Wachstum durch Innovation
Wie die Raumfahrt der deutschen Industrie helfen kann
Die Raumfahrt kann zur Schlüsseltechnologie für Wachstum, Sicherheit und Souveränität der deutschen Industrie werden. Was dafür jetzt passieren muss.
Die Raumfahrt ist kein ferner Zukunftstraum, sondern ein akutes industriepolitisches Thema. Wer technologisch führend sein will, braucht Zugang zum All – und zwar jetzt.
(Bild: Gorodenkoff - stock.adobe.com)
Raumfahrt war lange ein Prestigeprojekt – doch heute zählt sie zu den strategisch wichtigsten Industriezweigen weltweit. Kein anderes Feld vereint technologische Exzellenz, sicherheitsrelevante Infrastruktur und wirtschaftliches Zukunftspotenzial so unmittelbar.
Die jüngste Roland Berger Studie 'Aufholjagd im All', erstellt in Kooperation mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), zeigt klar: Raumfahrt ist kein ferner Zukunftstraum mehr, sondern zentraler Bestandteil industrieller Wertschöpfung und geopolitischer Handlungsfähigkeit.
Bis 2040 wird der weltweite Markt für weltraumgestützte Infrastruktur und Dienste um ein Vielfaches zunehmen. Er wird sich von heute knapp 500 Milliarden auf 2.000 Milliarden Euro vervierfachen. Die deutsche Wirtschaft kann auch einiges beitragen, weil sie sich auf Ingenieurwesen spezialisiert hat. Das ist genau das, was die Raumfahrt braucht.
Starten auch Sie ins All!
Der Weltraum bietet viele Möglichkeiten, auch für die Industrie. Wir beobachten für Sie aktuelle Projekte und sammeln sie in unserem Fokusthema. Wagen Sie den Deep Dive into Space!
Neues Denken: New Space ist Basis für technologische Führerschaft
Das Apollo-Programm der USA zeigt, was gezielte Investitionen in der Raumfahrt langfristig bewirken können. Viele seiner Errungenschaften sind bis heute die Basis für die technologische Führungsrolle der USA. Wir brauchen auch in Deutschland ein solches Mindset für die Bedeutung und das Potenzial der Raumfahrt. Sie stärkt unsere Industrie, egal in welcher Branche, und sorgt dafür, dass wir technologisch unabhängig sind. Außerdem bringt sie neue Geschäftsideen.
Wir müssen uns mehr anstrengen, um mit den USA und China mitzuhalten. Damit wir unseren aktuellen Marktanteil von rund 17 Prozent im wachsenden Space-Markt halten können, müssten wir bis 2040 noch mal ungefähr 237 Milliarden Euro investieren. Allein Deutschland müsste in der gleichen Zeit 56 Milliarden Euro mehr ausgeben. Wenn Deutschland seinen Marktanteil in dem Zeitraum auf 25 Prozent steigern will, muss es zusätzlich 93 Milliarden Euro investieren. Die europäischen Investitionen müssten dafür insgesamt um 412 Milliarden Euro steigen. Neben höheren Investitionen brauchen wir größere Ambitionen: Der Staat soll mehr in die Raumfahrt investieren. Bürokratische Hürden sollen abgebaut werden. Es soll mehr Risikofreude geben. Und es braucht eine klare strategische Vision. Denn Raumfahrt kann technologische Führerschaft bringen.
Investitionslücke zu internationalem Wettbewerb muss geschlossen werden
"Die Raumfahrt ist eine Schlüsselindustrie für Europas Zukunft", sagt Stefan Schaible, Global Managing Partner bei Roland Berger. "Wenn wir unsere Rolle in der Welt stärken wollen, müssen wir bei der Raumfahrt vorne mitspielen. Weltraumgestützte Technologien sind Treiber für Wachstum und Sicherheit gleichermaßen. Dafür braucht es Investitionen, Geschwindigkeit in Prozessen und die klare Vision, global eine führende Position einzunehmen."
Wie groß der Nachholbedarf ist, zeigt ein Blick auf die Investitionslücke, die den deutschen Raumfahrt-Sektor im Vergleich zu den USA und China bisher stark bremst. Die öffentlichen Ausgaben für Weltraumprojekte lagen in Deutschland bei rund 2,5 Milliarden Euro in 2024. Die bereits führende Raumfahrtnation USA investierte 72 Milliarden Euro. Auch China steigert seine Ausgaben signifikant auf rund 18 Milliarden Euro im Jahr 2024. Andere Raumfahrtnationen wie Japan oder Frankreich investieren ebenfalls erheblich mehr als Deutschland.
