Produktionsstandort: Ehrgeiziges Mexiko auf ‚Hold‘ gesetzt
Mexiko galt als Gewinner des Nearshoring-Trends – bis hohe Zölle und politische Unsicherheiten den Boom jäh ausbremsten. Jetzt droht ein Rückschlag mit globalen Folgen.
Sabine SpinnarkeSabineSpinnarke
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Unternehmen mit Kunden in den Amerikas nutzen Mexiko zunehmend als Basis für ihre Produktion. Unterstützt werden sie von der Regierung, doch nun bremst die Zollpolitik Donald Trumps den Nearshoring-Boom gewaltig aus. Zum Nachteil von Land und Unternehmen.(Bild: IHERPHOTO - stock.adobe.com)
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Mexiko hat als Produktionsstandort einiges zu bieten, die Nähe zu den USA, niedrige Löhne und eine breite Industriebasis, die seit den 60er Jahren auch von deutschen Unternehmen mitbegründet wurde. Edwin Schuh vom mexikanischen Büro der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland GTAI (Germany Trade & Invest) zur jüngsten Entwicklung des Landes: „Mexiko ist in den letzten Jahren an Kanada und China vorbeigezogen und zum mächtigsten Handelspartner der USA aufgestiegen.“ Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern betrug 2024 rund 840 Mrd. US-Dollar und ist somit laut Schuh ein weltweiter Rekord.
Rund 2.100 deutsche Unternehmen, hauptsächlich Automobilhersteller und ihre Zulieferer, aber auch Unternehmen aus den Bereichen Maschinenbau, Elektronik und Gesundheitswirtschaft sind mitverantwortlich für die stetigen Handelsströme zwischen den beiden Nationen.
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Auf Platz vier der Länder mit den höchsten Direktinvestitionen steht Deutschland mit rund 36 Milliarden US-Dollar-Investitionen aufakumuliert zwischen 2006 und 2024, gemäß Zahlen des mexikanischen Wirtschaftsministeriums. Seit der Pandemie hat sich die Bedeutung Mexikos als Produktionsstandort weiter vergrößert. ‚Nearshoring‘ lautete die Devise.
Mexiko auf dem Maschinenbau-Gipfel
(Bild: mi-connect)
Mexiko wird auch eines der Themen auf dem nächsten Maschinenbau-Gipfel sein. Die Branche trifft sich am 16. und 17. September 2025 in Berlin.
Seien Sie dabei, wenn führende Experten beim Fokusthema "Mut zu neuen Märkten" über Malaysia, Mexiko und den Mittleren Osten sprechen.
Mexiko will in die Top Ten der Wirtschaftsnationen
Die Abhängigkeit von China galt es zu minimieren - für Mexiko stellte dies eine einmalige Chance dar, sich von der Werkbank zum Industriestandort mit höherer Fertigungstiefe zu etablieren. „Ein großer Sprung, den die Regierungschefin Claudia Sheinbaum mit ihrem Plan Mexico unterstützt“, sagt Prof. Günther Maihold, Professor am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin.
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Schaffe es Mexiko das Qualitäts- und Technologieniveau im Land zu heben sowie Just-in-Time-Fähigkeiten zu etablieren, wäre eine Import-Substitution tatsächlich möglich. “Mexiko könnte versuchen, Zulieferungen aus China durch nationale Produktion zu ersetzen“, so Prof. Maihold. Das Land mit den weltweit meisten Handelsabkommen will bis 2030 zu den Top Ten der Wirtschaftsnationen aufsteigen.
Trumps Zollpolitik macht Mexiko einen Strich durch die Rechnung
Doch nun hat Donald Trump den Hoffnungen des Landes einen großen Dämpfer verpasst. „Dank der erratischen Zollpolitik Trumps ist der Nearshoring-Boom erheblich in die Binsen gegangen“, so Prof. Maihold. Innerhalb kürzester Zeit wurden hohe Zölle verhängt und wieder zurückgenommen. „Für die industrielle Entwicklung ist dieses Rauf und Runter tödlich, für europäische Unternehmen genauso wie für US-amerikanische“, so Prof. Maihold.
