Industrie: MENA-Region als Chance inmitten globaler Krisen?
Milliardenprojekte treffen auf politische Spannungen: In der MENA-Region liegen Wachstum und Unsicherheit oft nur Millimeter voneinander entfernt. Für deutsche Unternehmen eine explosive Mischung – mit Potenzial.
Sabine SpinnarkeSabineSpinnarke
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Saudi-Arabien ist derzeit das attraktivste und dynamischste Land der MENA-Region, sagt Dr. Alexander Koldau, VDMA-Referent Außenwirtschaft MENA.)(Bild: essam - stock.adobe.com (KI-generiert))
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‚Neues Delta‘ - in Ägypten soll eine Fläche so groß wie das Saarland bewässert werden, ein deutscher Pumpenhersteller liefert die Pumpen; ‚The Line‘ - rund 200 Milliarden Dollar soll der Bau der 170 Kilometer langen Wüstenstadt in Saudi-Arabien kosten, Pfisterer liefert elektrische Verteilertechnik; Neubau des King Khaled International Airport in Saudi-Arabien, Hochtief erhält den größten Auftrag der Firmengeschichte; Kraftwerke, Bahnnetze, Flugzeuge – an jedem der Großprojekte in der MENA-Region sind auch deutsche Unternehmen beteiligt.
Innerhalb der MENA-Region (Middle East and North Africa) ist laut Dr. Alexander Koldau, VDMA-Referent Außenwirtschaft MENA, Saudi-Arabien derzeit das attraktivste Land, sowohl was die Exportzahlen aus dem Maschinenbau als auch was die Erwartungen an künftiges Wachstum betrifft: „Vision 2030, der Wirtschaftsplan des saudischen Kronprinzen, hat viele Projekte initiiert. Darunter gigantische Infrastrukturprojekte.“
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Maschinen im Wert von über sechs Milliarden Euro exportierte der deutsche Maschinenbau 2024 in den Nahen und Mittleren Osten, die Wachstumsraten liegen seit 2022 bei gut über zehn Prozent. Doch auch der Energiesektor wächst. „Für Unternehmen der Branchen Energie, Infrastruktur und Ingenieurwesen bietet die Region ein ausgesprochen dynamisches, wachstumsstarkes Feld“, sagt Anto Simunovic, VP-MENA, Pfisterer.
Ein anderes Unternehmen, führend im Bereich Druck- und Temperaturmesstechnik, installierte vor 20 Jahren eine kleine Vertriebsniederlassung, inzwischen produziert Wika in einem eigenen Werk in Dammam. „Wir starteten mit weniger als zehn Mitarbeitern. Heute haben wir ein 3000 Quadratmeter großes Werk, in welchem wir das gesamte Wika Produktportfolio herstellen“, berichtet Tino Reppe, Senior Vice President Wika für MEA (Middle East Africa). Der Erdölkonzern Aramco, ebenfalls in Dammam ansässig, gehört zu Wikas Kunden.
Die MENA-Region auf dem Maschinenbau-Gipfel
(Bild: mi-connect)
Die MENA-Region wird auch eines der Themen auf dem nächsten Maschinenbau-Gipfel sein. Die Branche trifft sich am 16. und 17. September 2025 in Berlin.
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Doch neben guten Geschäftsaussichten hält die Region zahlreiche politische Konflikte bereit und gilt als eine der instabilsten Regionen weltweit. „Middle East Business heißt eben auch auf einem Pulverfass leben. Das ist manchmal beunruhigend“, berichtet Reppe, der seit 20 Jahren in Dubai lebt. „Die Region sollte immer im weltpolitischen Kontext betrachtet werden, meint Dr. Marcus Knupp, GTAI (Germany Trade & Invest). Schnell können die Spannungen zu Eskalationen führen, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen.
Trotz der Risiken ist das Interesse an MENA seit 2022 spürbar erstarkt. „Mit dem Wegbrechen von Lieferketten ist für uns MENA als Nachbarregion interessant geworden. Spannungen in den Handelsbeziehungen zu Russland, China und anderen Ländern haben den Trend verstärkt“, sagt Dr. Knupp.
Die MENA-Region ist logistisch gut und einfach erreichbar. Gleichzeitig begannen die Länder der MENA-Region sich mehr und mehr als unabhängig von den großen Blöcken zu platzieren. „Es wird zunehmend versucht, lokale Industrien aufzubauen und die wenigen großen Hauptabnehmer des Maschinenbaus kaufen bei Lieferanten, die vor Ort produzieren“, sagt Dr. Koldau.