Es ist Zeit Risiken aufgrund von Abhängigkeiten zu minimieren
Die jahrzehntelange Unterfinanzierung hat Folgen: Zum Beispiel betreibt Deutschland derzeit nur etwas mehr als 80 eigene Satelliten, die USA dagegen über 10.000 und China über 900 – Tendenz stark steigend. Daraus entstehen problematische Abhängigkeiten, etwa bei der Satellitenkommunikation: Aktuell gibt es keine deutsche oder europäische Alternative zum amerikanischen Netzwerk. Dabei sind Daten aus dem All heute unverzichtbar – für unsere Verteidigungsfähigkeit ebenso wie für zentrale Prozesse moderner Volkswirtschaften, etwa das Management von Logistik und Lieferketten, für neue Mobilitätslösungen oder Anwendungen der Industrie 4.0.
"Raumfahrt ist in einer geopolitisch unsicheren Welt weit mehr als Technologie – sie ist notwendige sicherheitsrelevante Infrastruktur. Wer keine eigenen Weltraumfähigkeiten besitzt, ist abhängig und verwundbar", betont BDI-Präsident Peter Leibinger. "Zugleich eröffnet Raumfahrt deutschen Industrieunternehmen mit ihrer Ingenieurskompetenz neue Wachstumsmöglichkeiten – von globaler Datenkommunikation über Mondlogistik bis hin zu Space Mining."
Damit Deutschland diese Chancen nutzen könne, brauch es entschlossenes politisches Handeln, so Leibinger: "Raumfahrt muss als strategisches Rückgrat unserer industriellen Stärke und technologischen Souveränität verstanden werden", sagt er. Gerade in einem hochtechnologischen Feld wie der Raumfahrt müsse die Politik Agilität, Mut zum Risiko und zu Innovation fördern statt ausbremsen.
"Deutschland sollte aufgrund des Dual-Use Charakters von Raumfahrt seine ESA-Investitionen deutlich erhöhen – von drei auf sechs Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren", so Leibinger. "Von der Ministerratskonferenz im November in Bremen sollte unter deutschem Vorsitz ein Signal des Aufbruchs für Europa ausgehen."
Das sind die wichtigsten Handlungsempfehlungen für die Aufholjagd im All
Neben Hintergrundanalysen und Berechnungen haben die Studienautoren eine Reihe von Vorschlägen und Handlungsempfehlungen für die politischen Entscheidungsträger ausgearbeitet, mit denen Deutschland das Rennen mit den USA und China aufnehmen kann. An erster Stelle stehen dabei Maßnahmen, um ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für die Bedeutung und die Chancen des Themas Raumfahrt zu schaffen. Zudem sollten Staatsaufträge genauso wie Investitionen nicht nur ausgebaut, sondern auch gezielt auf den größten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sicherheitspolitischen und strategischen Nutzen ausgerichtet werden.
Nationale und europäische Raumfahrtbehörden sind aufgefordert, ihre Kräfte enger zu koordinieren und den Fokus stärker auf kommerzielle Aspekte zu legen. Damit die NewSpace-Economy wachsen kann, braucht es in Deutschland und Europa mehr Freiraum für Innovationen und weniger Bürokratie.
Quelle: Roland Berger
FAQ: Deutsche Industrie in der Raumfahrt – Chancen, Herausforderungen, Perspektiven
Warum ist die Raumfahrtbranche für deutsche Industrieunternehmen interessant?
Die Raumfahrt bietet Hightech-Unternehmen neue Märkte mit hohem Innovationspotenzial. Anwendungen reichen von Satellitenkommunikation über Erdbeobachtung bis hin zu Weltraumrobotik und Infrastruktur im Orbit. Die Branche verspricht langfristiges Wachstum und hohe Wertschöpfung.
Welche Industriezweige profitieren besonders?
Vor allem die Luft- und Raumfahrttechnik, der Maschinen- und Anlagenbau, die Elektronikfertigung sowie die Software- und Sensorikbranche. Auch Zulieferer aus der Automobilindustrie können mit ihrem Know-how in Leichtbau, Antriebstechnik und Qualitätssicherung punkten.
Wie groß ist der Markt?
Laut ESA und OECD wächst der globale Raumfahrtmarkt jährlich um rund 6–8 %. Allein der kommerzielle Satellitenmarkt wird bis 2030 auf über 500 Milliarden US-Dollar geschätzt. Deutschland zählt zu den größten Beitragszahlern der ESA und hat eine starke industrielle Basis.
Welche Rolle spielt die Politik?
Die Bundesregierung fördert Raumfahrtprojekte über das DLR und das Nationale Raumfahrtprogramm. Mit Initiativen wie „NewSpace“ sollen Start-ups und KMU gezielt unterstützt werden. Auch die EU investiert über Programme wie Copernicus und Galileo.
Was sind die größten Herausforderungen?
Hohe Eintrittsbarrieren, lange Entwicklungszyklen und strenge regulatorische Anforderungen. Zudem ist die internationale Konkurrenz stark – insbesondere aus den USA, China und zunehmend auch Indien.
Wie können Unternehmen den Einstieg schaffen?
Durch Kooperationen mit etablierten Raumfahrtakteuren, Teilnahme an Förderprogrammen und gezielte Forschung & Entwicklung. Auch die Integration in Lieferketten großer Raumfahrtprojekte kann ein Türöffner sein.