Produktion: Herr Pieper, was sind aus Ihrer Sicht die Motive von GM für einen Verkauf der Tochter Opel?
Jürgen Pieper: "Nach 17 Verlustjahren ist es logisch, dass man bei GM die Grundsatzfrage stellt: Macht das überhaupt noch Sinn? Man muss sich im Vergleich mal Ford ansehen. Die sind unter quasi denselben Bedingungen ökonomisch viel erfolgreicher. Das Markenimage von Ford ist nicht unbedingt besser als das von Opel, das Unternehmen ist abhängig von einem großen Amerikaner, Europa ist für beide schwer, der Standort Deutschland gleich teuer und die UK-Problematik und den Brexit haben auch beide. Und trotzdem schneidet Ford viel, viel besser ab.
Da muss man sich schon fragen: Bekommt GM das überhaupt noch hin? Dazu kommt, dass Amerikaner so eine Frage vielleicht ein bisschen schneller und radikaler beantworten. Sie haben keine große Verbundenheit zu den Standorten in Europa. Und gerade jetzt unter dem neuen Präsidenten Donald Trump steht Amerika ohnehin an erster Stelle, China ist an zweiter Stelle. Dann kommt erst mal lange gar nichts und irgendwann Europa, was aus Sicht der Amerikaner immer nur Probleme verursacht hat. Es gab immer Ärger mit den Gewerkschaften, immer Verluste, die Werkschließung war extrem schwierig – da kann man schon nachvollziehen, dass GM irgendwann keine Lust mehr hat."
Wie ist das Ganze für Opel zu bewerten?
Pieper: "Man muss sich schon wundern, dass die Reflexe immer gleich sind nach dem Motto: Um Gottes Willen, was bringt das jetzt an Risiken mit sich. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn ich die Tochter eines Konzerns bin, mache nur Verluste, werde ständig in Frage gestellt, muss ständig meine Mitarbeiterschaft verkleinern, ein großes Werk in Bochum schließen und total gefesselt bin im GM-Konzern – was soll dann noch schlechter werden? Ich kann nicht mal meine Autos überall verkaufen und bekomme von meiner Mutter einen Riegel vorgeschoben – meine Güte, was habe ich denn da zu verlieren?
Das sind für mich Pawlowsche Reflexe, dass immer erst mal gesagt wird ‚oh, hier sind Arbeitsplätze in Gefahr‘. Aber welche Zukunft hat denn Opel in dem GM-Konzern? Es kann doch nicht sein, dass ich mich jedes Jahr wieder fragen muss, wie lange es noch weitergeht, dass ich immer rote Zahlen schreibe und in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis bin. Eigentlich muss doch Opel froh sein, wenn das Unternehmen aus so einer Situation rauskommt."
Warum will GM gerade jetzt verkaufen, nach jahrelanger Sanierung, wo Opel kurz vor der Gewinnschwelle steht?
Pieper: "Der Zeitpunkt für so eine Entscheidung ist ja eigentlich immer verkehrt: Hätte Opel jetzt schon wieder Gewinne geschrieben, dann hätten sich auch alle über einen Verkauf gewundert. Vor fünf Jahren hätte man GM vielleicht vorgeworfen, die Tochter in der Krise einfach fallen gelassen zu haben. Es gibt doch keinen perfekten Zeitpunkt für so etwas.
Aber klar ist: GM hat einfach einen schlechten Job gemacht, sie haben es einfach schlicht nicht hinbekommen die letzten Jahrzehnte. Sie haben das Europa-Geschäft einfach nicht verstanden und die Fesseln, die sie Opel anlegen, halte ich für grundverkehrt. Warum sollte Opel nicht in den USA und China Autos verkaufen? Ein GM-Konzern will doch insgesamt erfolgreich sein und nicht die Marke Chevrolet oder Cadillac erfolgreicher machen als Opel. Das macht für mich alles überhaupt keinen Sinn. Ich kenne wirklich kein anderes Unternehmen, dass eine dermaßen lange Verluststrecke aufweisen kann, wie Opel - es hätte eigentlich schon vor Jahren die Reißleine gezogen werden müssen.
Für Opel könnte es nach einer so langen Frustrationsstrecke eigentlich gar nicht schlechter werden als unter dem Dach von GM. Einen schlimmeren Partner kann man sich ja eigentlich gar nicht mehr vorstellen. PSA bringt allemal mehr Stabilität und Gewissheit als GM das die letzten Jahre für Opel gebracht hat."
Welche Vorteile hat PSA von einem Opel-Kauf?