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Die Entwicklung und Standortbedingungen in den verschiedenen Staaten der MENA Region unterscheiden sich stark voneinander.
Das ist die größte Herausforderung in Saudi-Arabien
„In Saudi-Arabien ist der Ausgangspunkt ein völlig anderer als in den Nordafrikanischen Ländern. Durch die Erdöl- und Erdgas-Exporte sind die finanziellen Spielräume hier um ein Vielfaches größer“, berichtet Dr. Knupp. Dem Land fällt es leichter in Giga-Projekte zu investieren, wie auch den anderen Golfstaaten. Hinzu kommt, dass Saudi-Arabien unter den Golfstaaten das bevölkerungsreichste Land ist.
Der Wunsch, der Bevölkerung Arbeitsplätze jenseits der Öl- oder Gasindustrie zu schaffen, hat einen Wandel bewirkt: „Saudi-Arabien hat sich wirtschaftlich in den letzten Jahren geöffnet“, so Dr. Knupp. Das Land expandiere stark in andere Bereiche, die Ansiedelung ausländischer Unternehmen wurde erleichtert, Bürokratie abgebaut. „Man versucht verstärkt ausländische Unternehmen zu motivieren, lokal zu produzieren“, sagt Simunovic. Bei Pfisterer ist ein Produktionswerk in Saudi-Arabien in Planung.
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Die größte Herausforderung in Saudi-Arabien ist laut Dr. Koldau der Lokalisierungsfokus des Landes. „Der Druck innerhalb der ersten Jahre von der reinen Vertriebsniederlassung zu einem produzierenden Unternehmen zu werden, führt dazu, dass die Unternehmen Fertigung aufbauen müssen, diese aber nicht auslasten können“, sagt Dr. Koldau. Bei Wika ist man sich der Situation bewusst: „Wenn man nicht in Saudi-Arabien fertigt, wird man dort mittelfristig den Marktzugang verlieren“, so Reppe.
Um die lokale Industriebasis zu fördern, vergeben die saudischen Behörden Punkte. „Jedes Unternehmen erhält für den Prozentsatz an lokal produzierten Bestandteilen eines Projektes Punkte“, so Simunovic. Die Auftragnehmer versuchen also diesen Prozentsatz so hoch wie möglich zu halten. Ähnliches gilt für die Beschäftigungspolitik. Gefordert ist, einen nennenswerten Prozentsatz an Einheimischen zu beschäftigen. „Die sogenannte Saudisierung stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Gute Mitarbeiter zu finden und zu binden ist nicht einfach“, sagt Dr. Koldau.
Ein passendes Gebäude zu finden kann eine Herausforderung sein
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Simunovic beschreibt die Herausforderung, lokale Arbeitskräfte für Tätigkeiten unter extremen klimatischen Bedingungen zu gewinnen – etwa bei 40 Grad im Schatten auf Baustellen. „Diese Aufgaben wurden traditionell von ausländischen Fachkräften übernommen“, erklärt er. Der Fokus auf Dienstleistungen, wie ihn Pfisterer weiterhin verfolgt, bringt jedoch vor allem praktische Tätigkeiten auf Baustellen oder in Trainingszentren mit sich. „Wir haben dennoch Lösungen gefunden“, sagt Simunovic.
In Saudi-Arabien trifft man auf eine große kulturelle Vielfalt. „Wir arbeiten mit Indern, Pakistanis, Filipinos und Saudis zusammen. Das ist eine Herausforderung, aber auch spannend“, berichtet Reppe. Auf manche Probleme ist man als Unternehmer nicht vorbereitet, so berichtet Reppe: „Ein passendes Gebäude zu finden und legal und ohne Risiko zu kaufen, kann eine Herausforderung sein.“
Ebenfalls dynamisch entwickeln sich die VAE. Im Jahr 2020 betrug das BIP noch minus fünf heute etwa vier Prozent plus. Maßgeblicher Treiber ist die Nichtölwirtschaft. „Die VAE sind wider Erwarten stark gewachsen. Durch den Ukraine-Krieg hat das Land einen starken Zuzug aus der Ukraine und Russland erhalten“, berichtet Dr. Koldau. Dieser Zuzug beflügele den Wohnungsmarkt und den Ausbau der Infrastruktur, hat Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt und führt zu Unternehmensgründungen.
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Allen Ländern der MENA-Region gemein ist laut Dr. Koldau ihr Wunsch die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten zu senken. „Seit dem teilweisen Kollaps der Lebensmittelversorgung durch Pandemie und Ukraine-Krieg befindet sich die Landwirtschaft stark im Aufbau. Vertical- Farming, Indoor-Farming erfordern wiederum Technologien ausländischer Hersteller“, so Dr. Koldau.