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Hinzu kommt, dass ein Werkstück in der Regel mehrfach über die Grenze zwischen Mexiko und USA transportiert werden muss, bis es als Teil eines Endproduktes beim Konsumenten landet. „Deutsche Hersteller, die keinen Standort in den USA haben, werden nicht mehr konkurrenzfähig sein“, so Maihold. Der Autobauer Audi hat vorübergehend alle Exporte in die USA gestoppt.
„Tatsächlich ist die Arbeitskultur sehr positiv in Mexiko. Alle Mitarbeiter, die ich bis jetzt kennenlernen durfte, sind stark engagiert", berichtet Andreas Schönle von Balluff.(Bild: Balluff)
Aufmerksam beobachtet auch die Geschäftsführung von Diehl-Aviation die Entwicklung. „Hohe Zölle auf Produkte für die Luft- und Raumfahrt wären ein großer Nachteil für die Branche, die für die USA von großer Bedeutung ist“, sagt Nicola Schill, Vice President Global Footprint, Diehl Aviation.
Die Folge dieser Unberechenbarkeit: Unternehmen halten ihre Investitionen zurück, Neugründungen bleiben aus. Laut der Real Estate Beratungsplattform SiiLA lassen sich bereits 31 Prozent weniger ausländische Unternehmen in Mexiko nieder als vor Trump. Die Zahl mexikanischer Unternehmensgründungen ist um 43 Prozent zurückgegangen. „Neuinvestitionen werden vorerst abgebremst. Die Unternehmen warten erst einmal ab, wie sich die Zollsituation weiterentwickelt“, sagt GTAI-Büroleiter Schuh.
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Laufende Investitionsprojekte werden allerdings fortgesetzt: „BMW und Audi beispielsweise rüsten derzeit ihre Werke auf die Produktion von Elektrofahrzeugen um.“ Nicht betroffen sind außerdem Produkte, die unter das USMCA-Freihandelsabkommen fallen – zumindest derzeit. „Wir zahlen keine Zölle in die USA“, bestätigt Andreas Schönle von Balluff. Der Sensorhersteller hatte 2023 mit dem Aufbau eines neuen Produktionsstandortes in Aguascalientes, einer zentral gelegenen Stadt im gleichnamigen Bundesland, begonnen. Andreas Schönle war für den Neubau verantwortlicher Projektleiter.
Ein Teil der Produkte Balluffs bleibt außerdem im Land. „Mexiko ist einer unserer Top 5 Märkte“, so Schönle. Für Balluff, wie für viele der ansässigen Unternehmen, bleibt Mexiko weiterhin ein idealer Standort. Von Aguascalientes aus kann Balluff seine Kunden im Land, in den USA und Kanada per LKW beliefert. „Kostentechnisch ist das gegenüber der Luftfracht von Europa oder Asien aus absolut unschlagbar“, sagt Schönle.
Auch Diehl Aviation investiert in Mexiko
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„Die Hands-on Mentalität der Mexikaner, ihre Kultur, die pragmatischen Lösungsansätze kamen uns als Familienunternehmen sehr entgegen“, sagt Nicola Schill von Diehl Aviation.(Bild: Diehl Aviation)
Auch Nicola Schill, verantwortlich für die Standortgründung von Diehl Aviation in Mexiko, sieht einen großen Vorteil des neuen Standorts in dessen Nähe zu den Kunden von Diehl Aviation – etwa in den USA, Kanada und Brasilien. „Die vier wichtigsten Top-Airlines befinden sich in den USA“, berichtet sie. Baustart des neuen Werkes im Luft- und Raumfahrt Technologie-Cluster Querétaro war im August 2024. „
Dank tatkräftiger Unterstützung der Firma Grupo Chufani entstand in einer Rekordzeit von nur acht Monaten in einem neuen Industriepark das Diehl-Werk“, berichtet Schill, die seit 18 Jahren bei Diehl Aviation arbeitet. Für den A220 findet hier, überwiegend in Handarbeit, die Montage der Gepäckfächer statt. „Wir planen schrittweise die Fertigungstiefe zu erhöhen. Weitere Produkte sollen hinzukommen“, berichtet die Managerin. Platz genug ist in der 8.200qm-großen Halle.
