Herr Bauernhansl, Sie sind unter anderem Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung und beschäftigen sich viel mit der Digitalisierung und dem Metaverse. Was ist denn Ihre persönliche Definition des Industrial Metaverse?
Thomas Bauernhansl: Für mich ist das Industrial Metaverse die Verbindung von virtueller Realität mit der Realität, und zwar in Echtzeit. Außerdem muss die Möglichkeit bestehen, mit unterschiedlichsten Devices in diese Welt einzutauchen. Mit all den Vorteilen der Technologien, die zurzeit entstehen. Es geht darum, dadurch eine erweiterte Realität zu erleben, die uns hilft, bessere Entscheidungen zu treffen, Dinge besser zu verstehen, vielleicht auch ganz neue Perspektiven auf Problemstellungen oder eben auch komplexe Situationen zu erleben.
Sie haben zusammen mit Partnern an einer Studie gearbeitet, die sich mit Chancen und Handlungsempfehlungen beschäftigt, die sich durch das Metaverse für Unternehmen ergeben. Was sind denn die größten Potenziale?
Bauernhansl: Das Potenzial ist gar nicht so richtig überschaubar zum jetzigen Zeitpunkt, weil wir in einer sehr frühen Phase auf diese Potenziale schauen. Aber übergreifend kann man sagen, es geht darum, in einer ganz anderen Art und Weise zu kooperieren. Also mit Partnern zusammen an Herausforderungen in dem täglichen unternehmerischen Leben zu arbeiten. Das kann in der Entwicklung sein, das kann in dem Betrieb von Produktionsstätten sein, es kann aber Unterstützung von Dienstleistungen und Services während der Nutzung von Produkten sein. Dadurch ergeben sich zahlreiche Ansätze, das Metaverse entsprechend einzusetzen.
Kommen Sie zur Industrial Metaverse Conference und erkunden Sie die neuesten Entwicklungen und Innovationen an der Schnittstelle von Industrie und virtuellen Welten. Die Konferenz bringt führende Experten, Technologen und Geschäftsstrategen zusammen, um Einblicke in die Verwendung von Metaverse-Technologien in der Fertigung, Automatisierung und digitalen Transformation zu teilen.
Die Konferenz findet am 25. und 26. Februar 2025 in München statt.
Weitere Informationen gibt es hier: Zur Industrial Metaverse Conference.
Welche Technologien werden denn für das Industrial Metaverse genutzt?
Bauernhansl: Wir haben die künstliche Intelligenz. Wir haben das Thema Blockchain, denn es geht im Metaverse auch darum, Verträge abzuschließen und beispielsweise auch Zahlungsströme abzubilden. Und natürlich geht es auch um Netzwerktechnologien wie 5G oder zukünftig 6G. Es geht darum, entsprechend Rechenpower überall zu verfügen. Also wir reden von Cloud- und von Edge-Technologien. Natürlich ist der Zugang zum Metaverse als Technologie hochinteressant: Extended Reality, Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality gehören natürlich dazu.
Dann muss man sich in der Realität orientieren können. Dazu braucht es Mapping- und Localization-Technologien; also wo stehe ich und wie kann ich jetzt meiner Perspektive entsprechend die virtuelle Realität über die Realität überlagern. Es geht aber auch um Industrial IoT und in Teilen auch um Robotik-Themen.
Das Wichtigste ist natürlich der Content. Hier spielen die Ansätze des digitalen Zwillings eine sehr, sehr große Rolle. Wir arbeiten ja schon im Zuge der vierten industriellen Revolution – Industrie 4.0 – lange an dem digitalen Zwilling. Mittlerweile hat sich ein gemeinsames Verständnis etabliert, was das überhaupt ist und welche Standards man dafür braucht. Hier geht es jetzt darum, auch im Metaverse unterschiedliche digitale Zwillinge aufgrund der Standardisierung miteinander zu kombinieren und damit eben erweiterte virtuelle Realitäten zu schaffen.
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Wenn man diese Erweiterung der Realität geschaffen hat, welche Einsatzfelder gibt es für die Technologie?
Bauernhansl: Die Einsatzfelder sind mannigfaltig. Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Entwicklung tätig. Diese findet heute häufig gerade bei komplexeren Produkten in Entwicklungspartnerschaften statt. Die meisten Unternehmen sind gar nicht mehr in der Lage, alle Kompetenzen vorzuhalten, die für die Entwicklung eines komplexen cyberphysischen Systems beispielsweise notwendig sind.
Also reden wir über Entwicklungsprozesse, die im Team stattfinden und diese Teams sind verteilt auf verschiedene Unternehmen. Mithilfe des Metaverse können diese Teams gemeinsam auf die Artefakte der Entwicklung schauen. Das können dreidimensionale Darstellungen sein, ein Produkt, Simulationen von Software oder wie sich die Software auf ein Produkt auswirkt. Das ist eine Anwendung.
Wenn man dann auf die Produktion schaut, gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, Produktionsprobleme gemeinsam zu beheben. Viele Unternehmen haben weltweit verteilte Produktionsnetzwerke. Denken Sie an das Thema Instandhaltung. Ich setze meine Augmented Reality Brille auf, schaue auf eine Maschine und kriege angezeigt, was ich zu tun habe, an welchen Stellen es welche Knöpfe gibt, die ich drücken muss, beziehungsweise welche Komponenten ich wie auswechseln muss. Das bringt wahnsinnige Vorteile, insbesondere wenn das mit Large Language Models kombiniert ist, die dann aus den ganzen Serviceerfahrungen aller Servicetechniker das raus extrahieren, was als Problemlösung angesagt ist. Und das entsprechend aufbereitet mithilfe von digitalen Zwillingen und zur Verfügung gestellt in Echtzeit vor Ort an der Maschine. Das ist ein wahnsinniger Produktivitätshebel im Service.
