoperabilität geprägt sein. Nur sie ermöglicht offene Plattformen, die Kollaboration in Echtzeit ermöglichen, und immersive Arbeitsumgebungen, in denen physische und digitale Welten verschmelzen.

Podcast: Prof. Bauernhansl über das Industrial Metaverse

Diese Podcast-Folge wurde im Juni 2024 aufgenommen.

Inwieweit gibt es hierfür bereits geeignete Lösungen zur Gewährleistung der unabdingbaren Interoperabilität der Tools? 

Jarvis: Offene Plattformen und Formate zur Standardisierung von Datenformaten und Schnittstellen spielen die Schlüsselrolle, um Interoperabilität zu gewährleisten. Plattformübergreifende Format wie OpenUSD (Universal Scene Description) ermöglichen die Darstellung komplexer Szenarien und fördern den nahtlose Daten- und Inhaltsaustausch zwischen unterschiedlichen Tools. Aktuell bietet Nvidia mit der Omniverse Plattform und den darin enthaltenen Tools ein leistungsfähiges Software-Ökosystem an. Es nimmt den Grundgedanken der Offenheit und Interoperabilität auf und hat damit das Potenzial, als Orchestrierungs-Platform und Brücke zwischen Industrial-Metaverse-Tools zu fungieren.

Über das Konzept der Omniverse-Connectoren können mehrere Nutzer unterschiedlicher domänenspezifischer Konstruktions- und Simulationstools Änderungen in der Szene inkrementell und kontinuierlich über einen sogenannten „Nucleus“ synchronisieren und so zusammenarbeiten. OpenUSD als zugrundeliegendes Datenformat bietet die erwähnten Vorteile in Hinblick auf Akzeptanz, Skalierung und Interoperabilität und setzt sich als eine Art Standard für den Austausch von 3D Daten zunehmend durch. Omniverse wird aktuell bereits von einigen branchenbekannten Konstruktions- und Simulationstools unterstützt. Dies ermöglicht uns bei Sick bereits heute, die Möglichkeiten von Metaverse-Konzepten in Innovationsprojekten erlebbar zu machen. 

Wie kann man sich das vorstellen?

Huther: Mit Nvidias Isaac Sim nutzen wir bei Sick eine Simulationsplattform, die speziell für die Entwicklung, Testung und Optimierung autonomer Systeme in virtuellen Umgebungen konzipiert wurde und die bereits vollumfänglich auf OpenUSD setzt. Dazu passt perfekt, dass NVIDIA mit seinem Tool den Zugriff auf die oben erwähnten Rendering Engines (PBR & RTX) ermöglicht, die für die Simulation von optoelektronischen Sensoren unabdinglich sind. Isaac Sim ermöglicht uns beispielsweise realitätsnahe Simulation von Robotersystemen.

Dadurch können wir komplexe Interaktionen und Szenarien beim Einsatz unserer Sensoren effizient simulieren, testen und optimieren, bevor wir sie in der physischen Welt als echte Geräte mit Bestellnummer und Datenblatt umsetzen. Gleichzeitig nutzen wir die Chance, Sensor-Kompetenz mittels virtueller Sick-Sensormodelle auf Isaac Sim bereitzustellen. Aktuell stehen Nutzern bereits die vier Sensoren multiScan136, picoScan150, TiM781 und microScan3 als digitale Modelle auf der Simulationsplattform zur Verfügung – und weitere werden folgen.

Auf der Industrial Metaverse Conference wird Dr. Bahram Torabi, Senior Vice President Research & Development, Think Tank, einen Vortrag über das Industrial Metaverse bei Sick halten.

 

Die Veranstaltung findet am 25. und 26. Februar 2025 in München statt. Das vollständige Programm und Tickets gibt es hier.

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