Fahnen von Thyssenkrupp in blau

Thyssenkrupp steht vor radikalen Veränderungen. - (Bild: Thyssenkrupp)

Keine Abkürzungen, dafür harte, mühsame Kärrnerarbeit für alle – mit diesen Worten hat Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz den weiteren Weg für den Konzern auf der heutigen Hauptversammlung beschrieben. Denn obwohl das Unternehmen viele Maßnahmen in die Wege geleitet hat, macht sich das noch nicht bei allen Zahlen bemerkbar. Und dann kommt auch noch die Coronakrise dazu. Die Pandemie sei für den Konzern zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gekommen: mitten im Umbau, sagte Aufsichtsratsvorsitzender Siegfried Russwurm. Die Herausforderungen in den Geschäften seien durch Corona noch größer geworden.

Das zeigt sich auch in den Geschäftszahlen. Umsatz und Aufträge lagen weit unter dem Vorjahresniveau. Der Free Cashflow vor M&A lag bei minus 5,5 Milliarden Euro. Operativ hat das Unternehmen das Geschäftsjahr mit einem Bereinigten EBIT von minus 1,6 Milliarden Euro abgeschlossen. Ein Grund dafür sei zum Beispiel der Nachfrage-Einbruch in der Automobilindustrie gewesen, so Russwurm. Der Konzern hat deshalb zeitweise über 30.000 Mitarbeiter weltweit in Kurzarbeit geschickt. Derzeit seien es noch 6.800, sagte Merz. 

Verkaufsangebot für Stahlgeschäft

Hoffnung machen Merz und Russwurm der Verkauf der Elevator-Sparte, der 2020 mit 17,2 Milliarden Euro abgeschlossen wurde. Der Preis sei ausgesprochen gut, sagte Merz. Durch die Mehreinnahme konnte der Konzern seine finanzielle Situation verbessern, so Russwurm. Dadurch habe man Handlungsfähigkeit zurückgewonnen. „Damit haben wir unsere Bilanz in Ordnung gebracht, die drohende Überschuldung abgewendet und kosmetische Maßnahmen, wie die Optimierung des Cashflows jeweils zum Geschäftsjahresende, abgestellt“, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende.

Und es scheint, dass die Elevator-Sparte nicht der einzige Verkauf bleiben wird. Auch in anderen Bereichen gibt es Überlegungen. Erst vergangene Woche hat Liberty Steel ein Angebot für die Stahlsparte gemacht, berichtete Merz. „Stahl hat Zukunft und unser Stahlbereich auch“, ist sie sich sicher. Dennoch seien die Herausforderungen „gewaltig“, vor allem aufgrund der strukturellen Überkapazitäten in Europa. Der Nachfrageeinbruch durch die Coronakrise habe die Lage noch einmal deutlich verschärft. Das vorrangige Ziel bleibe, den Stahl zukunftsfähig zu machen, unabhängig von der Eigentümerfrage, so Merz.

Wie es mit dem Bereich weitergeht, soll dann im März endgültig beschlossen werden. Denn das Angebot von Liberty Steel sei kein bindendes, erinnerte Merz. Gleichzeitig arbeite Thyssenkrupp an einer Alternativlösung: „einer zukunftsfähigen Aufstellung des Stahls aus eigener Kraft“ – entweder durch die Fortführung als Teil des Unternehmens oder als Abspaltung. 

Stellenabbau kommt voran

Für den Chemieanlagenbau ist ein Verkauf dagegen erst einmal vom Tisch. Grund dafür sei die zunehmende Dynamik im Bereich Wasserstoff und Wasserelektrolyse, so Merz. Auch Cement Technologies soll nun doch nicht verkauft werden. Der Grund: Die Angebote konnten nicht überzeugen. Deshalb soll das Zementgeschäft nun bis auf Weiteres im eigenen Unternehmen weiterentwickelt werden.

Anders sieht es für den Bereich Mining Technologies aus. Das Angebot des dänischen Unternehmens FLSmidth sei vielversprechend, sagte die Thyssenkrupp-Chefin. Ob der Verkauf erfolgreich sei, sei jedoch noch nicht absehbar.

Weiter geht auch der Stellenabbau. Von den geplanten 11.000 Stellen wurden laut Merz bis Ende Dezember bereits 4.000 abgebaut. Im Grobblechwerk in Duisburg-Hüttenheim soll es aber keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Die Mitarbeiter würden Stellenangebote an anderen Standorten in Duisburg erhalten, erklärte Merz. Wie berichtet, konnte Thyssenkrupp keinen Käufer für das Werk finden und wird es zum Ende des Geschäftsjahres stilllegen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Kritik: Thyssenkrupp ist kein Fels in der Brandung

Um das Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur zurückzuführen, will Merz nun die Coronafolgen im Unternehmen bekämpfen, sich auf ein Portfolio konzentrieren, das das größte Potenzial für die Zukunft bringt, die Geschäfte auf das Niveau der besten Wettbewerber bringen und wieder ein profitables Wachstum für die Geschäfte erreichen. Zu diesem Portfolio zählen für Merz unter anderem die Materials Services, die für Industriekomponenten und das Autogeschäft verantwortlich sind.

Aber reichen all diese Maßnahmen? Von den Aktionären kam gestern reichlich Kritik.  „Die zukünftige Strategie von Thyssenkrupp ist eher eine Blackbox als ein Fels in der Brandung“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investments der ‚Wirtschaftswoche‘. Den angekündigten Maßnahmen müssten nun Entscheidungen folgen. Und auch zum Stahl äußerte er sich negativ: Die Sparte habe sich zu einem Schatten ihrer selbst entwickelt und im europäischen Wettbewerb sei die Stahlsparte operativ am schlechtesten aufgestellt.

Trotz der vielen Herausforderungen ist sich Aufsichtsratschef Russwurm aber sicher: „Thyssenkrupp ist heute ein deutlich stärkeres Unternehmen als vor einem Jahr – und das trotz des heftigen Gegenwindes durch Corona.“ Und Merz ergänzt: Die Ziele seien nicht über Nacht zu erreichen, der Veränderungsprozess brauche Zeit. „Uns ist bewusst, dass der Umbau von Thyssenkrupp allen Beteiligten viel abverlangt“, erklärte sie.

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