Unsichtbare Rückstände werden zum industriellen Risikofaktor
Die 8. Fachtagung Filmische Verunreinigung machte sichtbar, wie dünnfilmige Residuen über Funktion, Haftung und Lieferfähigkeit entscheiden. KI, Analytik, Normdruck und Schnittstellenverantwortung verschieben den industriellen Rahmen.
Die 8. Fachtagung „Filmische Verunreinigung & saubere Fertigungsprozesse“ markiert einen semantischen und ökonomischen Kipppunkt. Was jahrzehntelang als Randphänomen dünnfilmiger Residuen im Umfeld von Schmierstoffen, Additiven und Handling gedacht wurde, ist 2025 ein industrieller Steuerparameter — mit direkten Effekten auf Yield, Auditfähigkeit, Lieferfähigkeit und Haftung entlang globaler Supply Chains.(Bild: Weinzierl - Produktion)
Anzeige
Die 8. Fachtagung „Filmische Verunreinigung & saubere Fertigungsprozesse“ von Ultima Media Germany machte sichtbar, wie dünnfilmige Residuen in High-Purity-, Elektronik- und Präzisionsprozessen über Funktion, Haftung und Lieferfähigkeit entscheiden. KI, Analytik, Normdruck und Schnittstellenverantwortung verschieben den industriellen Rahmen.
Von der technischen Randnotiz zum ökonomischen Risikobegriff
Filmische Verunreinigung hat ihre semantische Nische verloren. Was über Jahrzehnte als Randfehler im Umfeld von Schmierstoffen, Additiven und Handling galt, entwickelt sich zu einem industriellen Steuerparameter: Weil Bauteile in Funktion und Haftung näher an ihre Grenzen geschoben werden, erzeugen mikroskopische Filme makroskopische Konsequenzen — in Form von Korrosion, Fehlstellen, Yield-Verlusten, Audit-Risiken und Reklamationen entlang der Supply Chain.
Anzeige
KI als Entscheidungsgenerator statt bloßem Bildwerkzeug
Dr. Dominik Lausch (DENKweit GmbH) zeigte in „Oberflächenanalyse mit KI – zuverlässige Detektion unter realen Bedingungen“, warum klassische Bildverarbeitung im Feld versagt: reale Verschmutzungen sind variabel, überlagert und prozessabhängig. KI-Modelle, die aus Streuung lernen, schaffen eine neue Entscheidungsklasse. Wirkung: Sauberkeit wird nicht mehr interpretiert, sondern rechnerisch begründet — das verändert Freigaben, Auditfähigkeit und Reklamationslast.
Im industriellen Kontext bezeichnet der Begriff „filmische Verunreinigung“ eine dünne, zusammenhängende Schicht unerwünschter Substanzen – etwa Öle, Fette, Wachse, Korrosionsschutzmittel, Kühlschmierstoffe oder Rückstände von Beschichtungen – auf der Oberfläche von Bauteilen. Diese Art der Verunreinigung ist meist nicht sichtbar, kann jedoch die Haftung, Funktionalität oder Qualität von Produkten erheblich beeinträchtigen, insbesondere in Branchen mit hohen Reinheitsanforderungen wie Automobilindustrie, Elektronikfertigung oder Medizintechnik.
Projektleiterin und Konferenz-Organisatorin Franziska Blume von Ultima Media Germany eröffnete die Konferenz.(Bild: Weinzierl - Produktion)
Sebastian Gottschall (Fraunhofer IVV) verschob den Fokus von der Diagnose zur Aktion: „Adaptive Trockeneisreinigung durch KI-gestützte Schmutzerkennung“ zeigt, dass Reinigungsenergie nicht mehr fix, sondern bedarfsgeführt zugeordnet wird. Konsequenz: Weniger Überreinigung, weniger Unterreinigung, weniger Ausschuss — unmittelbar kosten- und zeitrelevant. Marko Flatten (Ecoclean) und Roman Möhle (TU Dortmund) stellten klar, dass KI nicht als „Add-on“ wirkt, sondern als Regelorgan: Lab-on-a-Chip, Smart Drying und Closing the Loop koppeln Analyse, Reinigung und Auftragsmanagement. Industrieeffekt: Sauberkeit wird zu einer Ist-größen-geregelten Variable, nicht zu einer Glaubensfrage.
