Branche steht unter Druck

Wie der deutsche Maschinenbau wettbewerbsfähig bleibt

Wie kann der deutsche Maschinenbau im globalen Wettbewerb bestehen und welche Strategien sichern den Vorsprung? Zwei Siemens-Experten erklären, wie es funktionieren kann.

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Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Maschinenbaus ist nicht mehr das, was sie mal war. Welche Maßnahmen jetzt nötig sind, erklären zwei Experten von Siemens.
Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Maschinenbaus ist nicht mehr das, was sie mal war. Welche Maßnahmen jetzt nötig sind, erklären zwei Experten von Siemens.

Der deutsche Maschinenbau zeichnet sich durch Spezialwissen und eine hohe Qualität aus. Doch trotz einer starken Innovationsfähigkeit wird die Wettbewerbssituation immer schwieriger. So sehen das auch Thorsten Freund (Vice President Discrete Industry) und Nico Michels (Head of Digital Enterprise) von Siemens Digital Industries Software.

Nico Michels betont im Podcast Industry Insights vor allem die stetig weiterentwickelnde Innovationskraft und den Drang, neue Dinge zu schaffen und zu verbessern. Dadurch sollen hochmoderne Lösungen für Produktionsanlagen realisiert werden, deren Dimensionen vor 20 Jahren unvorstellbar gewesen wären. Die Maschinenbau-Branche, so Michels, zeichnet sich durch eine Qualität aus, die weltweit selten ist.

Die Wettbewerbssituation: Note 3 mit klarem Handlungsbedarf

Beide Experten bewerten die Wettbewerbssituation des deutschen Maschinenbaus mit der Schulnote „Drei“. Warum diese eher verhaltene Einschätzung, obwohl Deutschland alle Voraussetzungen für ein Top-Niveau hätte? Freund sieht die „Denker und Lenker“ sowie die über Generationen gestützten mittelständischen Unternehmen als riesiges Potenzial. Dennoch sei es „an der Zeit mutiger zu werden“ und „mutiger auch in die Investition wieder zurückzugehen“, sagt er im Gespräch mit Julia Dusold und Anja Ringel.

Er fordert, dass sich der deutsche Maschinenbau auf seine Fähigkeiten besinnt und die aktuellen unsicheren globalen Märkte als Chance nutzt, um gestärkt hervorzugehen.

Michels stimmt der Note „Drei“ zu und begründet dies mit der mangelnden Umsetzung digitaler Transformation. Seit mehr als zehn Jahren werde über Industrie 4.0 geredet und die deutsche Industrie habe auch eine lange Historie, was Transformation angeht, schließlich sei der Industrie 3.0 Part von ihr geprägt worden. „Es nützt uns aber nichts, wenn wir daraus nichts machen, dann ist es reine Theorie“, sagt Michels. „Da müssen wir jetzt wirklich Gas geben und da haben wir auch nicht viel Zeit. Die Konkurrenz wartet nicht auf uns und huldigt nicht, dass wir so eine gute Historie haben. Das interessiert sie nicht.“

Auch die Außenwahrnehmung der deutschen Industrie ist auf dem Weltmarkt nicht mehr das, was sie mal war: Michels zufolge gelten deutsche Maschinenbauer zwar als Experten mit dem meisten Know-how, aber auch als „etwas umständlich und kompliziert mittlerweile und definitiv hochpreisig“.

Insbesondere asiatische Kunden fordern massive Veränderungen – 30 bis 40 Prozent Kostensenkung und halbierte Lieferzeiten. Der frühere Kompromiss von höchster Qualität bei längerer Lieferzeit sei passé, da asiatische Konkurrenten „sowohl von der Geschwindigkeit und von der Qualität uns erst einmal gleich Geschwindigkeit höher“ sind.

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Drei Strategien, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern

Wie kann der Maschinenbau also das Blatt wenden und wieder wettbewerbsfähiger werden?

Zum einen sind laut den Siemens-Experten strategische Partnerschaften unumgänglich. Freund unterstreicht die enorme Bedeutung solcher mit Kunden und Zulieferern. „Wir brauchen Partner, mit denen wir größer, weiter und breiter denken“, sagt er.