Pieper: "Die Vorteile sind in erster Linie Größe und Skaleneffekte. Es spielt im Massengeschäft ganz trivialer Weise Masse eine enorme Rolle. Das heißt, ob ich 3, 4 oder 5 Millionen Autos produziere macht schon einen riesigen Unterschied. Allein wie viele Produkte ich auf einer Plattform produzieren kann, ob das 500.000 oder 800.000 sind macht einen riesigen Unterschied. Dazu kommt das Einkaufsargument: Ob ich ein Einkaufsvolumen hab von 30, 40 oder 50 Milliarden macht einen gewaltigen Unterschied bei den Konditionen. Da kann ich mich als Unternehmen allein durch Größe profitabler und erfolgreicher machen. Das dritte ist die Entwicklungsseite. Ob ich ein Entwicklungsbudget habe von 2, 3 oder 4 Milliarden habe, macht eben auch einen gewaltigen Unterschied – vor allem in Zeiten, in denen Zukunftsinvestitionen eine riesen Rolle spielen.
Vor allem die Einkaufsvorteile wird man sehr schnell haben, denn die größere Menge kann man schon in der nächsten Runde der Einkaufsverhandlungen einbringen. Das hat dann auch gar nichts mit Stellenabbau zu tun - man bekommt allein aufgrund des größeren Einkaufsvolumens günstigere Konditionen."
Und wie sieht es mit den Stellen in der Fertigung aus?
Pieper: "Bei dem Punkt Produktion und Plattform muss man sich natürlich genau überlegen, was die Konsequenzen wären. Wenn ich effizienter werde, besteht natürlich irgendwann die Gefahr, dass ich zu viel Kapazitäten habe und damit zu viele Mitarbeiter. Aber unter GM sind die Aussichten nicht besser: Opel sind so viele Märkte unter der US-Mutter verschlossen, allein in China hat Opel sicherlich ein Potenzial von 200.000 oder sogar noch mehr Stück, auch in Russland wird man sicherlich schnell wieder an den Markt zurückkehren und auch auf dem gesamten amerikanischen Kontinent existiert ja Opel bislang quasi nicht.
Ich kann mir auf Sicht von fünf Jahren sehr gut vorstellen, dass Opel rund 30 Prozent mehr Autos verkauft – und das ohne großartige Investitionen. Sie können sich ja im Vertrieb einfach an Peugeot dranhängen – die auch in China übrigens gar nicht klein sind. Es stimmt nicht, dass PSA nur so ein ‚kleiner europäischer Player‘ ist: In China ist Citroen eigentlich von Anfang an dabei und alles andere als schlecht gewesen, genauso wie in Südamerika. Da kann sich Opel relativ schnell und einfach an das Vertriebsnetz von Peugeot dranhängen. Man kann davon ausgehen, dass Opel relativ stark wachsen wird, einfach durch das Erschließen neuer Märkte. Dadurch wird die Gefahr von Überkapazitäten und Stellenabbau eigentlich wieder weggenommen.
Ganz abgesehen davon haben französische und deutsche Unternehmen grundsätzlich eine viel geringere Tendenz Mitarbeiter abzubauen als amerikanische. Da hätte ich die Gefahr bei GM eigentlich größer eingeschätzt als bei PSA. Auch die erstaunlich gute Sanierung von Peugeot ist ja nicht mit einem wahnsinnigen Abbau von Arbeitsplätzen einhergegangen. Die französischen Unternehmen sind genauso vorsichtig wie die deutschen: sie haben starke Arbeitnehmerschaften, sehr starke Gewerkschaften und scheuen Stellenreduktionen auch. Es ist nicht der Charakter von Peugeot, grundsätzlich erst mal an Arbeitsplatzabbau zu denken."
Stichwort Elektromobilität: Kauft sich PSA mit Opel möglicherweise auch E-Mobility-Know-How von GM ein?
Pieper: "Es ist denkbar, dass so etwas Bestandteil der Verhandlungen werden könnte. Die Frage ist aber, in wieweit GM bereit ist, in diesem Bereich einen Wettbewerber mit aufzubauen, indem ihm Know-How mitgegeben wird. Denn die Elektroauto-Entwicklungen von Opel kommen ja hauptsächlich aus den USA. Der Ampera-E ist eine GM-Entwicklung. Andererseits kann es natürlich auch sein, dass das dann der Punkt ist, um einen potenziellen Käufer wie Peugeot überhaupt zum letzten Schritt zu bewegen. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sie vielleicht für ein paar Jahre eine Kooperation mit GM bei Elektroautos aushandeln und dann die Technologie übernehmen."