Anzeige
Analytik verschiebt die Beweislast
Dr. Jakob Barz (Fraunhofer IGB) zeigte, wie XPS, REM und Raman filmische Beläge metrologisch objektivieren. Das verschiebt die Ebene: Nicht mehr „vermutete Verunreinigung“, sondern „normnah belegte Kontamination“. Das stärkt oder entlastet Lieferanten — ein ökonomischer Machtfaktor. Dr. Martin Fahr (Nägele) und Kai-Uwe Geiger (ZF) präsentierten den μNVR-Baukasten nach VDI 2083-23 als pragmatische Lösung zur Prüfung löslicher Rückstände. Wirkung: Reproduzierbare Sauberkeitsbelege sinken aus dem Labor in die Linie — Compliance wird dadurch skalierbar.
Schnittstellen als technische und juristische Sollbruchstelle
Anzeige
Die Panelrunde, Gerhard Koblenzer (LPW Reinigungssysteme GmbH), Kay Marschall (VACOM) und Volker Seipel (seiplicity) zeigte die systemische Schwachstelle: Sauberkeit scheitert selten am Reinigen, sondern am Übergang. Dr. Barbara Tränkenschuh (Oerlikon Balzers) stellte mit cleanoterms ein Instrument vor, das Verantwortungszonen entlang der Prozesskette explizit festlegt. Bedeutung: Streit über Verantwortlichkeit sinkt — technische Sauberkeit wird vertraglich verankert, nicht appellativ.
DIe Workshops zu Analytik/KI, Sustainability und Verpackung & Teilereinigung (Moderation: Koblenzer, Raab und Marshall signalisierten, dass das Thema nicht mehr „konferenzfähig“, sondern „implementierungsreif“ ist.
High-Purity als Extremfall — und damit Blaupause
Blättermann (Fraunhofer IPM), Schaal (MAFAC), Neumann (Carl Zeiss) zeigten, wie Reinheitsprüfung entlang der Linie integriert werden muss, damit Prozessketten auditfähig bleiben. Michael Onken (SAFECHEM) entkräftete das Lösemittel-Dogma und zeigte hybride Strategien zur Erfüllung von High-Purity-Spezifikationen führender Halbleiter-OEMs. Wirkung: High-Purity verschiebt sich von „wissenschaftlicher Ausnahme“ zu industrieller Erwartungslinie. Dr. Axel Müller (OHB) nutzte ITER und LISA als Extrembeispiele: In hochreinen Raumfahrtumgebungen wird filmische Verunreinigung zum sicherheitskritischen Risikofaktor. Theresia Fasinski (Colandis) verdichtete diese Verschiebung entlang des Spektrums: Von mechanischer Grobkontamination bis zu High-Purity gilt dasselbe Prinzip — der Grenzwert wandert, die wirtschaftliche Konsequenz wächst.
Anzeige
Wenn aus dünnen Filmen harte Konsequenzen werden
Dr.-Ing. Markus Keller (Fraunhofer IPA) zeigte in „Alarm! Kondensierende Verbindungen…“ die Verschiebung vom VOC-Fokus zu SVOC und neue Messmethoden (ISO 16000-25, VDI 2083-22). Wirkung: Was bisher analytisch unsichtbar war, wird nun nachweisbar — und damit haftbar. Weitere Vorträge wie von Frédéric Selchert (Borer Chemie) zur funktionsspezifischen Reinigung, Gregor/Kessel (Schaltbau) zu Thiolschichten als Doppelrisiko und Frank-Holm Rögner (Fraunhofer FEP) zur energiesparenden Trocknung zeigten: Das Thema bricht inzwischen in Materialsysteme, Energiefragen und Prozesskalkulationen hinein. Filmische Verunreinigung ist keine Sauberkeitsdebatte — sie ist ein Kosten- und Zulieferfähigkeitsproblem.
FAQ — Filmische Verunreinigung
Was zählt als filmische Verunreinigung? Ultradünne, meist organische Rückstände, die Funktion, Haftung oder Prozesssicherheit beeinflussen.
Warum verschärft sich das Thema jetzt? Strengere OEM-Spezifikationen, High-Purity-Segmente, schärfere Normen, höhere Haftungsrisiken — und bessere Nachweisbarkeit.
Wo entstehen die meisten Fehler? Nicht im Reinigungsprozess, sondern an Schnittstellen (Verpackung, Transport, Lagerung, Verantwortungsdiffusion).
Welche Rolle hat KI? Sie verschiebt Sauberkeit von der visuellen Plausibilität zur datenbasierten Entscheidungsfähigkeit.
Was ist die wirtschaftliche Konsequenz? Wer filmische Verunreinigung nicht kontrolliert, verliert nicht nur Qualität — sondern Freigaben, OEM-Zugang und Marge.