Und jetzt haben wir noch gar nicht von den Kunden gesprochen, die natürlich Produkte erleben wollen. Die entsprechend ins Metaverse eintauchen, um Konsumgüter beispielsweise in dem jeweiligen Verwendungskontext zu sehen.
So gibt es eben mannigfaltige Möglichkeiten, das Metaverse in den End-to-End-Prozessen von Unternehmen einzusetzen, um die Kundenbindung zu erhöhen, um die Produktivität zu steigern und um die Qualität zu verbessern.
Wo bringt Unternehmen die Anwendung des Metaverse denn den größten Nutzen?
Bauernhansl: Es wäre jetzt vermessen zu sagen, das sind die zwei oder drei Cases und die müssen Sie machen. Das hängt von der Branche, vom Kundenkreis und natürlich auch von der eigenen technologischen Reife ab. Also wo stehe ich in der digitalen Transformation?
Wenn ich noch keine digitalen Zwillinge habe, dann brauche ich mir wahrscheinlich über das Metaverse zunächst mal keine Gedanken machen. Wenn ich die aber habe und wenn ich eine entsprechende Infrastruktur schon aufgebaut habe, meine Leute affin sind, dann macht es sehr, sehr viel Sinn, einzusteigen.
Was ist Ihr Eindruck von Unternehmen, die schon digitaler sind – beschäftigen die sich schon intensiv mit dem Thema Industrial Metaverse?
Bauernhansl: Ja. Da sind ja schon einige Unternehmen, aus der Automobilindustrie beispielsweise. Dort gibt es schon Product Owner, die sich nur mit diesem Thema für das Gesamtunternehmen auseinandersetzen und dafür sorgen, dass die Technologie entsprechend Einzug findet in die einzelnen Prozesse. Aber auch in der Prozessindustrie gibt es schon zahlreiche Beispiele.
Aber auch sehr innovative mittelständische Unternehmen, und auch schon Start-ups, sind in dem Thema schon fortgeschritten. Die setzen dann sehr stark auf einzelne Anwendungsfälle und sind häufig auch Anbieter von Lösungen. Diese Unternehmen sind dann eher als Enabler tätig und arbeiten lösungsorientiert mit ihren Kunden zusammen, um einzelne Use Cases zu etablieren.
Wir haben jetzt von Unternehmen gesprochen, die schon voll dabei sind bei der Digitalisierung. Wie ist es denn mit denjenigen, die noch zögerlicher sind. Wie können die sich auf das Industrial Metaverse vorbereiten?
Bauernhansl: Wir haben ja bereits über die verschiedenen Technologien gesprochen. Aber der Kern ist der Content. Da stellt sich für jedes Unternehmen die Frage: Wo habe ich diesen Content? Wo bin ich schon nahe dran, Content so aufzubereiten, dass ich diesen über das Metaverse zubereite? Und was kann ich damit zugänglich machen? Das ist die Basis, die ich brauche. Dann ist die zweite Frage: Für wen ist dieser Content eigentlich relevant? Kann ich damit für Kunden, für mich selbst in meinen Prozessen oder für Lieferanten einen zusätzlichen Nutzen erzeugen?
Wenn ich das zusammentrage, dann habe ich sehr schnell den Einstieg ins Metaverse. Denn man sollte immer mit dem anfangen, was einem persönlich leichtfällt, weil da die Voraussetzungen schon geschaffen sind. Und natürlich mit dem, was einen Nutzen bringt fürs Unternehmen. Darüber kann ich entsprechende Einstiegsszenarien identifizieren, welche wieder hoch individuell und unternehmensspezifisch sind.
Was sind denn für Sie persönlich die nächsten Schritte beim Thema Metaverse?
Bauernhansl: Für mich sind die nächsten Schritte, dass wir an meinem Institut intensiv daran arbeiten, das Metaverse insbesondere für kleine und mittelständische Anwender zugänglich zu machen. Ich glaube, die großen Konzerne können das wunderbar alleine. Sie haben die finanziellen Möglichkeiten und die Kompetenzen. Kleine und mittelständische Unternehmen haben das häufig nicht und das sehe ich als Auftrag für Fraunhofer, da eine Brücke zu bilden und zu helfen.
Und das ist gar nicht mal so einfach. Wir haben auf der einen Seite immer die Frage: Was bringt mir das eigentlich? Bei den kurzfristigeren Horizonten von kleinen und mittleren Unternehmen braucht man da schon sehr schnell gute Antworten. Man muss schnell einen Kontext finden, sodass dem Unternehmen ein wirtschaftlicher Nutzen entstehen kann. Das ist die eine Seite
Auf der anderen Seite geht es auch immer um die Frage: Was brauche ich alles dafür? Da geht es dann um Kooperation und Zusammenarbeit. Und da tun sich deutsche Unternehmen generell immer schwer. Alleine was zu machen ist easy, aber mit anderen gemeinsam an einem Thema arbeiten – da tut man sich traditionell schwer.
Diese beiden Dinge aufzulösen – mit dem Ziel, das Potenzial des Metaverse für kleine und mittelständische Unternehmen greifbarer zu machen – das ist mein persönlicher Ansatz, beziehungsweise auch der Ansatz meines Instituts.
Das Interview ist ein gekürzter Auszug aus dem Podcast Industry Insights. Die Folge mit Thomas Bauernhansl erschien erstmals am 19.06.2024. Hier hören Sie das gesamte Gespräch: