Industrie im Umbruch

Maschinenbau im Wandel: Chancen in Krisenzeiten

Wie gelingt der Wandel im Maschinenbau? Zwischen US-Zöllen, Bürokratie und Transformation zeigt die Branche neue Wege aus der Krise. Experten von Siemens, Boge und Deloitte sprechen über die Herausforderungen und Chancen.

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Haben über die Chancen und Herausforderungen im Maschinebau gesprochen (von oben): Oliver Bendig (Deloitte), Sebastian Göbel (Boge) und Michael Thomas (Siemens).
Haben über die Chancen und Herausforderungen im Maschinebau gesprochen (von oben): Oliver Bendig (Deloitte), Sebastian Göbel (Boge) und Michael Thomas (Siemens).

Der Maschinenbau steht unter Druck. Handelskonflikte, Bürokratie und volatile Märkte setzen der Branche zu. Die jüngste VDMA-Umfrage unterstreicht diese Anspannungen: Während 26 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle Lage als "gut" oder "sehr gut" bewerten, schätzen 32 Prozent sie als "schlecht" oder "sehr schlecht" ein. Mehr als die Hälfte der Betriebe erwartet zudem in den kommenden sechs Monaten keine Besserung.

Doch wie können Unternehmen mit diesen vielschichtigen Herausforderungen umgehen und strategisch kluge Wege finden, um in diesem volatilen Umfeld erfolgreich zu sein? Oliver Bendig (Partner und Leiter Industrial Products and Construction bei Deloitte), Dr. Sebastian Göbel (Technikvorstand bei Boge) und Michael Thomas (Senior Vice President Factory Automation und Head of Production Machines bei Siemens Digital Industry) geben Antworten.

Handelspolitik: Welche Auswirkungen haben die US-Zölle?

Ein brandaktuelles Thema sind natürlich die US-Zölle. Die jüngste Grundsatzvereinbarung zwischen der EU und den USA sieht für die Mehrheit der Importe einen Zollsatz von 15 Prozent vor. Wie geht es dem Maschinenbau mit dieser Vereinbarung?

Eine Einigung sei grundsätzlich besser als Unsicherheit, erklärt Bendig in einem Thementalk von ‚Produktion‘. Denn nun gebe es klare Rahmenbedingungen. Nichtsdestotrotz stellen die neuen Zölle "massive Einschränkungen oder Belastungen für die deutsche Industrie" dar. Deloitte rechnet mit Exportrückgängen in die USA von bis zu 20 Prozent.

Die Unsicherheit liegt in der konkreten Umsetzung

Boges Geschäft in den USA liegt im einstelligen Prozentbereich, weshalb das Unternehmen von den Zöllen weniger betroffen ist als andere. Göbel erklärte dennoch, die Unsicherheit liege in der konkreten Umsetzung: "Welche Zolltarifnummern sind denn ganz genau betroffen?" „Und 15 Prozent auf alles, aber 50 Prozent auf Stahl und Aluminium. Jetzt ist die Frage, was ist denn Stahl und Aluminium?“ Es stelle sich auch die Frage, ob eine Fertigung in den USA aufgebaut werden sollte.

Michael Thomas sieht die Zoll-Debatte in einem größeren globalen Trend: Nach 30 Jahren Globalisierung sehe man nun "stärker national gewichtete Strategien". Das führt zu einem "sehr, sehr volatilen Umfeld" mit neuen Themen wie Exportregularien oder nationalen Standards.

Der Experte von Siemens sieht die größte Herausforderung für Maschinenbauer darin, "schnell darauf zu reagieren" und sich zu fokussieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Thomas warnt zudem davor, sich zu sehr darauf zu verlassen, dass Kunden die Preiserhöhungen durch die Zölle bezahlen werden: „Nicht alle Produkte sind der Ferrari“, warnt er. Einen 20-Prozent-Aufschlag durch Zölle werde nicht jeder Kunde in den USA hinnehmen. Der deutsche Maschinenbau müsse proaktiv den Wettbewerbsvorteil der Zukunft definieren.

EU-Binnenmarkt: Potenzial und Bürokratie

Einer davon könnte der EU-Binnenmarkt sein. Für Bendig ist er ein „schlafender Riese“ für die deutsche Industrie. Das ungenutzte Potenzial ist enorm. Für Thomas und Siemens ist er ebenfalls ein wichtiger Fertigungsstandort. Europa müsse sein Potenzial als Wirtschaftsraum nutzen und sich als "Fertigungsstandort wettbewerbsfähig im Weltmaßstab" aufstellen, sagte er.

Aber: Der IWF schätzt, dass es innerhalb der EU zusätzliche Kosten von 44 Prozent gibt – unter anderem durch Regularien und Anforderungen jeglicher Art. „Das ist auch wie ein Zoll, der auf unsere Waren im Austausch innerhalb der Europäischen Union anfallen.“ Bendig forderte, die Kosten dringend zu reduzieren.

Göbel bestätigt die Bürokratielast. Ales Beispiele nennt er die A1-Bescheinigung für Mitarbeitende im Ausland sowie das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz und die Company Sustainability Reporting Directive, die insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) einen unverhältnismäßig hohen "Overhead" bedeuten.

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Transformation im Maschinenbau: Neue Strategien für die Branche

Ein weiterer Hebel, damit der Maschinenbau wettbewerbsfähig bleibt: Der Fokus weg vom reinen Produkt hin zu digitalen Lösungen und Software.

Denn: Das meiste Geld im Maschinenbau werde traditionell über den Service verdient, so Bendig. Die Digitalisierung biete hier enorme Chancen: Der Techniker muss nicht mehr zwingend vor Ort sein, viele Interventionen können "remote" durchgeführt werden.

Dies stärke die Kundenbindung und ermögliche es, Serviceleistungen aus Deutschland heraus zu erbringen. Er betonte die Nutzung von Künstlicher Intelligenz, um das umfassende Wissen der Ingenieure zu skalieren und die Kundenbindung zu stärken.

Göbel erklärt außerdem, dass sich das Geschäft zunehmend ins Netz verlagert und Kaufentscheidungen online getroffen werden. Deshalb müssen Geschäftsmodelle digitalisiert werden – zum Beispiel durch Webshops und Konfiguratoren.

Die rasante technologische Entwicklung mit potenziellen "Destruktionen" sieht Thomas als das größte Risiko für Maschinenbauer. Er betont deshalb, dass die Erfolgsrezepte der Vergangenheit "nicht die Erfolgsrezepte der Zukunft sein werden". Stattdessen müssten Unternehmen neue Geschäftsmodelle entwickeln und neue Technologien anwenden.

Eine große Herausforderung sei es, "die Menschen in allen Bereichen in diese Transformation zu bringen". Dabei gehe es darum, das "Domänenwissen der Erfahrenen mit Innovationskraft und Ideen von jungen Menschen" zu verbinden. Er plädiert dafür, jungen Talenten Vertrauen zu schenken und eine Kultur zu schaffen, in der "der Fehler oder das Fehlen in einem Thema keine Schande ist".

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Anja Ringel

Die Autorin: Anja Ringel

Dass sie Redakteurin werden will, wusste Anja Ringel schon zu Schulzeiten. Als Chefredakteurin ihrer Schülerzeitung hat sie Lehrkräfte und Schüler interviewt, das Mensaessen getestet und ist Fragen wie "Wieso hat Wasser ein Mindesthaltbarkeitsdatum" nachgegangen.

Nach Stationen bei diversen Tagezeitungen schaut sie bei "Produktion" nun den Unternehmen auf die Finger oder besser gesagt auf die Bilanzen. Als Wirtschaftsredakteurin kümmert sie sich aber auch um Themen wie Fachkräftemangel, Diversity, Digitalisierung oder Unternehmenskultur. Daneben ist sie einer der Podcast-Hosts von Industry Insights.

Privat liebt sie das Reisen und nutzt ihre Urlaube, um die Welt zu entdecken.

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FAQ – Maschinenbau im Wandel: Herausforderungen und Chancen

  1. Welche Auswirkungen haben die neuen US-Zölle auf den deutschen Maschinenbau?

    Die neuen US-Zölle stellen laut Deloitte eine erhebliche Belastung dar. Trotz klarer Rahmenbedingungen rechnet das Unternehmen mit einem Exportrückgang in die USA von bis zu 20 Prozent.

  2. Warum ist die Umsetzung der Zölle in der Praxis problematisch? Dr. Sebastian Göbel von Boge kritisiert die Unklarheiten in der konkreten Umsetzung. Es sei nicht eindeutig, welche Zolltarifnummern betroffen sind und wie bestimmte Materialien – etwa Stahl oder Aluminium – genau definiert werden.

  3. Welche Rolle spielt der EU-Binnenmarkt für den Maschinenbau? Der EU-Binnenmarkt gilt als „schlafender Riese“ mit großem Potenzial für die Industrie. Oliver Bendig von Deloitte sieht darin eine strategische Chance, insbesondere vor dem Hintergrund internationaler Spannungen. Allerdings verhindern hohe innergemeinschaftliche Kosten – etwa durch Bürokratie und unterschiedliche Standards – derzeit eine optimale Nutzung dieses Potenzials.

  4. Welche bürokratischen Hürden belasten die Industrie besonders? Zu den konkreten Belastungen zählen die A1-Bescheinigung für Auslandseinsätze, das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz und die EU-weite Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). Diese Anforderungen führen insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen zu einem unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand.

  5. Wie verändern sich Geschäftsmodelle im Maschinenbau durch Digitalisierung? Die Branche bewegt sich weg vom reinen Produktverkauf hin zu digitalen Serviceleistungen. Fernwartung, digitale Konfiguratoren und KI-gestützte Systeme ermöglichen neue Erlösmodelle und stärken die Kundenbindung.

  6. Welche Risiken und Chancen sieht Siemens in der Transformation? Michael Thomas von Siemens warnt vor einem zu großen Vertrauen in bewährte Erfolgsrezepte. Die Branche müsse sich an disruptive Entwicklungen anpassen und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Gleichzeitig sieht er Chancen darin, die Erfahrung älterer Mitarbeiter mit der Innovationskraft junger Talente zu kombinieren – verbunden mit einer offenen Fehlerkultur.