In Ägypten verläuft die Entwicklung langsamer
Richtet man den Blick weiter in den Westen, trifft man als erstes auf Ägypten. „In Ägypten verläuft die Entwicklung langsamer“, berichtet Dr. Knupp. Wachstum verzeichne derzeit zum Beispiel die Textilindustrie. Doch auch Automobilhersteller aus China haben erste Montagewerke gegründet. Eine Fertigung vor Ort ist denkbar. Das wiederum könnte für deutsche Zulieferer interessant sein. Ägypten bietet Unternehmen außerdem ein günstiges Export-Umfeld. „Willkommen ist alles, was die Abhängigkeit von Importen und Förderung von Exporten unterstützt. Da Ägypten unter einem hohen Außenhandelsdefizit und Devisenknappheit leidet“, erläutert Dr. Koldau.
Im westlichsten Teil der MENA-Region liegt Marokko: „Marokko ist ein Musterbeispiel für die erfolgreiche Ansiedlung von Industrie und hat als Produktionsstandort für die Automobilindustrie zu Südafrika aufgeschlossen“, so Dr. Knupp. Die französischen Hersteller sind bereits vor Ort, die Zulieferer folgen. Auch Unternehmen aus der Luftfahrtbranche siedeln sich dort an.
Die Unterschiede zwischen den Ländern sind groß, Veränderungen passieren schnell – umso wichtiger ist es, sich im Vorfeld einer Unternehmensgründung intensiv mit den Gegebenheiten vor Ort auseinanderzusetzen.
(Bild: mi-connect)
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FAQ: Chancen und Herausforderungen in der MENA-Region
1. Warum gilt die MENA-Region aktuell als besonders attraktiver Markt für deutsche Industrieunternehmen? Die MENA-Region (Middle East and North Africa) erlebt seit 2022 einen wirtschaftlichen Aufschwung – insbesondere durch gigantische Infrastrukturprojekte, gestiegene Investitionen in Energie, Mobilität und Digitalisierung sowie strategische Programme. Der deutsche Maschinenbau exportierte 2024 Waren im Wert von über sechs Milliarden Euro in die Region.
2. Welche Rolle spielt Saudi-Arabien innerhalb der MENA-Region? Saudi-Arabien ist derzeit der wichtigste und investitionsstärkste Markt in der MENA-Region. Dank seiner Einnahmen aus Öl und Gas kann das Land Giga-Projekte wie „The Line“ oder den Ausbau des King Khaled International Airport finanzieren. Die Regierung verfolgt mit der Vision 2030 das Ziel, die Wirtschaft zu diversifizieren und neue Industrien aufzubauen. Deutsche Unternehmen profitieren von diesem wirtschaftlichen Wandel, sehen sich jedoch gleichzeitig mit Herausforderungen konfrontiert.
3. Was bedeutet Lokalisierung für ausländische Unternehmen in der Region? Unternehmen, die langfristig in der Region erfolgreich sein wollen, müssen zunehmend lokal produzieren. In Saudi-Arabien etwa werden Punkte vergeben für den Anteil lokal gefertigter Komponenten eines Projekts – ein entscheidender Faktor für Auftragserteilungen. Gleichzeitig fordert die sogenannte Saudisierung, dass ein nennenswerter Anteil der Belegschaft aus einheimischen Arbeitskräften besteht.
4. Welche Risiken birgt ein Engagement in der MENA-Region? Trotz der boomenden Märkte ist die MENA-Region geopolitisch instabil. Politische Konflikte, langwierige Genehmigungsprozesse, rechtliche Unsicherheiten sowie kulturelle und infrastrukturelle Unterschiede können Geschäftsprozesse erschweren. Unternehmen berichten von Schwierigkeiten beim Aufbau legaler Strukturen, bei der Gebäudesuche oder bei der Rekrutierung einheimischer Fachkräfte.
5. Wie entwickeln sich andere Länder der MENA-Region neben Saudi-Arabien? Die Entwicklungsstände variieren stark. In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sorgt vor allem die Nichtölwirtschaft für Wachstum. Ägypten zeigt Potenzial in der Textil- und Automobilindustrie, kämpft jedoch mit strukturellen Schwächen. Marokko hingegen gilt als Vorzeigemodell für Industrieansiedlungen, insbesondere im Automobil- und Luftfahrtsektor.