Und „die auch genügend Kompetenzen mit an den Tisch bringen, sodass wir uns in einer immer schwierigeren Lage gemeinschaftlich besser aufstellen können.“ Es gehe darum, alte Strukturen aufzubrechen und sich zu öffnen.

Michels ergänzt, dass für den Erfolg auf dem Weltmarkt die höchste Stufe der Zusammenarbeit erreicht werden muss: „Co-Creation, also wirklich gemeinsam Dinge zu machen“. Das sei natürlich auch ein längerer Weg dorthin - von ehemals harten Konkurrenten jetzt in partnerschaftlichen Situationen zu arbeiten.

Dazu gehöre auch, „Best Practices“ von ehemaligen Wettbewerbern oder Partnern zu kopieren und zu adaptieren, um schneller auf dem Markt zu sein, ergänzt Freund.

Zum anderen müsse der Produkt- und-Services-Gedanke gestärkt werden. „Was definitiv gerade eine gute Strategie ist – das merken wir bei den Unternehmen, die es machen und wo es wirklich dann auch gut funktioniert – nicht nur das eigentliche Produkt, was man an den Markt bringt zu sehen, sondern vor allen Dingen auch hinten raus dann in eine Produkt- und Services-Systemdenke zu kommen“, erzählt Michels. Es gehe darum, essenzielle Dienste hinzuzufügen, die den Maschinen einen höheren Mehrwert in Bezug auf Performance, Verfügbarkeit und Handhabung verleihen.

Ein weiters, enormes Potenzial liege in der Parallelisierung von Engineering-, Produktions- und Inbetriebnahme-Prozessen. Hierfür sei eine „innere digitale Transformation“ unabdingbar, so Michels. „Da sind auf der technologischen Seite ganz selten Grenzen“, sagt er. „Die Grenzen sind dann eher: Wie schnell kann man das alles umsetzen? Hat man die richtigen Leute am Start? Sind alle in den Unternehmen schon genügend auf diesen Pfad eingeschwungen?“ Wenn man die angehe, dann sähe man aber schnell extreme Fortschritte.

Dieser Text basiert auf Auszügen aus dem Podcast Industry Insights. Die Folge mit den beiden Siemens-Experten finden Sie überall, wo es Podcasts gibt. Im Podcast sprechen Thorsten Freund und Nico Michels darüber, wie mittelständische Maschinenbauer von Plattformökonomien und digitalen Geschäftsmodellen profitieren können.

Industry Insights: Das sind die Moderatorinnen

Julia Dusold und Anja Ringel

Julia Dusold (links) ist Technik-Redakteurin bei mi connect. Sie beschäftigt sich mit verschiedenen Fertigungstechnologien, zum Beispiel der Zerspanung, der Lasertechnik und dem 3D-Druck. Außerdem in Julias Portfolio: Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie. Gemeinsam mit der Wirtschaftsredakteurin Anja Ringel produziert und moderiert sie den Interview-Podcast Industry Insights. Vor ihrer Arbeit bei mi connect hat Julia zuerst Physik und dann Wissenskommunikation studiert. In ihrer Freizeit ist sie gerne am, im und auf dem Wasser unterwegs oder reist auf diverse Weisen in fiktive Welten. Folgen Sie Julia Dusold auch auf LinkedIn und Xing.

Dass sie Redakteurin werden will, wusste Anja Ringel (rechts) schon zu Schulzeiten. Als Chefredakteurin ihrer Schülerzeitung hat sie Lehrkräfte und Schüler interviewt, das Mensaessen getestet und ist Fragen wie "Wieso hat Wasser ein Mindesthaltbarkeitsdatum" nachgegangen. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen schaut sie bei "Produktion" nun den Unternehmen auf die Finger oder besser gesagt auf die Bilanzen. Als Wirtschaftsredakteurin kümmert sie sich aber auch um Themen wie Fachkräftemangel, Diversity, Digitalisierung oder Unternehmenskultur. Privat liebt sie das Reisen und nutzt ihre Urlaube, um die Welt zu entdecken. Folgen Sie Anja Ringel auch auf LinkedIn und Xing.