Balluff fertigt in Mexiko neben Produkten in Großserienfertigung vor allem auch kundenspezifische High Mix / Low Volume-Produkte – überwiegend in Handarbeit. Balluff und Diehl profitieren vom niedrigen Lohnniveau. Ein Fabrikarbeiter kostet in Mexiko monatlich 500 bis 600 Dollar. Das ist sogar günstiger als in China. Der Run auf günstige Fachkräfte ist entsprechend groß, besonders in den Technologieclustern.
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Nicht immer ist es einfach geeignete Fachkräfte zu finden und zu binden. Schill hat für Diehl mit der Universität UNAQ (Universidad Aeronáutica en Querétaro) ein Trainingskonzept entwickelt, mit dem Ziel, neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das notwendige Wissen ohne Sprachbarrieren zu vermitteln. Talentierte Mitarbeiter werden mit Unterstützung einer Recruiting-Firma lokal gefunden und mit Hilfe der UNAQ angelernt, berichtet Schill.
„Aguascalientes ist weniger überlaufen. Das heißt, es gibt noch genügend Fachkräfte“, sagt Schönle. Balluff bietet ein attraktives Vergütungspaket, gearbeitet wird in einer ruhigen, klimatisierten Fabrikhalle.
Wo es öfter einmal hakt, ist die Stromversorgung. Die mexikanische Strominfrastruktur ist seit langem unterinvestiert. „Es dominiert der staatliche Stromversorger CFE. Private Erzeuger wurden zurückgehalten. Allerdings produziert CFE zu wenig grünen Strom“, berichtet Schuh. Außerdem gäbe es laut Schuh allgemein Engpässe bei der Stromversorgung für Industriekunden. Die Energieversorgung sicherzustellen war auch für Diehl Aviation eine Herausforderung. „Eine Infrastruktur war zunächst nicht vorhanden“, erzählt Schill. Mit dem Erzeuger Ammper gelang es dem Diehl-Team schließlich die Infrastruktur für eine zuverlässige Energieversorgung auf die Beine zu stellen.
Drogenkartelle beherrschen einige wenige Bundesstaaten
Häufig wird mit Mexiko Gewalt assoziiert. „Probleme gibt es immer wieder in Bundesstaaten wie Tamaulipas, Sinaloa, Michoacán oder Guanajuato – dort wo die Kartelle Teile der Bundesstaaten unter ihrer Kontrolle haben“, berichtet Schuh. Neben Erpressungen gehören Überfälle von LKWs zum Geschäftsmodell der Kartelle. „Auf den Autobahnen zwischen den Häfen und den Industriezentren werden immer wieder LKWs überfallen“, berichtet Schuh.
Das neue Werk von Diehl Aviation in Querétaro. Mit dem neuen Standort stärkt der Luftfahrt-Zulieferer die Zusammenarbeit mit Kunden wie Airbus, Boeing, Bombardier und Embraer.(Bild: Diehl Aviation)
Doch die Regierung unter Sheinbaum gehe wesentlich resoluter gegen die Kartelle vor, als es die Regierung unter López Obrador tat – dessen Devise lautete „Abrazos no balazos“ (Umarmungen keine Kugeln). In den großen Industrieclustern hingegen sei es für Unternehmen recht sicher.
Angetan sind Schill und Schönle von der Arbeitskultur im Lande. „Die Hands-on Mentalität der Mexikaner, ihre freundliche Kultur, die pragmatischen Lösungsansätze kommen uns als Familienunternehmen sehr entgegen“, lobt Schill. Die Motivation der Arbeitnehmer sei hoch, und deutsche Unternehmen seien angesehene Arbeitgeber berichtet auch Schuh: „Tatsächlich ist die Produktivität pro Kopf in der Produktion in Mexiko messbar höher als in den USA.“
(Bild: mi-connect)
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